Kernaussage
Die ESMA veröffentlicht regelmäßig Auszüge aus ihrer internen Enforcement-Datenbank. In dieser dem Vertraulichkeitsgrundsatz unterliegenden Datenbank werden Entscheidungen europäischer Enforcer gesammelt und als Informationsquelle bei der Durchsetzung der ordnungsgemäßen Anwendung der IFRS verwendet. Durch die Veröffentlichung anonymisierter Enforcemententscheidungen sollen nach IFRS bilanzierende Unternehmen und ihre Abschlussprüfer Einblicke in die Entscheidungsfindung der europäischen Enforcer erhalten. Alle Entscheidungsberichte sind in der ESMA-Library (http://www.esma.europa.eu/databases-library/esma-library, Abrufdatum: 1.10.2022) abrufbar.
Der 26. Entscheidungsreport der ESMA vom 17.5.2022 betrifft Entscheidungen europäischer Enforcer im Zeitraum März 2020 bis November 2021 und umfasst folgende Themen:
Berücksichtigung von Kreditbesicherungen bei der Ermittlung erwarteter Kreditverluste (Decision ref EECS/0122-01)
Der Abschlussersteller hatte in Portfolios zusammengefasste Darlehen an Immobilieneigentümer vergeben und diese durch Ausgabe börsennotierter Anleihen refinanziert. Gemäß den Anleihebedingungen war die Rückzahlung der Anleihen auf die tatsächlichen Zahlungsströme aus dem jeweiligen Darlehensportfolio begrenzt; die Anleiheinhaber hatten keinen Zugriff auf andere Vermögenswerte des Unternehmens. Sowohl die Darlehen als auch die Anleihen wurden zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanziert.
Für die Portfoliodarlehen erfasste der Abschlussersteller keine Wertberichtigung für erwartete Kreditverluste und begründete dies damit, dass jegliche potenziellen Kreditverluste durch die Rückzahlungsklausel der Anleihen ausgeglichen und sich somit weder auf das Ergebnis noch das Eigenkapital des Unternehmens auswirken würden. Die Rückzahlungsklausel stelle de facto eine Kreditbesicherung i. S. d. IFRS 9.B5.5.55 für die Portfoliodarlehen dar. Ferner war der Abschlussersteller der Ansicht, dass diese Kreditbesicherung als Teil der Vertragsbedingungen der Darlehen anzusehen sei, auch wenn sie in deren Vertragsbedingungen nicht explizit genannt worden sei.
Der Enforcer folgte dieser Argumentation nicht und stellte fest, dass für die Darlehen eine Wertberichtigung für erwartete Kreditverluste ohne Berücksichtigung der Rückzahlungsklausel der Anleihen hätte gebildet werden müssen. In diesem Zusammenhang verweist der Enforcer auf eine Agenda-Entscheidung des IFRS IC vom März 2019, in der bestätigt wird, dass erwartete Zahlungseingänge aus Sicherheiten nach IFRS 9.B5.5.55 nur dann bei der Ermittlung erwarteter Kreditverluste zu berücksichtigen sind, wenn die Sicherheit Teil der Vertragsbedingungen des zu bewertenden Instruments ist und nicht separat erfasst wird. Da im zu beurteilenden Sachverhalt die Vertragsbedingungen der Portfoliodarlehen keine Hinweise auf die Rückzahlungsklausel der Anleihen enthielten, war diese nach Auffassung des Enforcers nicht Teil der Vertragsbedingungen der Darlehen. Die bloße Tatsache, dass die Anleihen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den Darlehen ausgegeben wurden, ändere daran nichts. Im vorliegenden Fall stelle die Rückzahlungsklausel vielmehr eine separate Vereinbarung zwischen dem Abschlussersteller und den Anleiheinhabern dar und sei somit gesondert von den Portfoliodarlehen zu erfassen.
Der Enforcer wies des Weiteren darauf hin, dass sowohl der Wortlaut des IFRS 9.B5.5.55 als auch die Agenda-Entscheidung des IFRS IC darauf hindeuten, dass aus der Kreditbesicherung zusätzliche Zahlungsströme an den Abschlussersteller fließen müssen, damit diese bei der Bemessung der erwarteten Kreditverluste des besicherten Instruments berücksichtigt werden können. Im vorliegenden Fall führte die Rückzahlungsklausel indes nicht zu derartigen zusätzlichen Zahlungsströmen, sondern lediglich zu einer Reduktion der Rückzahlungen der Anleihen.
Ermittlung des Nettoveräußerungswerts von Vorräten (Decision ref EECS/0122-02)
Der Abschlussersteller, ein Biotechnologieunternehmen, das Inhaltsstoffe für kosmetische Produkte entwickelt, schloss mit einem Handelsunternehmen für Hautpflegeprodukte einen Liefervertrag über 5 Jahre ab, der u. a. eine Einmalzahlung zugunsten des Abschlusserstellers für die Gewährung von Exklusivität vorsah. Die Vereinbarung enthielt weder eine Mindestabnahmemenge noch eine Verpflichtung des Handelsunternehmens, die Vertragslaufzeit auf Verlangen des Abschlusserstellers zu verlängern. Der Abschlussersteller ging indes von einer Vertragsverlängerung durch das Handelsunternehmen aus. Diese würde zu einer weiteren Zahlung für die gewährte Exklusivität führen, die den Buchwert der zum Abschlussstichtag bilanzierten Vorräte übersteigen würde. Seit Abschluss des Vertrags hatten keine Verkäufe des Inhaltsstoffs stattgefunden. Gleichwohl bilanzierte der Abschlussersteller die Vorräte weiterhin zu ihren Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten. Als Begründung führte er an, dass bei der Ermittlung des Nettoveräußerungswerts der Zweck, zu dem die Vorräte gehalten werden, und ...