Das Problem der etablierten KPIs der Kapitalgeber in der frühen und späten Wachstumsphase verdeutlicht eine frühere Aussage von Barclays. Danach hat ihr Bewertungsmodell bereits sehr gute Ergebnisse von Netflix abgeschätzt, aber definitiv die einzigartige Bedeutung des internationalen Nutzerwachstums unterschätzt und die Bedeutung der Finanzergebnisse überschätzt.
Abb. 8 zeigt, dass sich die vielfältigen finanziellen KPIs auf das Umsatzwachstum und die Monetisierung fokussiert. Diese Kennzahlen laufen in den ersten beiden Phasen für eine Bewertung jedoch ins Leere. Hier können die operativen Kennzahlen mit dem Fokus auf die Nutzer, die Besuche, den Marktanteil und somit auf das zukünftige Umsatzpotential einen besseren Überblick als die finanziellen Zahlen liefern. Viele dieser Kennzahlen sind aus dem Vertriebscontrolling von Vertriebskanälen und Produkteinführungen bekannt. Im Gegensatz zu diesem Vertriebscontrolling stehen bei der frühen Phase die Nutzer und die Besuchsfrequenz im Vordergrund und der Umsatz im Hintergrund.
Abb. 8: Die geltenden Kennzahlen der ersten Jahre fokussieren die Wachstumspotenziale des Geschäfts
Nichtsdestotrotz vertrauen die meisten Investoren auf die traditionellen Bewertungsmethoden mit wachstumsorientierten Kennzahlen. Der abgezinste Zahlungsstrom (Discounted Cashflow, DCF) wird aus einem bottom-up gerechneten Bewertungsmodell bestimmt. Solche Modelle basieren auf den branchenbezogenen Kennzahlen, die speziell den Umsatz über Marktanteile oder Umsatz pro Nutzer ermitteln. Zu diesen Annahmen gibt es häufig "ewige" Debatten, da größtenteils keine Historie zu den Annahmen vorhanden ist. Mit Bezug auf den langen Zeitraum bis zur Monetisierung wird das Umsatzwachstum zumeist früher angenommen als in der Realität möglich. Die DCF-Methode wird am häufigsten sowohl in der frühen Wachstumsphase als auch in der Monetisierungsphase angewendet. In absteigender Häufigkeit werden die Top-down-Bewertungsmodelle der Triangulation mit traditionellen Finanzmultiplikatoren und mit wachstumsbereinigten Multiplikatoren angewendet. Bei den traditionellen Multiplikatoren werden die Kennzahlen EBITDA, P/EG (Preis, Gewinn) und der Enterprise Value (Unternehmenswert) verwendet. Bei den wachstumsbereinigten Multiplikatoren, die von weniger als die Hälfte der Investoren benutzt werden, wird das Start-up/Wachstumsprojekt mit den Kennzahlen PEG (Preis, Gewinn, Wachstum/Price, Earnings, Growth) und zukünftigen Enterprise Value bewertet. Diese Kennzahlen beinhalten das Wachstum des Unternehmens und die daraus entstehenden Gewinnpotenziale mehr.
Trotz geringer Relevanz der Finanzkennzahlen und ihren Methoden ist es in den ersten Jahren wichtig, frühzeitig ein klares Geschäftsmodell für das Start-up/Wachstumsprojekt zu haben. Die Wertschöpfung in digitalen Unternehmen muss plausibel beschrieben werden, denn Start-ups stehen schnell vor der Herausforderung, das Geschäftsmodell plausibel auf der Basis von nachvollziehbaren Kennzahlen zu präsentieren, auch wenn sie aufgrund ihres kurzen Bestehens meist noch keinen Cashflow verzeichnen. Die digitalen Geschäftsmodelle verzeichnen anfangs einen hohen Unsicherheitsfaktor, sodass traditionelle Finanzkennzahlen zu Beginn eine untergeordnete Rolle spielen. Aus den vorgenannten Gründen kann das Start-up/Projekt in der frühen Phase, wenn es nicht profitabel ist, mit dem PRG (Preis/Umsatz/Wachstum) und einem Multiple bewertet werden. Zur Messung des Fortschritts werden das Nutzerwachstum, die Marktgröße, die Nutzeraktivierung, spontane Werbung und Umsatz pro Nutzer als operative KPIs verwendet. In der späten Phase, wenn ein schnelles Gewinnwachstum begonnen hat, wechselt die Bewertung von PRG zu PEG (Preis, Gewinn, Wachstum) und einem Multiple. Die operativen Kennzahlen müssen sich auf das Umsatzwachstum, die Aufnahmegeschwindigkeit, das Markenbewusstsein und weiterhin den Umsatz pro Nutzer fokussieren.