Das folgende Praxisbeispiel soll verdeutlichen, wie die Herausforderungen der digitalen Transformation im Finanzbereich, auch und vielleicht gerade in Unternehmensbereichen erfolgreich gemeistert werden können, die sich wirtschaftlich im Wandel befinden.
3.1 Ausgangssituation
2 wesentliche Veränderungszwänge beschreiben im folgenden Praxisbeispiel die Herausforderungen der Abteilung F&E FIN: zum einen ein wirtschaftlich bedingter Wandel des Marktes und eine darauf folgende Restrukturierung der Geschäftseinheit; zum anderen die Herausforderungen der digitalen Transformation des Finanzbereichs bei der Siemens AG, siehe Abb. 2.
Abb. 2: Treiber des Wandels aus Sicht der Mitarbeiter der betroffenen Abteilung
Durch die Energiewende und daraus resultierende dauerhafte Markteinbrüche im Kraftwerksgeschäft bei der Siemens AG wurde dem betroffenen Geschäftsbereich ein Restrukturierungsprogramm auferlegt. Insbesondere sollten die indirekten Geschäftsfunktionen verschlankt und neu ausgerichtet werden. Spezifisch resultierte daraus für die F&E FIN das Ziel einer mittelfristigen Kapazitätsanpassung von 40 %. Gleichzeitig erhöhten sich die Reporting- und Controlling-Anforderungen (z. B. durch ein zusätzliches Restrukturierungscontrolling). Diese Aufgabenstellung wurde bei den Mitarbeitern in der Abteilung als direkte und unmittelbare Krise wahrgenommen.
Zusätzlich ergab sich ein weiterer Veränderungsbedarf durch den Wandel des Rollenbildes der Finanzorganisation bei der Siemens AG ("Digital Finance 2025"). Die Sorge der Mitarbeitenden war, wie sie selbst von diesen Veränderungen betroffen sein werden. Sind sie in der Lage, den neuen Anforderungen gerecht zu werden? Wie können sie sich weiterentwickeln und entsprechend fortbilden, auch wenn restrukturierungsbedingt nur selektiv in die Mitarbeiter investiert werden kann? Haben sie zukünftig noch eine Aufgabe und einen Platz in der Finanzorganisation der Zukunft bei der Siemens AG? Die Veränderungen wurden daher zunächst als Bedrohung interpretiert.
3.2 Klare Vision und Verständnis der eigenen Rolle
Zunächst wurde im Team erfasst, welche Herausforderungen es zu bewältigen gilt. Dabei waren die Kapazitätsanpassung und die erwartete Mehrbelastung je Mitarbeiter das vordergründige Thema. Hierzu wurde im Austausch mit dem kompletten Team versucht, Maßnahmen zur Problemlösung zu identifizieren. Allerdings war dies nur mäßig erfolgreich, denn der Diskurs über mögliche Veränderungen machte eines deutlich: Innerhalb des Teams gab es kein einheitliches (Selbst-)Verständnis über die eigene Rolle und das konkrete Aufgabenbild als Controller. Kernaufgaben und Verantwortlichkeiten, in der eigenen Rolle aber auch innerhalb des Teams, sowie Erwartungen an die Gestaltung von Arbeitsprozessen wurden unterschiedlich interpretiert. Daher führten Diskussionen, zum Beispiel zur Fokussierung auf die Kernaufgaben der F&E FIN, zu keinem Ergebnis, da diese in Bezug auf das eigene Selbstverständnis unterschiedlich verstanden wurden. Es fehlte an einer gemeinsamen Zielsetzung. Nachdem dieses zunächst unterschwellige Problem von der Gruppe identifiziert war, konnte entsprechend darauf eingegangen werden.
Mit Unterstützung eines neutralen Moderators wurde von der Gruppe selbst ein gemeinsames Leitbild für die F&E FIN entwickelt. Dazu wurden von jedem Teammitglied Aufgaben und das eigene Selbstverständnis in Einzelinterviews abgefragt und die Resultate in kleineren Fokusgruppen diskutiert. Ergebnis war ein generisches Modell, das die verschiedenen gelebten Rollen und damit gleichzeitig das gemeinsame Selbstverständnis der Gruppe zusammenfasste.
Abb. 3: Rollen, Leitbild und Vision der F&E FIN
Daraus entstand das gemeinsame Leitbild für die eigene Organisation: Den Rollen (siehe Abb. 3) im Sinne der Unternehmensziele bestmöglich gerecht zu werden.
Nach der Identifikation der 4 gemeinsamen Rollen ("Financial Operator", "Transparency Agent", "Consultant/Analyst" und "Law Enforcement") innerhalb des Leitbildes wurde erfasst, wie viel Zeit jeder Mitarbeiter im Durchschnitt pro Rolle verwendet. Gleichzeitig wurde im Team und bei internen Kunden abgefragt, welche Rolle den höchsten Mehrwert und Nutzen für die Organisation generiert. Auf Basis der Ergebnisse (siehe Abb. 4), die eine starke Diskrepanz von Aufwand (gemessen an Zeiteinsatz) und Nutzen (gemessen an Mehrwert aus Sicht des Kunden) darstellten, wurde die gemeinsame Vision für die Zukunft entwickelt. Diese beschreibt eine Organisation, die alle 4 Rollen des Leitbildes erfüllt, jedoch konsequent die investierte Zeit in der "Financial Operator"-Rolle reduziert, um diese in Rollen mit höherem Geschäftswertbeitrag zu investieren. Dies ist eine klare Selbstverpflichtung zur Neuausrichtung der eigenen Aktivitäten zur Optimierung der Wertschöpfung aus Kundensicht.
Abb. 4: Zeitaufwand je Mitarbeiter und Leitbild Rolle, heute und in der Vision von morgen
3.3 Umgang mit Veränderung: Den Wandel als Chance nutzen
Warum waren ein gemeinsames Leitbild und eine gemeinsame Vision wichtig im weiteren Umgang mit den beschriebenen Herausforderungen? Erst durch ein gemeinsames Leitbild und eine klare Vision konn...