Rz. 24
Die Begrenzung der Aussagekraft jeder Analyse wird am Umfang der Diskrepanz zwischen Informationsbedürfnis und mit Hilfe der Analyseergebnisse erreichbarer Informationsmöglichkeit gemessen. Dieses Kriterium gilt in gleicher Weise auch für die Beurteilung der Ergebnisse von Bilanzanalysen. Die genannte Diskrepanz ist bei der Bilanzanalyse vergleichsweise groß.
Rz. 25
Die Mangelhaftigkeit der Informationsquellen stellt die wichtigste Einschränkung der Aussagekraft von Bilanzanalyseergebnissen dar. Die Mangelhaftigkeit hat wiederum verschiedene Ursachen. Eine Ursache liegt in den Gestaltungsmöglichkeiten der Informationsquellen. Die Zahlen des publizierten Jahresabschlusses sind keine eindeutig definierten Größen. Durch Ausweis-, Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte sowie Einschätzungsspielräume können einzelne Positionen des Jahresabschlusses bewusst beeinflusst werden. Je größer der Interessengegensatz zwischen dem Bilanzierenden und dem Adressaten ist, desto größer ist tendenziell die Gefahr, dass Zahlen des Jahresabschlusses gegen die Interessen des Adressaten bilanzpolitisch verändert werden. Soweit der bilanzpolitische Spielraum durch Gesetzgebung und durch Rechtsprechung beschränkt wird, hat dies zur Folge, dass die Lage des Unternehmens dadurch eher pessimistisch dargestellt wird. Dies kommt etwa in dem grundsätzlichen Bilanzierungs- und Bewertungsprinzip der Vorsicht zum Ausdruck. Da auch durch gesetzliche Vorschriften die Darstellung der Unternehmenslage nicht eindeutig fixiert werden kann, soll der Unternehmer zumindest daran gehindert werden, seine Lage zu positiv darzustellen. Hier kann der Lagebericht, der nicht dem Vorsichts- und Imparitätsprinzip unterworfen ist, sondern in dem Chancen und Risiken gleich gewichtet zu berichten sind, einen gewissen Ausgleich bieten, allerdings sind durch die wenig greifbaren Berichtsgegenstände sehr große Einschätzungs- und damit Darstellungsspielräume festzustellen.
Rz. 26
Die Einschränkung durch die Manipulierbarkeit der Informationsquellen verringert sich in dem Maß, in dem der Adressat die Möglichkeiten und den Umfang des bilanzpolitischen Instrumentariums kennt. Es ist also prinzipiell notwendig, dass der analysierenden Person die Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften bekannt sind. Aufgrund von zeitlich versetzten Wirkungen ist es überdies notwendig, nicht nur den aktuellen Stand zu beherrschen, sondern auch rückwirkend alte Regelungen zu kennen, die noch in aktuelle Darstellungen ausstrahlen. So hat der Gesetzgeber etwa mit dem BilMoG in den Übergangsvorschriften die Beibehaltung von Wertansätzen erlaubt, die durch inzwischen gestrichene Wahlrechte entstanden sind, wie etwa steuerliche Mehrabschreibungen. Im jeweiligen Analysefall muss darüber hinaus bekannt sein, in welchem Maß von den einzelnen Wahlrechten tatsächlich Gebrauch gemacht wurde. Eine Information hierzu findet sich im Anhang: § 284 Abs. 2 Nr. 2 HGB: "Abweichungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden [müssen] angegeben und begründet werden; deren Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist gesondert darzustellen".
Rz. 27
Durch die Kenntnis der Gestaltungsmöglichkeiten sowie der im Einzelfall wahrgenommenen Wahlrechte kann die analysierende Person zumindest einen Teil der daraus resultierenden Verzerrung rückgängig machen. In vollem Umfang ist dies schon deshalb nicht möglich, weil nicht nur den bilanzierenden Personen, sondern auch den analysierenden Personen eindeutige Beurteilungsmaßstäbe fehlen. Die Wertmaßstäbe gehen also einerseits durch mangelhafte gesetzliche oder betriebswirtschaftliche Definition, andererseits durch die unterschiedliche – häufig sogar konfliktäre – Zielsetzung dieser beiden Betrachtungsseiten der Rechnungslegung auseinander.
Rz. 28
Die der Bilanzanalyse zugrunde liegenden Informationsquellen sind weiterhin deshalb mangelhaft, weil sie unvollständig sind. Der Jahresabschluss vermittelt im Wesentlichen nur quantitative Informationen. Qualitative Informationen lassen sich in nur geringem Umfang aus den neben dem Jahresabschluss publizierten Informationsquellen (z. B. dem Lagebericht) entnehmen. Aber auch die quantitative Aussagekraft des Jahresabschlusses ist unvollständig, da nicht alle Geschäftstransaktionen in der Finanzbuchhaltung festgehalten werden. Als Beispiel sei nur auf die zur Beurteilung der Liquidität notwendigen Informationen über vorhandene Kreditreserven oder auf die fehlende bzw. bei Nutzung des Wahlrechts nach § 248 Abs. 2 HGB immer noch stark eingeschränkte Aussage über den Wert originärer immaterieller Vermögensgegenstände hingewiesen. Auch ist die Bewertung durch die gesetzlichen Vorgaben insbesondere mit dem Vorsichtsprinzip in ihrer Aussage für viele Fragestellungen begrenzt.
Rz. 29
Im Weiteren sind die Informationen insofern unvollständig, als es an einer ausreichenden Differenzierung fehlt. Hier steht besonders das Problem der richtigen und klaren Bezeichnung von Bilanz- bzw. GuV-Positionen sowie der richtigen Zuordnung...