Daniel Käshammer, Dr. Andreas Bolik
Die Gebäude-AfA richtet sich grundsätzlich nach typisierten Prozentsätzen in Abhängigkeit von u.a. Nutzungsart und Datum des Bauantrags (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG). Liegt eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vor, kann diese ausnahmsweise anstelle des typisierten AfA-Satzes herangezogen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG). Laut BFH darf sich der Steuerpflichtige zum Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer grundsätzlich jeder geeigneten Darlegungsmethode bedienen (BFH, Urteil v. 28.7.2021, IX R 25/19, NV).
Die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 zunächst geplante komplette Streichung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG (Möglichkeit der Anwendung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer) wurde dann doch nicht durchgesetzt.
Mit BMF-Schreiben v. 22.2.2023 (BStBl 2023 I S. 332) reagiert das BMF auf die BFH-Rechtsprechung und legt fest, in welchem Rahmen es eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer als nachgewiesen sieht. Grundsätzlich bedarf es einer konkreten Rechtfertigung, dass das Gebäude vor Ende des typisierten AfA-Zeitraums wirtschaftlich oder technisch verbraucht ist (Rn. 6 ff.). Anders als der BFH, der eine kürzere Nutzungsdauer nicht von der Vorlage eines Bausubstanzgutachtens abhängig machte, verlangt die Finanzverwaltung grundsätzlich die Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten oder speziell akkreditierten bzw. zertifizierten Sachverständigen. Der Gutachtenzweck muss sich dabei ausdrücklich auf den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer richten.
Die alleinige Abbruch- oder Veräußerungsabsicht rechtfertigt laut BMF noch keine kürzere Nutzungsdauer. Das BMF formuliert im Schreiben die Anforderungen, die aus seiner Sicht erst für die Anwendung einer kürzeren Nutzungsdauer sprechen (Feststehen des Zeitpunkts der Nutzungsbeendigung des Gebäudes; z.B. konkrete Abbruchvorbereitungen oder Abbruchverpflichtung des Steuerpflichtigen, Rn. 9). Für besondere Betriebsgebäude oder bestimmte Gebäudeteile, die selbständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind, kann eine kürzere Nutzungsdauer ohne besondere Nachweispflicht angenommen werden (Rn. 10 ff.).
Weiter legt das Schreiben die für die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer maßgeblichen Kriterien fest (Rn. 17 ff.).
Das Schreiben ist ab dem Zeitpunkt seiner Bekanntgabe im BStBl (s. Heft Nr. 5/2023 v. 21.3.2023) in allen offenen Fällen anzuwenden.
Da BMF-Schreiben die Gerichte nicht binden, besteht die Möglichkeit, gegen die Nichtgewährung einer kürzeren Nutzungsdauer mittels Klage vor den Finanzgerichten vorzugehen. Laut FG Münster kann der Beweis einer verkürzten Rest-Nutzungsdauer durch gutachterliche Bestätigung auch durch ein Verkehrswertgutachten erbracht werden, in dem die Restnutzungsdauer nach der Immobilienwertverordnung (ImmoWertVO) berechnet wird (FG Münster, Urteile v. 14.2.2023, 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F). Das FG verwies dabei u.a. auf das o.g. BFH-Urteil v. 28.7.2021 (IX R 25/19, NV), wonach ein Wahlrecht bestehe, die gesetzlich typisierten AfA-Sätze zu nutzen oder eine tatsächlich kürzere Rest-Nutzungsdauer darzulegen. Eine dargelegte Schätzung sei dabei nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Dabei könne die o.g. Gebäudesachwertermittlung herangezogen werden.