Dr. Mario Stephan, Benjamin Grether
In den nachfolgenden Abschnitten werden 3 aktuelle Praxisbeispiele in anonymisierter Form vorgestellt, um einen Eindruck zu vermitteln,
- in welchen Bereichen heute schon erfolgreich mit Predictive Analytics gearbeitet werden kann,
- wie jeweils vorgegangen wurde und
- welcher Nutzen für das projektgebende Unternehmen erreicht wurde.
4.1 Accounts Receivable Forecast
Ausgangslage und Zielsetzung
Im projektgebenden Unternehmen aus dem Bereich Life Science wurde festgestellt, dass in 2 Kernmärkten über die Jahre fast jede zweite Rechnung von den Kunden zu spät bezahlt wurde und insb. Neukunden zu einer verspäteten Zahlung neigten. Aufgrund der Vielzahl denkbarer Gründe für diese Situation konnte das Unternehmen nicht mit klassischen Zeitreihenanalysen arbeiten. Zudem war unklar, inwieweit ein Prognosemodell hier zusätzliche und handlungsleitende Erkenntnisse liefern könne. Der Group-CFO beauftragte daher das Horváth & Partners Steering Lab, einen "Proof-of-Concept" für den Accounts-Receivable-Prozess zu erstellen und konkrete Strategien zur Verbesserung der Situation zu definieren.
Vorgehen
Auf Basis der Daten der größten Produktgruppen wurde zuerst ohne Experteninput seitens des Unternehmens eine erste, rein datenbasierte Analyse möglicher Einflussfaktoren durchgeführt, die erst anschließend mit dem Unternehmen plausibilisiert wurde. Um nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer verspäteten Rechnungsbegleichung zu berechnen, sondern auch die Dauer der Verspätung, wurde ein Modell mit 2 Kernalgorithmen entwickelt.
- Der erste Algorithmus produzierte eine Ja/Nein-Entscheidung hinsichtlich der zu erwarteten Verspätung bis auf Stufe von einzelnen Transaktionen (Klassifikation).
- Der zweite Algorithmus berechnete die zu erwartende Dauer in Tagen für eben jene Transaktionen (Scoring).
Abb. 5: Vorgehen im Projekt
Die einzelnen Transaktionen wurden im Anschluss entsprechend ihrer Kritikalität, d. h. Verspätungsprognose und Transaktionsvolumen, gelistet und entsprechend visualisiert.
Ergebnisse
Das erarbeitete Accounts-Receivable-Modell übertraf alle Erwartungen des Unternehmens. Im Bereich Accounting wurde bspw. eine bessere Compliance mit IFRS 9 erreicht, weil die "bad debt allowance" präziser berechnet und das Ausfallrisiko besser prognostiziert werden konnte. Im NWC-Management konnten die Cash Collection verbessert und die Liquiditätsplanung optimiert werden, im Verkauf konnte der Fokus auf die profitableren und weniger risikoreichen Kunden gelegt und verfeinerte Preisstrategien entwickelt werden. Im Bereich Operations wurden der Mahnprozess optimiert und das Kapazitäts- und Ausliefermanagement entsprechend angepasst.
Abb. 6: Projektergebnis
Ebenso wichtig wie die genannten Ergebnisse und die kundenseitigen Erkenntnisse hinsichtlich der eigenen Daten war das Verständnis des Prozesses und der Voraussetzungen für zukünftige Predictive-Analytics-Projekte. So wurde bspw. deutlich, dass die definierte Tabellenstruktur im ERP-System für eine automatisierte Befüllung von bestimmten Algorithmen ungeeignet und die Werte einer erfolgten Akquisition in den historischen Daten wider Erwarten nicht abgebildet waren.
4.2 Predictive Maintenance
Ausgangslage und Zielsetzung
Ein großer Flugzeugturbinenhersteller fragte an, ob durch den Einsatz von Predicitve Analytics der Prozess von Maintenance, Repair and Overhaul (MRO) schneller und effizienter gestaltet werden könnte. Das Unternehmen prüft in regelmäßigen Abständen die im Einsatz befindlichen Triebwerke auf Schäden an den Turbinenschaufeln und tauscht diese gegebenenfalls aus. Im bisherigen Prozess wurden Turbinenschaufeln aufwendig manuell und visuell auf Schäden und Partikeleinschläge untersucht. MitarbeiterInnen untersuchten White Light Scans der Turbinenschaufeln auf Auffälligkeiten und validierten diese manuell. Die Schadensklassifizierung war ungenau und stark abhängig von den untersuchenden MitarbeiterInnen. Ziel des Projektes war es, den MRO-Prozess durch Predictive Analytics zu automatisieren und gleichzeitig die Qualität zu erhöhen.
Vorgehen
Zur Modellierung wurden in diesem Projektbeispiel Methoden aus dem Bereich Computer Vision (Maschinelles Bildverstehen) und Machine Learning miteinander kombiniert. Die Computer Vision identifizierte auffällige Stellen auf den 3D-Scans, die anschließend mit Machine-Learning-Methoden nach "Schaden" und "kein Schaden" klassifiziert wurden. Als Grundlage für die Modellierung der Schadenserkennung dienten die bereits existierenden Scans der Turbinenschaufeln. Anschließend wurde ein Machine-Learning-Algorithmus zur Musterkennung auf die auf den Scans markierten Schäden trainiert. Zusätzlich zu den Scans wurden noch weitere Features zur Analyse und Klassifizierung berücksichtigt, wie bspw. Einsatzgebiet, Position am Flugzeug und Einsatzdauer. Um die beste Performance zu erreichen, wurden unter anderem die Algorithmen XGBoost, Random Forest und neuronales Netz getestet und miteinander verglichen. Die beste Performance erzielte ein XGBoost-Algorithmus.
Abb. 7: Projektergebnis
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Modellierung inklusi...