Dr. Florian Müller, Dr. Daniel Licht
Rz. 124
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ist für den Schluss des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (Maßgeblichkeitsgrundsatz), es sei denn, dass im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts ein anderer Ansatz gewählt wird oder gewählt wurde. Soweit der Steuerpflichtige keine gesonderte Steuerbilanz aufstellt, bleibt die Handelsbilanz – unter Beachtung der vorgeschriebenen steuerrechtlichen Anpassung – Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz wird somit mittels steuerrechtlicher Ansatz- und Bewertungsvorbehalte durchbrochen.
Rz. 125
Steuerliche Wahlrechte können sich aus dem Gesetz oder auch aus den Verwaltungsvorschriften, z. B. R 6.5 Abs. 2, R 6.6 EStR, ergeben. Laut Finanzverwaltung sind hierbei folgende Grundsätze bei deren Ausübung im Kontext des Maßgeblichkeitsgrundsatzes zu beachten:
- Lediglich steuerliche Wahlrechte können unabhängig von einem handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden.
- Die Ausübung des steuerlichen Wahlrechts wird diesbezüglich nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG durch die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beschränkt (genereller Vorrang der steuerrechtlichen Wahlrechte).
- Wahlrechte, die sowohl handels- als auch steuerrechtlich bestehen, können somit aufgrund von § 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz EStG in der Handels- bzw. Steuerbilanz unterschiedlich ausgeübt werden. Eine Übereinstimmung zwischen dem konkreten handels- und steuerrechtlichen Wertansatz ist somit nicht zwingend bzw. ist in diesem Fall eine vorausgehende Änderung der Handelsbilanz aufgrund der Unabhängigkeit des steuerrechtlichen Wertansatzes nicht mehr notwendig.
Rz. 126
Die durch das BilMoG aufgehobene sogenannte "umgekehrte Maßgeblichkeit" – zuvor in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. kodifiziert –, wonach steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung nur in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben waren, ist somit nicht mehr relevant. Dadurch ergibt sich für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer eigenständigeren Steuerbilanzpolitik.
Rz. 127
Um ein steuerliches Wahlrecht ausüben bzw. einen von der Handelsbilanz abweichenden Ansatz in der Steuerbilanz wählen zu können, knüpft § 5 Abs. 1 Satz 2, 3 EStG an die Erfüllung bestimmter Dokumentationspflichten. Demnach sind Wirtschaftsgüter, die nicht mit dem handelsrechtlich maßgeblichen Wert in der steuerlichen Gewinnermittlung berücksichtigt werden, in gesonderte, laufend zu führende Verzeichnisse aufzunehmen. Die Verzeichnisse bilden einen Bestandteil der Buchführung. Weitere Voraussetzungen sind, dass die Verzeichnisse den Tag der Anschaffung oder Herstellung bzw. die jeweiligen Kosten, die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts und die durchgeführte Abschreibung enthalten müssen.
Rz. 128
Die Finanzverwaltung gibt darüber hinaus die folgenden spezifischen Hinweise hinisichtlich der Verzeichnisse:
- Bei der Ausübung steuerrechtlicher Wahlrechte für Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens und für Umwandlungsvorgänge i. S. des Umwandlungssteuerrechts ist eine gesonderte Aufzeichnungspflicht nicht erforderlich.
- Eine besondere Form der Verzeichnisse wird nicht vorgegeben.
- Bei geringwertigen Wirtschaftsgütern, bei sogenanntem Feldinventar, bei steuerlichen Rücklagen und bei Zuschüssen für Anlagegüter bestehen Ausnahmen von der Aufführung in dem gesonderten Verzeichnis nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG.
- Das laufende Führen der Verzeichnisse ist notwendige Tatbestandsvoraussetzung für die wirksame Ausübung des jeweiligen steuerlichen Wahlrechts.
- Wird ein steuerrechtliches Wahlrecht im Wege der Bilanzänderung erstmalig ausgeübt, ist dies durch eine Aufzeichnung i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG zu dokumentieren.