Tobias Steinhauser, Annette Koll
Zusammenfassung
- Proaktives Lieferantenrisikomanagement gewinnt in Zeiten volatiler Märkte mehr und mehr an Bedeutung.
- Für den Aufbau eines ganzheitlichen Lieferantenrisikomanagements müssen drei wesentliche Dimensionen berücksichtigt werden: Organisatorische und prozessuale Verankerung, Auswahl der richtigen Risikokategorien und Betrachtung der kompletten Lieferkette.
- Ein proaktives Risikomanagement hilft bei der frühzeitigen Identifikation, Bewertung und Bewältigung von Ereignissen. Die dadurch mögliche schnelle und effektive Reaktion auf Risikoereignisse führt zu einem Wettbewerbsvorteil.
- Risikomanagement wird auch im Hinblick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zunehmend wichtiger.
- Dieser Artikel verdeutlicht die Relevanz eines proaktiven Lieferantenrisikomanagementsystems für Unternehmen. Um aufzuzeigen, wie ein solches System etabliert werden kann, werden ein Framework sowie ein typischer Projektansatz zur Identifizierung und zum Management potenzieller Risiken von Produktionsausfällen und Lieferkettenunterbrechungen vorgestellt.
1 Störungen globaler Lieferketten nehmen deutlich zu
Die Vielzahl besonderer Ereignisse mit großem Einfluss auf globale Lieferketten in der näheren Vergangenheit, wie beispielsweise die COVID-19-Pandemie, die Blockade des Suezkanals durch die "Ever Given", die Chipkrise oder der Krieg in der Ukraine, unterstreichen die Wichtigkeit eines vollumfänglichen Risikomanagements im Einkauf. In den letzten Jahren ist bereits zu beobachten, dass sich der Schwerpunkt des Risikomanagements von einem reaktiven zu einem proaktiven Ansatz verlagert hat, bei dem es um die frühzeitige Erkennung und Eindämmung von Risikoereignissen geht, anstatt Ad-hoc-Maßnahmen zu ergreifen. Reaktive und eindimensionale Risikomanagementsysteme decken zusätzlich häufig nicht die potenziellen Risiken von Katastrophen ab, die Zulieferer innerhalb der gesamten Lieferkette treffen. Es ist daher erforderlich, ein ganzheitliches Lieferantenrisikomanagementsystem einzuführen, welches weit über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinausreicht.
Die Wichtigkeit eines proaktiven Lieferantenrisikomanagementsystems wird durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verstärkt, das am 1. Januar 2023 in Deutschland in Kraft tritt und den betroffenen Unternehmen weitreichende neue Pflichten auferlegt. Eine zentrale Anforderung des Gesetzes ist die Implementierung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagementsystems, um Risiken entlang der Lieferkette frühzeitig zu identifizieren, zu verhindern, zu beenden oder zumindest ihr Ausmaß zu minimieren.
Dieser Artikel verdeutlicht die Relevanz eines proaktiven Lieferantenrisikomanagementsystems für Unternehmen. Um aufzuzeigen, wie ein solches System etabliert werden kann, werden ein Framework sowie ein typischer Projektansatz zur Identifizierung und zum Management potenzieller Risiken von Produktionsausfällen und Lieferkettenunterbrechungen vorgestellt.
2 Elemente eines ganzheitlichen Lieferantenrisikomanagements
Das Ziel bei der Etablierung eines proaktiven Lieferantenrisikomanagementsystems muss sein, die Risiken mit mittel- und unmittelbarer Auswirkung auf die Versorgung der Produktion zu beherrschen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Aufgrund der Vielzahl an verschiedenen potenziellen Risiken ist es essenziell, die relevanten Risiken für das Unternehmen zu identifizieren und kategorisieren, um den Umfang des Lieferantenrisikomanagements zu definieren. Die Wesentlichkeit der Risiken soll auf Basis innovativer und objektiver Bewertungsverfahren analysiert und bewertet werden. Dabei helfen qualitative und quantitative Kriterien bei der Objektivierung (siehe Abb. 1). Die Fokussierung auf wesentliche Risiken schafft die Basis für einen systematischen Lieferantenrisikomanagementprozess und ermöglicht so effiziente Analysen und schnelle Entscheidungsprozesse.
Abb. 1: Strukturierte Analyse der Wesentlichkeit von Risiken
Die Analyse der Wirkung von Risiken im Zeitverlauf ist elementar für eine valide Entscheidungsfindung. Faktoren wie die lange Laufzeit von Entwicklungsprojekten und Beschaffungsverträgen sind beispielsweise zu berücksichtigen, um die Wirkung von Risiken über mehrere Jahre betrachten zu können. Dabei ist zu beachten, dass Risiken einmalig mit einer Wahrscheinlichkeit oder mehrmals mit einer erwarteten Häufigkeit auftreten können. Folglich muss zur proaktiven Lieferantenrisikosteuerung ein mehrjähriger Zeithorizont definiert werden.
Das im weiteren Verlauf vorgestellte standardisierte Framework für ein proaktives Lieferantenrisikomanagement verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und besteht im Wesentlichen aus drei Dimensionen (siehe Abb. 2):
- Risikomanagement Operating Model,
- Risikokategorien und
- Lieferkettenebene
Durch die Berücksichtigung dieser drei Dimensionen kann das Risikopotenzial in der gesamten Lieferkette detailliert analysiert und ein proaktives Lieferantenrisikomanagementsystem etabliert werden.
Abb. 2: Horváth-Lieferantenrisikomanagement-Framework
Die erste Dim...