Kernaussage
Unter Altersfreizeit versteht man grundsätzlich die Arbeitszeitverkürzung bei Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben. Sie kann auf unterschiedliche Arten gewährt werden. Wird in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit zusätzliche bezahlte Freizeit gewährt, die der Arbeitnehmer zwingend unmittelbar vor dem Eintritt in den Ruhestand – und nicht bereits vorher als Verlängerung seines jährlichen Regenerationsurlaubs – nutzen muss, hat der Arbeitgeber eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in Höhe des bereits vom Arbeitgeber erdienten Anspruchs (= Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers) zu passivieren. Bei der Bewertung der Rückstellung ist eine eventuelle Fluktuation in der Belegschaft zu berücksichtigen.
10.1 Ausgangssituation und Fragestellung
In Betriebsprüfungen wird vermehrt das Thema aufgegriffen, ob und unter welchen Voraussetzungen Unternehmen für Zusagen auf zusätzliche Gewährung von Altersfreizeit steuerbilanzielle Rückstellungen bilden können (Prinz, StuB 2022, S. 11).
Unter Altersfreizeit versteht man die Arbeitszeitverkürzung bei Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Gewährung von
- Altersfreizeit durch Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit (z. B. § 2a MTV Chemie) und
- zusätzlichem Urlaub (entweder als Erhöhung des jährlichen Regenerationsurlaubs oder zum vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand).
Auch eine Kombination beider Modelle ist denkbar.
Vorliegend soll exemplarisch der Fall betrachtet werden, dass ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern neben den regulären Lohn-/Gehaltszahlungen auf der Grundlage eines Tarifvertrags zusätzliche bezahlte Freizeit für jedes volle Jahr der Betriebszugehörigkeit gewährt. Diese zusätzliche Freizeit dürfen die Mitarbeiter ausschließlich zum vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nutzen.
Fallbeispiel
Mitarbeiter B ist zum 1.1.2022 bereits 19 Jahre im Betrieb des Arbeitgebers (AG) tätig. Am 1.7.2029 wird er voraussichtlich in Rente gehen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Betriebszugehörigkeit mehr als 26 Jahre betragen. B erhält eine reguläre jährliche Vergütung in Höhe von TEUR 110. Je vollendetes Jahr der Betriebszugehörigkeit gewährt der AG seinen Mitarbeitern aufgrund einer am 1.1.2022 geschlossenen tarifvertraglichen Vereinbarung eine Woche Altersfreizeit, welche unmittelbar vor Beginn des Eintritts in den Ruhestand in Anspruch genommen werden muss. Auf der Basis dieser Vereinbarung hat B zum 1.1.2022 also bereits einen Anspruch auf 19 Wochen Altersfreizeit. Bis zu seinem voraussichtlichen Renteneintritt wird er sich einen Anspruch von 26 Wochen (= 26 Jahre Betriebszugehörigkeit) Altersfreizeit erdient haben. Dies entspricht in etwa einem halben Kalenderjahr, sodass die Altersfreizeit von B voraussichtlich am 1.1.2029 beginnt.
Fraglich ist, ob der Arbeitgeber für die Pflicht zur Gewährung von Altersfreizeit in Höhe von 19 Wochen in der Handelsbilanz eine Rückstellung bilden und diese an den folgenden Bilanzstichtagen erhöhen muss.
10.2 Lösungsansatz
Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bildung von Rückstellungen für Altersfreizeit liegt – soweit ersichtlich – nicht vor (s. a. Prinz, StuB 2022, S. 13). Das FG Niedersachsen lehnte die Bildung einer Rückstellung für Altersfreizeit ab, da es sich weder um drohende Verluste aus einem schwebenden Geschäft noch um ungewisse Verbindlichkeiten handle (vgl. FG Niedersachsen, Urteil v. 15.10.1987, VI 59/85, DB 1988, S. 1976). Allerdings wurde die Altersfreizeit im Urteilssachverhalt zur unmittelbaren Inanspruchnahme im Rahmen des jährlichen Regenerationsurlaubs gewährt.
Im Fallbeispiel geht es hingegen darum, dass einem Mitarbeiter in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit eine bezahlte Freizeit zum vorgezogenen Eintritt in den Ruhestand gewährt wird. Im Rahmen des jährlichen Regenerationsurlaubs darf diese Freizeit gerade nicht genommen werden.
Mit dem Abschluss der tarifvertraglichen Vereinbarung hat B im Fallbeispiel einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Altersfreizeit. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich bereits einen Anspruch in Höhe von 19 Wochen erdient und der Arbeitgeber ist insoweit in einen Erfüllungsrückstand geraten, für den eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. HGB zu passivieren ist (dagegen entstand im Urteilssachverhalt des FG Niedersachsen kein Erfüllungsrückstand). Mit jedem weiteren Jahr der Betriebszugehörigkeit erhöht sich der Anspruch des Mitarbeiters bzw. der Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers, sodass die Rückstellung zu jedem Abschlussstichtag entsprechend erhöht werden muss. D. h.: Die Rückstellung ist während der Beschäftigungsdauer bis zur Inanspruchnahme der Altersfreizeit ratierlich anzusammeln. Eine eventuelle Fluktuation in der Belegschaft ist bei der Bewertung der Rückstellung zu berücksichtigen (s. hierzu IDW Life 2021, S. 1123).
Das BMF erkennt jedoch einen Erfüllungsrückstand und somit die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeite...