Kernaussage
Wird im Rahmen der Aufhebung eines Ergebnisabführungsvertrags (EAV) zugunsten der Untergesellschaft ein Ausgleich für den zukünftigen Wegfall der Verlustübernahmeverpflichtung vereinbart, so darf dieser Anspruch bei der Ermittlung des (fiktiven) Verlustausgleichsanspruchs nach § 302 Abs. 1 AktG, den die Obergesellschaft auszugleichen hat, nicht berücksichtigt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Ausgleichsanspruch im Jahr der Aufhebung des EAV bilanziert oder nicht bilanziert ist.
11.1 Sachverhalt
Zwischen der T GmbH als Untergesellschaft und der M GmbH als Obergesellschaft bestand ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (EAV). Da der Unternehmensverbund getrennt werden sollte, wurde zwischen T und M einvernehmlich die Aufhebung des EAV mit Wirkung zum 11.12.2016 vereinbart; hierzu bildete die T ein förmliches Rumpfgeschäftsjahr (s. § 296 AktG analog). Der Aufhebungsvertrag sah als "Ersatz für die wegfallende Verlustübernahmeverpflichtung" eine Entschädigungszahlung der M an T in Höhe von 1,3 Mio. EUR vor. Diese war auf den Eintritt der Wirksamkeit der Aufhebung des EAV aufschiebend bedingt.
T ermittelte für das Rumpfgeschäftsjahr einen Verlust vor EAV von 0,4 Mio. EUR. Der Anspruch auf Entschädigungszahlung wurde zum 11.12.2016 nicht als Forderung aktiviert. M zog (vereinfacht) den Verlust des Rumpfgeschäftsjahrs von der zu leistenden Entschädigungszahlung ab und zahlte an T 0,9 Mio. EUR. T verklagte M daraufhin auf Ausgleich des Verlusts in Höhe von 0,4 Mio. EUR sowie auf Zahlung des restlichen Betrags der Entschädigungszahlung von weiteren 0,4 Mio. EUR. Im Berufungsverfahren machte die beklagte M dann einen Anspruch aus Gewinnabführung gegen T geltend, da der Anspruch auf Entschädigungsleistung nach ihrer Auffassung im Jahresabschluss des Rumpfgeschäftsjahrs hätte aktiviert werden müssen, mit der Folge, dass aus dem Jahresfehlbetrag von 0,4 Mio. EUR ein Jahresüberschuss von 0,9 Mio. EUR (= 1,3 Mio. EUR ./. 0,4 Mio. EUR) resultierte.
11.2 Entscheidung des BGH
Der BGH gab der Klage der T auf Verlustausgleich für das Rumpfgeschäftsjahr (0,4 Mio. EUR) sowie Zahlung des Restbetrags der Entschädigung (0,4 Mio. EUR, insgesamt also 1,3 Mio. EUR Entschädigung) statt. In der Urteilsbegründung blieb offen, ob der Anspruch auf die Entschädigungsleistung zum Stichtag des Rumpfgeschäftsjahres (11.12.2016) handelsrechtlich als Forderung zu aktivieren war, da der BGH seine Entscheidung auf die Auslegung der Aufhebungsvereinbarung stützte.
Unternehmensverträge sind keine schuldrechtlichen Verträge, sondern gesellschaftsrechtliche Organisationsverträge, die objektiv (d. h. nicht subjektiv nach dem Parteiwillen, §§ 133, 157 BGB) auszulegen sind.
Nach dem Willen der Vertragsparteien sollte T die Entschädigungsleistung als Ersatz für die wegfallende Verlustausgleichsverpflichtung tatsächlich zufließen und nicht durch Verlustausgleich oder Gewinnabführung neutralisiert werden. Da bis zum 11.12.2016 eine Verlustausgleichsverpflichtung bestand, "kann die Entschädigung nur zum Ausgleich zukünftiger, nach Beendigung des Unternehmensvertrags entstehender Verluste bestimmt gewesen sein".
Der BGH führt weiter aus, dass der Zweck, zukünftige Verluste zu kompensieren, konterkariert würde, wenn der Anspruch bereits durch Verlustausgleich bzw. Gewinnabführung für das Rumpfgeschäftsjahr neutralisiert würde, da die Zahlung dann den Verlust des Rumpfgeschäftsjahres ausgleichen würde. Eine solche Deutung erschien dem BGH als "sinnwidrige Vereinbarung", die "jeglicher Lebenserfahrung" widerspreche.
Dementsprechend darf die Entschädigungszahlung jedenfalls bei der Ermittlung des "sonst entstehenden (= fiktiven) Jahresfehlbetrags" i. S. d. § 302 Abs. 1 AktG zum 11.12.2016 nicht berücksichtigt werden. Der BGH verdeutlicht damit, dass sich der Verlustausgleichsanspruch nach § 302 Abs. 1 AktG nicht immer einfach aus der Gewinn- und Verlustrechnung ergibt. Zum einen ist im Vertragskonzern der auszugleichende Jahresfehlbetrag nicht das Ergebnis des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, sondern gemäß § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB in diesen einzustellen, weshalb er vorab in einer eigenen, allein diesem Zweck dienenden Berechnung ermittelt werden muss. Zum anderen kann bei Vereinbarungen, die die wechselseitigen Verpflichtungen nach Beendigung des Unternehmensvertrags betreffen, der (objektiv zu bestimmende) Parteiwille einer Anknüpfung an das Bilanzrecht entgegenstehen.
11.3 Würdigung
Der Entscheidung des BGH ist vollumfänglich zuzustimmen. Sie verdeutlicht einmal mehr, dass bei der Ermittlung des Verlustausgleichsanspruchs nach § 302 Abs. 1 AktG nicht einfach das Ergebnis der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung vor Ergebnisabführung verwendet werden kann. Neben der im Urteilsfall behandelten Entschädigungsleistung können insbesondere die Abführungssperren des § 268 Abs. 8 HGB i. V. m. § 301 Satz 1 AktG zu Abweichungen führen, sodass die GuV der Untergesellschaft – trotz bestehenden Ergebnisabführungsvertrags – mit einem Jahresüberschuss oder -fehlbetrag enden kann. Dieses Ergebnis ist nic...