Kernaussage
Handelsrechtlich bleibt es auch nach der durch das BMF veröffentlichten, ergänzten Fassung seines Schreibens zur sog. digitalen AfA bei dem Befund, dass für die Bemessung planmäßiger Abschreibungen von zeitlich begrenzt nutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens im handelsrechtlichen Jahresabschluss allein deren voraussichtliche (handelsrechtliche), i. d. R. längere Nutzungsdauer zugrunde zu legen ist.
6.1 Ausgangssituation und aktuelle Entwicklungen
Nach dem bisherigen BMF-Schreiben vom 26.2.2021 (IV C 3 – S 2190/21/10002 :013, BStBl 2021 I S. 298) konnte für bestimmte Computerhardware (einschließlich der dazu gehörenden Peripheriegeräte) und für die Dateneingabe und -verarbeitung erforderliche Betriebs- und Anwendersoftware eine auf ein Jahr festgelegte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden.
In der Neufassung dieses BMF-Schreibens vom 22.2.2022 (IV C 3 – S 2190/21/10002 :025, BStBl 2022 I S. 187) führt die Finanzverwaltung indes aus, dass die Annahme einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von genau einem Jahr nicht zu einer Sofortabschreibung der betreffenden Computerhard- und -software führe. Ferner handle es sich weder um eine besondere Form der Abschreibung noch um eine neue Abschreibungsmethode. Schließlich stelle die Annahme einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von einem Jahr kein steuerliches Wahlrecht i. S. d. § 5 Abs. 1 letzter Halbsatz EStG dar (dagegen wurde dies in der Praxis nachgerade als ein von der Handelsbilanz unabhängiges steuerliches Wahlrecht gedeutet). Zwar ist das Schreiben zur sog. digitalen AfA nicht offiziell aufgehoben, im Ergebnis ist die digitale AfA jedoch aufgrund der Neufassung des Schreibens für bilanzierende Steuerpflichtige nur noch in den seltensten Fällen anwendbar.
6.2 Handelsrechtliche Auffassung unverändert
Handelsrechtlich ist die Digi-AfA nicht zulässig (s. hierzu IDW Life 2021, S. 347 sowie Frage 2.3.15 in "Zweifelsfragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 3, 5. Update, April 2021)). Für die Bemessung planmäßiger Abschreibungen von zeitlich begrenzt nutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens ist deren voraussichtliche Nutzungsdauer zugrunde zu legen (§ 253 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HGB). Ausschlaggebend sind jeweils die Verhältnisse im konkreten Betrieb. Kann und soll der betreffende Vermögensgegenstand voraussichtlich länger als ein Jahr betrieblich genutzt werden, verbietet sich die (pauschale) Zugrundelegung einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von einem Jahr in der Handelsbilanz."
Auch der Fachausschuss Unternehmensberichterstattung (FAB) des IDW bestätigt auf seiner 268. Sitzung (IDW Life 2022, S. 595) seine bisherige, bereits zum BMF-Schreiben von 2021 geäußerte Auffassung. Selbst wenn eine Nutzungsdauer von einem Jahr für steuerliche Zwecke akzeptiert würde und anwendbar wäre, dürfen die nach Maßgabe allein steuerlich zulässiger betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauern ermittelten planmäßig fortgeführten Buchwerte seit der Aufhebung der sog. umgekehrten Maßgeblichkeit sowie der korrespondierenden handelsrechtlichen Öffnungsklauseln durch das BilMoG im Jahr 2009 nicht mehr ohne Weiteres in die handelsrechtliche Rechnungslegung übernommen werden. Lediglich insoweit, als eine Schätzung nach den betrieblichen Realitäten eine solche (kurze) Nutzungsdauer unabhängig von steuerlichen (Begünstigungs-)Regelungen rechtfertigt, darf diese auch der handelsrechtlichen Bilanzierung zugrunde gelegt werden. Damit ist die Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von nur einem Jahr für die begünstigten digitalen Wirtschaftsgüter/Vermögensgegenstände für handelsbilanzielle Zwecke nach Auffassung des FAB regelmäßig nicht zulässig.
Entstehen durch die in Handels- und Steuerbilanz zugrunde gelegten, unterschiedlichen Nutzungsdauern (temporäre) Abweichungen, sind in der Handelsbilanz (passive) latente Steuern zu bilden.
Hiervon unberührt bleibt die Möglichkeit der Sofortabschreibung bzw. der sofortigen aufwandswirksamen Verrechnung sog. geringwertiger Wirtschaftsgüter (GWG) auch für die Handelsbilanz.
Fraglich bleibt, wie die digitale AfA in der Steuerbilanz angewandt werden kann, wenn in der Handelsbilanz für die Hard- und Software eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr nicht zugrunde gelegt werden darf und – falls das BMF-Schreiben kein steuerliches Wahlrecht i. S. d. § 5 Abs. 1 letzter Halbsatz EStG regelt – der Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 erster Halbsatz EStG) gilt.
Auch bleibt fraglich, ob die Anwendung dieser Verwaltungsanweisungen bei allen Steuerpflichtigen gleichmäßig erfolgt. Insoweit bleiben insbesondere für steuerliche Zwecke die weitere Entwicklung und das tatsächliche Verwaltungsvorgehen abzuwarten.
Literaturtipps
IDW FAB, 268. Sitzung, IDW Life 2022, S. 595
Bolik/Reifarth-Belli, Rolle rückwärts bei der sog. digitalen AfA, StuB 8/2022, S. 281 ff.