Zusammenfassung
Die Transformation von R/3 auf S/4HANA ist bei weitem kein rein technisches Projekt um dessen Umsetzung sich der IT-Bereich zu kümmern hat. Vielmehr ist es ein einzigartiges "Window of Opportunity", um die digitale Transformation der FI/CO-Community Realität werden zu lassen. Dazu braucht es jedoch eine klare Vision, ein passendes Fachkonzept und vor allem den Willen, die bisherigen Methoden, Prozesse und Regularien radikal zu hinterfragen. Der Beitrag zeigt die Vorgehensweise innerhalb des Projekts "Accounting and Controlling Excellence" bei BSH, in dem die Weichen für die inhaltliche Ausgestaltung der S/4HANA-Migration gestellt wurden.
1 Finance und Controlling neu ausrichten – aber wie?
Wer aus der Controller-Community kennt nicht die Buzzwords: "Digitalisierung", "Finance Transformation", "S/4HANA", "Predictive Analytics" … Ein bunter Blumenstrauß an "Leading Edge"-Themen, welche man alle irgendwie angehen sollte, aber der Tag hat nur 24 Stunden und Budgets als auch Team-Kapazitäten sind limitiert. Also, wo, wie und mit was anfangen?
Diese Frage stellen sich aktuell wahrscheinlich die betriebswirtschaftlichen Teams von nahezu allen Unternehmen; ganz egal ob KMU oder Konzern. Auch die BSH Hausgeräte GmbH war bzw. ist damit konfrontiert. Der Lösungspfad, den die BSH FICO-Community hierbei gewählt hat (Projektname "Accounting and Controlling Excellence" / ACE) soll im Folgenden näher beschrieben werden. Das Prinzip folgt einem Forschungsflug: Erst die Destination (Vision), dann die Flugroute (Konzept), das Fluggerät (Technikauswahl), danach der Flug inkl. Stop-Overs (Implementierung inkl. Zwischenziele).
BSH: Das Unternehmen und sein ERP-System
Im Jahr 1967 als Gemeinschaftsunternehmen der Robert Bosch GmbH (Stuttgart) und der Siemens AG (München) gegründet, gehört die BSH seit Januar 2015 zu 100 Prozent zur Bosch-Gruppe. Mit rund 62.400 Mitarbeitern und 39 Fabriken weltweit verzeichnete das Unternehmen im Jahr 2021 einen Umsatz von EUR 15,6 Milliarden. Kurz gesagt: Ein globaler Konzern mit internationalen Wertschöpfungsketten und unterschiedlichsten Steuerungsperspektiven. Das Geschäft wird heute transaktional auf einer R/3-ERP-Plattform betrieben, deren Grundlagen vor mehr als 20 Jahren konzipiert wurden, d. h. in einer Zeit, in der digitale Businessmodelle oder auch das D2C-Geschäft noch nicht im Fokus standen. Alle konzernweiten, konsolidierten Steuerungsinformationen werden mit Hilfe unterschiedlicher Business Warehouse Applikationen erzeugt, d. h. außerhalb des transaktionalen ERP-Systems.
2 Destination: Bedarf und Vision
Die gewohnten, über die Jahre gewachsenen System- und Prozessstrukturen funktionieren weiterhin. Jedoch wird zusehends sichtbar, dass ein (zu) hoher Betreiber-Aufwand dafür notwendig ist und dass es zusehends schwieriger wird, neue Änderungen (bspw. aufgrund neuer Business Models) FICO-seitig systemisch, prozessual und v.a. auch in einer End-to-End-Betrachtung umzusetzen (Stichwort: VUCA-Umfeld). Des Weiteren ist zu konstatieren, dass v.a. auf Ebene der Konzernberichterstattung das Zahlenwerk stark geprägt ist durch Aggregate und Durchschnittsbildungen aufgrund technisch-prozessualer Restriktionen der Vergangenheit. Bekanntestes Beispiel hierfür die gewohnte Binarisierung von kostentechnischer Absatz-/Umsatz-Korrelation, besser bekannt unter dem Stichwort "variable/fixe Kosten".
Es stellte sich die Frage, ob seit "Grundsteinlegung" der heutigen System- und Prozesslandschaft neue technologische Möglichkeiten entstanden sind, mit derer Hilfe heutige "Pain Points" inklusive robuster Vereinfachungen beseitigt werden könnten. Nicht nur aufgrund der S/4HANA-Technologie war diese Frage klar zu bejahen, sondern auch im Hinblick auf die rasant gestiegenen Data Processing-Möglichkeiten, welche in Bezug auf Descriptive als auch Predictive Analytics ganz neue Möglichkeiten eröffnen.
Was wäre denn das Zielbild, wenn man alle aktuellen technischen Restriktionen überwinden könnte und alles machbar wäre, was rein logisch funktionieren müsste? Genau dies war die Aufgabenstellung zur Ableitung der Langfrist-Vision des ACE-Projekts und im Ergebnis entstanden zwei zentrale Abbildungen.
Mehr Ressourcen für wertschöpfendere Arbeit
Kernaussage von Abb. 1: Durch entsprechende Befähigung der Daten- und Systemlandschaft können viele repetitive, regel-basierte FICO-Aufgaben in Zukunft automatisiert werden. Damit wird menschliche Kapazität frei für wertschöpfendere Arbeit, aufsetzend auf den maschinell produzierten Ergebnissen. Google Search und Google Maps dienen hierbei als erklärende Analogien:
- Google Search im Sinne von Bereitstellung relevanter Steuerungsinformationen zu jeder Zeit;
- Google Maps im Sinne von kontinuierlicher Verfügbarkeit konsistenter What-If-Szenarien zur Beurteilung unterschiedlicher Umfeld- und Handlungsszenarien bei fixierter Zielsetzung.
Abb. 1: Das Zielbild des Accounting and Controlling Excellence-Projekts
Informationen stehen früher zur Verfügung
Kernaussage von Abb. 2: Zwei der drei Kern-Wertbeiträge der FICO-Funktion – Performance-Messung (HOW) und Performance-Analyse ...