Prof. Dr. Ronald Gleich, Dipl.-Kfm. Markus Brenner
Zusammenfassung
- In allen Branchen hat die Bedeutung von Prozessen für Unternehmen stark zugenommen. Insbesondere die zunehmende Digitalisierung erfordert eine fokussierte Prozessbetrachtung. Für viele Unternehmen wird der Prozessfokus zum strategischen Erfolgsfaktor.
- Entsprechend der hohen Bedeutung von Prozessen müssen Unternehmen auch in der Unternehmenssteuerung die Prozessperspektive abbilden. Hierzu ist ein umfassendes Prozesscontrolling als Ergänzung des Controllingsystems aufzubauen.
- Viele Unternehmen haben jedoch bislang nur einzelne Elemente bzw. Aspekte eines Prozesscontrollings realisiert. Teilweise wird der Fokus auf Prozessperformance auch nur fallweise praktiziert.
- Dieser Beitrag stellt einen umfassenden Ansatz zum Prozesscontrolling vor, indem Aufgaben und Instrumente skizziert und Möglichkeiten der organisatorischen Abbildung aufgezeigt werden.
1 Prozessfokus als strategischer Erfolgsfaktor
Ein wichtiger strategischer Erfolgsfaktor von Unternehmen liegt in der Fokussierung auf Prozessen. "Thousands of organizations, large and small, private and public, are reaping extraordinary benefits by managing their end-to-end business processes." Prozessbezogene Ansätze in unterschiedlichster Ausprägung haben in Unternehmen eine lange Tradition. Viele Unternehmen haben modellierte Prozessdarstellungen, welche bei der Einführung von ERP-Systemen entstanden sind, die für das Qualitätsmanagement genutzt oder als Instrument zur Kommunikation für Mitarbeiter bereitgestellt werden.
Im Rahmen von Optimierungs- und Effizienzsteigerungsprogrammen werden i. d. R. prozessbezogene Vorgehensweisen gewählt. Einige Unternehmen haben auch die Aufbauorganisation um eine Prozesssicht erweitert und Prozessverantwortliche ernannt. Die Anwendungsfälle für Prozessansätze in der Praxis sind sehr vielfältig. Allerdings lässt sich auch feststellen, dass in den meisten Unternehmen eine dauerhafte Fokussierung auf Prozesse und ein kontinuierliches Prozesscontrolling bislang nicht auf der Agenda des Top Managements standen.
In der Praxis lässt sich jedoch ein Trend beobachten. Für eine steigende Anzahl an Unternehmen wird die Prozessfokussierung zum strategischen Erfolgsfaktor und steht entsprechend im Fokus der Entscheidungsträger. Auslöser ist in den meisten Fällen die Automatisierung und Digitalisierung der Unternehmenswelt.
Die Umsetzung von Automations- und Digitalisierungsinitiativen erfordert i. d. R. eine Betrachtung von Prozessen und deren Standardisierung. Sowohl bei kleineren Automationen mittels Robotic Process Automation (RPA), der Automation von Dienstleistungseinheiten als auch bei umfassenden Digitalisierungsprogrammen an der Kundenschnittstelle, sind Prozesse der Ausgangs- und Mittelpunkt der Aktivitäten.
Eine Prozessorientierung wird darüber hinaus als ein Teilaspekt für moderne Digitalisierungsansätze für die produzierende Industrie, wie die Industrie 4.0, betrachtet. Um der hohen Bedeutung von Prozessen gerecht zu werden, ist der Aufbau eines Prozesscontrollings unabdingbar.
2 Prozesscontrolling: Einordnung
In "modernen" Controlling-Methoden wie Target Costing, Balanced Scorecard und der Prozesskostenrechnung ist eine Prozessbetrachtung ein wesentliches Element. Trotzdem spielt Prozesscontrolling bislang in vielen Unternehmen eine untergeordnete Rolle.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen liegt für viele Controllingeinheiten der Schwerpunkt auf der finanzorientierten Planung und Steuerung, die sich v.a. auf Organisationseinheiten (Geschäftsbereiche, Kostenstellen) oder Vertriebsstrukturen (Produkt, Produktgruppe, Kunde, Kundengruppe) beziehen. Für eine Beschäftigung mit den Prozessen, die horizontal zu den Organisationseinheiten verlaufen, bleibt oft wenig Raum.
Zum anderen ist die Anwendung der Methoden mit Prozessfokus vielfach nicht zufriedenstellend. Herausfordernd dabei ist die Ermittlung von konkreten Werten für Prozesskennzahlen. Entsprechend der Schwerpunktsetzung vieler Controlling-Einheiten auf die finanzielle Steuerung sind die genutzten Systeme vorrangig auf diese Dimensionen ausgerichtet.
Die Prozesskostenrechnung wird nur selten als Instrument zur Unterstützung der Prozesssteuerung genutzt, z. B. als Informationsquelle für Prozessverantwortliche. Vorrangig wird sie als Hilfsmittel zur Verbesserung von Kalkulationen und internen Kostenverrechnungen positioniert. Hierzu werden i. d. R. statische Prozesskostenmodelle aufgebaut, welche einen hohen Aufwand für Aufbau und Pflege aufweisen und somit meistens kaum unterjährig Anwendung in Unternehmen finden.
Ohne ein etabliertes Prozesscontrolling ergeben sich für Unternehmen grundsätzliche Schwierigkeiten bzgl. der Umsetzung einer wirksamen Prozessorientierung sowie eines effektiven Prozessmanagements. So fehlen oftmals vom Management akzeptierte prozessbezogene Steuerungsinformationen, zudem ist eine Abbildung von Prozesszielen im Anreizsystem praktisch unmöglich.
Während in der Vergangenheit die Prozesssicht eher einen "Nice-to-have"-Status innehatte, erfordern d...