Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Für die Entstehung der Umsatzsteuer und die zutreffende Anwendung des Steuersatzes kommt es darauf an, wann die Leistung ausgeführt worden ist. Die Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes ist dabei unabhängig davon, ob der Unternehmer seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) oder nach vereinbarten Entgelten (Soll-Besteuerung) besteuert, von Bedeutung ist nur, wann die entsprechende Leistung nach umsatzsteuerrechtlichen Regelungen ausgeführt ist.
Zur korrekten Ermittlung der Umsatzsteuer muss damit immer festgestellt werden, wann die Leistung ausgeführt ist. Besondere Probleme ergeben sich bei langfristigen Verträgen, die über den Zeitpunkt des Steuersatzwechsels hinaus ausgeführt werden.
Ausführung der Leistung
Kunde K hatte im September 2020 ein neues Elektrofahrzeug für 30.000 EUR zzgl. Umsatzsteuer bestellt. Als Liefertermin war Dezember 2020 vereinbart worden. K leistete schon im September 2020 eine Vorauszahlung von (30.000 EUR zzgl. 16 % USt =) 34.800 EUR. Aufgrund von Lieferengpässen bei den Batteriesystemen kann das Fahrzeug erst im Januar 2021 ausgeliefert werden. Da die Lieferung erst im Januar 2021 ausgeführt wird, unterliegt sie dem dann angehobenen Regelsteuersatz von 19 %. Wer in diesem Fall die Mehrbelastung zu tragen hat, hängt von den vertraglichen Vereinbarungen ab, soweit keine Regelungen getroffen worden sind, kann § 29 UStG zur Anwendung kommen.
Rechnungsausstellung unbeachtlich
Für die Ermittlung des zutreffenden Steuersatzes kommt es immer nur darauf an, wann eine Leistung oder eine Teilleistung tatsächlich ausgeführt worden ist; dies gilt gleichermaßen für die Soll-Besteuerung wie für die Ist-Besteuerung. Das Ausstellungsdatum der Rechnung hat keinen Einfluss auf die Entstehung der Umsatzsteuer. Auch die Vereinnahmung von Anzahlungen oder Vorauszahlungen ist für die endgültige Entstehung der Umsatzsteuer der Höhe nach ohne Bedeutung, § 27 Abs. 1 UStG.
Grundsätzlich gilt für die Ausführung einer Leistung Folgendes:
- Lieferungen: Lieferungen (auch Werklieferungen) gelten dann als ausgeführt, wenn der Leistungsempfänger die Verfügungsmacht an dem Gegenstand erworben hat; wird der Gegenstand befördert oder versendet, ist die Lieferung mit Beginn der Beförderung oder Versendung ausgeführt. Bei Werklieferungen ist regelmäßig die Abnahme maßgeblich.
- Sonstige Leistungen: Sonstige Leistungen (auch Werkleistungen) sind im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt. Bei zeitlich begrenzten Dauerleistungen ist die Leistung mit Ende des Leistungsabschnitts ausgeführt, wenn keine Teilleistungen vorliegen.
- Innergemeinschaftliche Erwerbe: Die Umsatzsteuer für einen innergemeinschaftlichen Erwerb entsteht mit Ausstellung der Rechnung, spätestens mit Ablauf des dem Erwerb folgenden Monats.
Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens stellt keinen Umsatz dar
Sachverhalte, bei denen der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner wird (Reverse-Charge-Verfahren) sind keine eigenständigen Umsätze. Die Umsatzsteuer entsteht bei dem Leistungsempfänger (Steuerschuldner) nach den Steuersätzen, die zum Zeitpunkt der Ausführung der jeweiligen Leistung oder Teilleistung maßgeblich sind.
Neben der tatsächlich (endgültig) ausgeführten Leistung führt auch eine abgeschlossene Teilleistung zur endgültigen Entstehung einer Umsatzsteuer. Damit eine Teilleistung vorliegen kann, müssen 2 notwendige Bedingungen nach nationalem Recht vorliegen:
- Es muss sich um eine wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbare Leistung handeln und
- es muss eine Vereinbarung über die Ausführung der Leistung als Teilleistungen vorliegen, die Teilleistung muss gesondert abgenommen und abgerechnet werden
Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien
Die erste Voraussetzung ist ein objektives Kriterium, das sich an der Art der Leistung orientiert und jeweils auch von branchentypischen Kriterien abhängig ist. Die zweite Voraussetzung ist ein individuelles Kriterium, hier kommt es auf die vorliegende individuelle Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien an. Gerade beim Übergang zum wieder angehobenen Steuersatz zum 1.1.2021 kann es für nicht zum (vollen) Vorsteuerabzug berechtigte Leistungsempfänger interessant sein, Verträge mit Teilleistungen abzuschließen. Sollte eine vertragliche Vereinbarung abgeschlossen worden sein, die keine Ausführung und Abnahme von Teilleistungen vorsieht, akzeptiert die Finanzverwaltung auch nachträgliche Vertragsanpassungen, wenn die Anpassung bis zum jeweiligen Steuersatzwechsel vorgenommen wird.
Aber auch bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage ist für die zutreffende Beurteilung wichtig, welchem Umsatz diese Änderung der Bemessungsgrundlage zuzurechnen ist und wann dieser Umsatz ausgeführt war.