Die folgenden eigenen Industrieprojekte gehen in Richtung smarte Fabrik, deren Ziel durchgängige Prozessketten – vom Design bis zur Logistik – sind, wobei Prozesse miteinander vernetzt sind und miteinander kommunizieren. Mit automatisierten Entscheidungen wird direkt in die Produktion und deren Vorbereitung eingegriffen.
4.2.1 Integration der Hole-Pflicht in die internen Produktionsprozesse
Die Just–in–Time Produktion bei Automobilherstellern, Airbus und anderen OEM stellt höchste Anforderungen an die Zulieferer. Neben pünktlicher Lieferung in erforderlicher Qualität sind sie in der Hole-Pflicht. D. h. trotz Rahmenvertrag muss der Zulieferer die Portale seiner Kunden ständig beobachten und im Detail sichten, um diesen gewünschten Artikel, Lieferzeit, Lieferort, Verpackung etc. zu entnehmen. Mit diesen Informationen ist zu prüfen, ob der Zulieferer den Auftrag erfüllen kann, es sind der Logistik-Dienstleister zu kontaktieren, der Deal im Portal zu bestätigen, um dann die Abwicklung sicherzustellen. Der manuelle Prozess kostet Geld und Zeit. Es kommt nicht selten vor, dass ein anderer Zulieferer schneller ist. Viele Zulieferer bedienen mehrere Großkunden, sodass erfahrene Mitarbeiter täglich zahlreiche Portale überwachen und mit den internen Prozessen und der Logistik abgleichen müssen.
Für die Automatisierung dieser Prozesskette wurden von uns Crawlern und Robots anstelle der manuellen Überwachung der Portale eingesetzt. Damit werden Inhalte der relevanten Portale automatisiert ausgelesen, der relevante Bedarf an Zulieferungen ermittelt, mit Produktionsmöglichkeiten (durch Zugriff auf das PPS des Betriebes) abgeglichen und mit dem Logistik-Unternehmen abgestimmt. Passt alles zusammen, erfolgt die Eintragung des "OK" in den Portalen der Automobilkonzerne automatisch.
Fazit: Mit der Lösung werden automatisiert Entscheidungen getroffen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Produktionsprozesse haben. Durch den digitalen Abgleich mit internen IT-Systemen und denen der Logistikunternehmen sind Fehlentscheidungen jetzt ausgeschlossen. Angebote in den Portalen der Kunden können nicht mehr übersehen werden und man ist jetzt deutlich schneller als der Wettbewerb, um auf Angebote mit einer sicheren weiteren Prozesskette zu reagieren. Die Automatisierung der Prozesskette stellt pro Monat einen erheblichen Nutzen mit hohem ROI dar. Bei einem Pilotkunden können allein durch Automatisierung der bisher manuellen Überwachung und Befüllung der Portale ca. 34 TEUR im Monat eingespart werden.
4.2.2 Auffinden fehlerhafter Auftragskonfigurationen
Im Automotive-Umfeld produziert unser Kunde Stoßfänger, die Just-in-Time direkt zum Autohersteller geliefert werden. Nun sind Stoßfänger komplexe Baugruppen, sodass sich unabhängig von der Farbe bei Produktion in Stückzahl 1 eine enorme Variantenvielfalt für jedes Modell ergibt (vgl. Abb. 5).
Bei der Produktion kommt es hin und wieder zu falschen Lieferungen. Dies hat bei Just-in-Time Produktion fatale Folgen, weshalb nach einer Lösung des Problems gesucht wird. Hinter der relativ einfach klingenden Aufgabe verbirgt sich aber ein komplizierter Prozess zwischen Zulieferer und OEM. Der OEM schickt dem Zulieferer 5-6 Tage vor der Produktion des Stoßfängers eine Vielzahl an Voranfragen mit Spezifikationen, die so aber erst einmal nicht produziert werden sollen. Erst 7 Stunden vor dem Bedarf am Band wird die endgültige Spezifikation aus dem Kreis der Voranfragen bestätigt. Dabei kommt es hin und wieder zu Fehlbestellungen durch den OEM, der dafür aber den Zulieferer verantwortlich macht – hatte dieser doch genügend Zeit, die Richtigkeit zu überprüfen. In der kurzen Zeit von 7h ab endgültiger Spezifikation muss produziert und beim OEM angeliefert werden. Damit dies logistisch überhaupt möglich ist, befinden sich Werke des Zulieferers in der Nähe der Produktionsstätten des OEM.
Die interne Analytik-Abteilung des Kunden erprobte hierfür diverse KI-Modelle, deren Grundprinzip das Lernen aus Daten ist. Bei dieser Anwendung kann KI oder Statistik nicht zum Erfolg führen, da immer wieder neue zulässige Varianten auftreten können, die dem Algorithmus bisher nicht bekannt und selbst geringste Klassifikationsfehler nicht akzeptabel sind. Hinzu kam als weitere Schwierigkeit, dass bisher Spezifikationen der Voranfragen und der richtigen oder fehlerhaften Stoßfänger nicht systematisch abgespeichert wurden.
Abb. 5: Stoßfänger sind komplexe Baugruppen
Nach Workshops vor Ort wurde von uns eine Brute-Force-Lösung als zielführend entwickelt. Dabei wurde zunächst wie bisher produziert und zeitgleich mit Spezifikationen der Voranfragen eine Wissensbasis mit drei Klassen aufgebaut: Voranfrage, produziert & richtig, produziert & falsch. Jeder produzierte Stoßfänger liefert ein Ergebnis, nach dem dessen Spezifikation von Voranfragen in die Klassen richtig oder falsch verschoben wird. Nach einer gewissen Zeit stellt sich ein Sättigungseffekt bei den richtigen Konfigurationen ein, ab dem die Wissensbasis produktiv genutzt werden kann. Die Umsetzung ist dann naheliegend: Es erfolgt eine Verprobung aller eingehenden Voranfragen gegen die Wissensba...