Die nach wie vor anhaltende BEPS-Diskussion in den Medien, die auch die Äußerungen der OECD zum sogenannten Pillar 1 und Pillar 2 Modell beinhaltet, zeigt, dass Teile der Öffentlichkeit, zumindest Journalisten und Finanzverwaltungen, vermeintliche VP-induzierte Gewinnverschiebungen bei multinationalen Großkonzernen sehr genau beobachten. Insbesondere die Konzerne Starbucks, Google und Amazon sind im Jahr 2013 sehr stark an den Pranger gestellt worden, da diese in einzelnen Staaten angeblich keine oder "zu geringe" Steuern bezahlt haben sollen. In den folgenden Jahren wurden außerdem die Steuermodelle von diversen Konzernen (darunter bekannte Namen wie Apple, IKEA, McDonalds und Fiat) im Rahmen der EU-Beihilfeverfahren veröffentlicht und weitere Rufe nach mehr Transparenz laut. Da derartige Berichterstattungen die Reputation von Unternehmen stark beschädigen können, besteht eine gewisse Verunsicherung bzw. Zurückhaltung in den Führungsetagen und den Steuerabteilungen, Steuerplanung zu betreiben. An dieser Stelle sei festgehalten, dass, soweit aus der Presse ersichtlich, nicht etwa illegale Steuerplanungen vorgeworfen werden, sondern vielmehr die Frage gestellt wird, ob legale Steuerplanungsmodelle moralisch vertretbar sind oder nicht. Piltz bringt es treffend auf den Punkt: "Warum erkennen oder benennen die OECD und die Einzelstaaten nicht sich selbst als Verursacher dieser Steuergestaltungen? Es ist unbestritten, dass wir hier nur von sog. legaler Steuervermeidung reden, also nicht von Steuerhinterziehung. Ob man das, was die inkriminierten Unternehmen nutzen, als Steuerschlupflöcher bezeichnen will oder intelligente Nutzung des Gesetzes oder die Nutzung legislatorischer Fehler, ist Geschmackssache. Eines ist aber klar: Es gibt keine legale Steuervermeidung, die nicht aus der Gesetzgebung dieser Staaten selbst resultiert."
Weiterhin sei angemerkt, dass die BEPS-Diskussion leider zu sehr auf die Bekämpfung der doppelten Nichtbesteuerung fokussiert, die in der Praxis nach Einschätzung einiger Unternehmensvertreter deutlich geringere Auswirkungen hat als die Belastung der Unternehmen durch die tägliche tatsächliche Doppelbesteuerung. An dieser Stelle besteht nach wie vor akuter Handlungsbedarf, die Ressourcen der Abteilungen im Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) weiter aufzustocken, die für die Durchführung von internationalen (Vorab-)Verständigungs-/Schiedsverfahren zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen verantwortlich sind. Flankierend sollte die Finanzverwaltung Maßnahmen ergreifen, um deutlich zeitnähere und vor allem auch zahlreichere grenzüberschreitende simultane Betriebsprüfungen mit einvernehmlichem Abschluss durchzuführen, damit die Unternehmen früher Rechtssicherheit erhalten und langwierige Verständigungsverfahren vermieden werden können.
In diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit zur Durchführung koordinierter steuerlicher Außenprüfungen, deren Nutzung man seitens der deutschen Finanzverwaltung in den letzten Jahren verstärkt beobachten kann, sehr zu begrüßen. Ein Vorreiter bei solchen "Joint Audits" war das Bayerische Finanzministerium, das bereits am 22. Juli 2013 das "Internationale Steuerzentrum" gegründet hat, das auf eine stärkere Zusammenarbeit der Staaten bereits während der Betriebsprüfung (Joint Audits mit hoffentlich einvernehmlichem Abschluss) abzielt. Besonders intensiv ist dabei bereits seit vielen Jahren die Zusammenarbeit mit Italien. Für weitere Einzelheiten zu Joint Audits wird auf Teil B, Kapitel 13.2.2 verwiesen.
Zusammenfassung
Unternehmen sind gut beraten, die für sie relevanten finalen BEPS-Berichte und insbesondere die überarbeiteten OECD-VP-Richtlinien vom Juli 2017 sowie die Aktualisierung vom Januar 2022 zu studieren und herauszuarbeiten, ob und inwieweit sich die veränderten Sichten der OECD auf das Unternehmen auswirken. Mit höchster Priorität sollten
- die verrechnungspreisliche Behandlung von konzerninternen Finanzierungstransaktionen wie Darlehen, Cash Pools, Garantien oder Versicherungen auf Konformität mit den neuen Leitlinien überprüft werden;
- bei Übertragungen und Überlassungen von immateriellen Werten die bisherigen Bewertungsansätze und deren Prämissen vor dem Hintergrund des HTVI-Ansatzes kritisch hinterfragt und zusätzliche Unterlagen zur Dokumentation des Informationsstands zum Zeitpunkt der Übertragung aufbewahrt werden;
- die Einhaltung der in den verschiedenen Ländern geltenden, nach den BEPS-Berichten eingeführten VP-Dokumentationsvorschriften, die sich teilweise deutlich von der allgemeinen OECD-Empfehlung unterscheiden, analysiert werden;
- die fristgerechte Meldung gemäß DAC-6-Richtlinie ab dem 1. Juli 2020 sichergestellt werden (viele Unternehmen denken in diesem Zusammenhang über die Einführung standardisierter, toolgestützter Complianceprozesse nach);
- die Auslandsaktivitäten hinsichtlich Betriebsstättenqualifikation überprüft werden (z. B. Kommissionärs- und Agentenstrukturen).