Prof. Dr. Dr. Carl-Christian Freidank
Rz. 97
Das mit dem Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) 2004 eingeführte 2-stufige Enforcement-System (§ 342b–§ 342e a. F. HGB) sollte dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung und ihrer Prüfung sicherzustellen. Auf der ersten Stufe prüfte die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e. V. (DPR) die zuletzt festgestellten Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte kapitalmarktorientierter Mutterunternehmen. Der Umfang der Prüfungshandlungen war jedoch weitaus geringer als der einer vollständigen Konzernabschlussprüfung. Sowohl die Anlassprüfungen als auch die Stichprobenprüfungen beschränkten sich auf ausgewählte Prüffelder. Die jeweiligen Prüfungsschwerpunkte wurden dabei primär vom fallverantwortlichen Mitglied der DPR e. V. in Abhängigkeit von den individuellen Verhältnissen des Konzerns festgelegt.
Rz. 98
Sofern ein Unternehmen die Mitarbeit oder die Anerkennung des Prüfungsergebnisses verweigerte oder Zweifel an der Qualität der Prüfung oder des Prüfungsergebnisses bestehen, griff auf der zweiten Stufe des Enforcement-Systems die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein (§ 37p Abs. 1 a. F. WpHG). Die praktischen Erfahrungen mit den Enforcement-Institutionen deuteten darauf hin, dass das Enforcement-System neben dem Aufsichtsrat und dem Abschlussprüfer als "dritte Säule der Überwachung" kapitalmarktorientierter Unternehmen von den betroffenen Unternehmen durchaus akzeptiert wurde.
Rz. 99
Im Zuge des Wirecardskandals und in Folge der Novellierungen durch das FISG wurde auch das nationale Enforcement-System (Bilanzkontrollverfahren) geändert. Zukünftig ist ausschließlich die BaFin für die Bilanzkontrolle zuständig, indem sie beim Verdacht auf Bilanzverstöße unmittelbar gegenüber den betreffenden kapitalmarktorientierten Unternehmen als Institution zur Durchsetzung hoheitlicher Ziele auftreten kann. Die DPR e. V. existiert damit nicht mehr, womit das Enforcement-System nunmehr aus einer Stufe besteht.
Rz. 100
Die BaFin prüft, ob der zuletzt gebilligte Konzernabschluss und der zugehörige Konzernlagebericht, der zuletzt offengelegte Konzernabschluss und der zugehörige Konzernlagebericht sowie der zuletzt veröffentlichte Konzernzahlungsbericht eines kapitalmarktorientierten Unternehmens den anzuwendenden Rechnungslegungsnormen, d. h. den Gesetzen, den GoB sowie den deutschen oder internationalen Rechnungslegungsstandards entspricht.
Rz. 101
Ggf. in einer Enforcement-Prüfung festgestellte Verstöße gegen Rechnungslegungsstandards sind von der BaFin unter Nennung des betroffenen Unternehmens bekanntzumachen (z. B. im elektronischen Bundesanzeiger), wenn ein öffentliches Interesse an der Publikation der konstatierten Fehler besteht. Darüber hinaus teilt die BaFin Tatsachen, die den Verdacht auf Straftaten im Bereich der Rechnungslegung begründen, den zuständigen Behörden (z. B. Staatsanwaltschaft) mit. Beim Vorliegen einer Berufspflichtverletzung des Konzernabschlussprüfers erfolgt eine Meldung an die Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Aufsichtskontrolle.
Rz. 102
Allerdings hatte der deutsche Gesetzgeber mit der Struktur des ursprünglichen deutschen Enforcement-Systems im internationalen Vergleich einen Sonderweg eingeschlagen. So finden sich in der überwiegenden Mehrheit der Länder, wie etwa Frankreich, Spanien, Italien und den USA, wo ausschließlich die Securities and Exchange Commission (SEC) mit dem Enforcement betraut ist, rein einstufige staatliche Verfahren. Allein das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland vertrauen der rein privatrechtlich organisierten Variante des Enforcements, indem auf die Regulierung durch hoheitliche Kompetenzen verzichtet und der Wirtschaft die Selbstregulierung überlassen wird. Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass im europäischen Raum die Enforcement-Systeme auf nationaler Ebene geschaffen wurden. Allerdings ist geplant, eine zentrale europäische Enforcement-Institution zu installieren, wobei sich in der Vergangenheit das Commitee of European Securities Regulators (CESR) als unabhängiges Gremium der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde zu einer übergeordneten Instanz entwickelt. Seine Aktivitäten zielten grundsätzlich darauf ab, das Vorgehen der nationalen Enforcement-Institutionen zu koordinieren und eine Abstimmung mit den entsprechenden Regelungen der SEC zu erreichen.