Jörg Hanken, Guido Kleinhietpaß
Die obigen Ausführungen und Beispielfälle/-berechnungen haben gezeigt, dass dem Vertrieb bei 1-Preis-Systemen die ursprüngliche Information über die Gesamthöhe der Konzernmarge verloren geht. Der Vertrieb kennt nur noch einen Teil der Konzernmarge. Die Information geht durch die Einführung eines Verrechnungspreises verloren. Es ist egal, ob es ein steuerlicher oder controllerischer VP ist. Die Information geht nur dann nicht verloren, wenn die Produktion die Leistung zu Teilkosten an den Vertrieb verrechnen würde (vgl. Teil C, Kapitel 17.2.1).
Auf Basis der veränderten Information kann der Vertrieb nicht immer den idealen Preis-Mengen-Mix festlegen, der zu einem maximalen Konzern-DB führt. Zudem ist dieser teilkostenbasierte VP i. d. R. steuerlich nicht akzeptabel und es bestehen Hinzurechnungsrisiken und evtl. Strafzuschläge.
Bei Anwendung einer C+-Methode (vgl. Teil D, Kapitel 21.1.2) hat sich gezeigt, dass der Vertrieb den eigenen Quasi-DBU als Entscheidungsgrundlage für einen optimalen Sortimentsmix (›Sortimentspriorität‹) verwenden kann – natürlich unter der Voraussetzung, dass der Engpass im erreichbaren Umsatz besteht. Der Quasi-DB/Stück ist allerdings unzuverlässig, d. h., die Empfehlung weicht teilweise vom Konzern-DB/Stück ab, was zu Fehlentscheidungen des Vertriebs führen kann. Im untersuchten Beispiel ist der Vertrieb nur in einer von zwei typischen Vertriebssituationen in der Lage, autonom die richtige Entscheidung zu treffen. Zudem gilt für den vorliegenden Fall, dass der anhand einer klassischen C+-Methode gebildete VP i. d. R. steuerlich nicht akzeptabel ist und Hinzurechnungsrisiken und evtl. Strafzuschläge bestehen.
Bei Anwendung einer Resale-Minus-Methode (vgl. Teil D, Kapitel 21.1.2) hat sich gezeigt, dass der Vertrieb den eigenen Quasi-DB (nicht aber den Quasi-DBU, da dieser für alle Produkte identisch ist) als Entscheidungsgrundlage für einen optimalen Preis-Mengen-Mix verwenden kann, sofern der Engpass in der maximalen Verkaufsmenge besteht. Von den beiden ausgewählten, typischen Situationen (Engpass ist der Umsatz bzw. die Stückzahl) ist der Verrechnungspreis auch hier nur in einem der beiden Fälle in der Lage, die richtige Entscheidung selbstständig herbeizuführen. Auch mit der R–Methode kann es zu Fehlentscheidungen des Vertriebs kommen. Die R-Methode ist für den vorliegenden Sachverhalt (Verkauf von Strategieträger [Produktion] an Routinevertriebsgesellschaft) steuerlich zulässig.
Als Nächstes soll eine Handlungsoption für Kundenpreise, die nahe oder unter dem VP liegen, skizziert werden.
Das folgende Beispiel aus der Praxis zeigt, dass der Vertrieb ohne ergänzende Informationen und Steuerungsinstrumente bei ungünstigen Rahmenbedingungen, wie z. B. bei einem Kundenpreisverfall, nicht verlässlich entscheiden kann, ob er das Geschäft annehmen oder ablehnen soll. Aus Konzernsicht besteht die Gefahr einer Fehlentscheidung des Vertriebs.
Beispiel: Gefahr einer Fehlentscheidung des Vertriebs
Sachverhalt:
Der konzerninterne (Routine-)Auftragsfertiger in Polen produziert und fakturiert die Produkte zu C+ 5 % an den deutschen Strategieträger, der noch weitere Fertigungsschritte ausführt, um die Fertigprodukte anschließend an die Vertriebsgesellschaft in den USA auf Basis von R- 20 % zu veräußern. Die VP werden jeweils zu Beginn des Wirtschaftsjahres für ein ganzes Jahr in einer konzerninternen VP-Liste festgelegt und unterjährig nicht angepasst.
Im Ausgangsfall ›A‹ beträgt der Endkundenpreis 100 EUR und der Verrechnungspreis an den Vertrieb gemäß R- 20 % 80 EUR.
Die Ergebnissicht der drei Konzerngesellschaften soll inklusive der zugrunde liegenden Kalkulationen vereinfacht dargestellt werden:
Abb. 218: Vereinfachte GuV – Ausgangsfall
Konsolidiert ergibt sich ein Deckungsbeitrag I von 55 EUR aus 100 EUR Endkundenpreis abzüglich 47 EUR konsolidierter Produktkosten bzw. im Sinne des Umsatzkostenverfahrens beträgt die Bruttomarge vom Umsatz 45 EUR. Im Gesamtkostenverfahren betrüge die konsolidierte Betriebsleistung 100 EUR. Das entspricht der Umsatzhöhe, denn Bestandsveränderungen gab es nicht.
In der Abwandlung ›B‹ verschlechtert sich nun die Konjunkturlage erheblich, sodass bei erheblichen Überkapazitäten der Endkundenpreis auf 79 EUR verfällt und es gilt die Annahme, dass der Vertrieb ausschließlich den VP gemäß der zu Beginn des Jahres verabschiedeten VP-Liste sowie seine eigenen Kennzahlen kennt. Hier stellt sich nun die Frage, ob der Vertrieb die Produkte für 79 EUR veräußern soll oder nicht.
Bei einem Endkundenpreis von 79 EUR und einem internen VP von 80 EUR würde der Vertrieb 1 EUR negativen Quasi-Deckungsbeitrag I (Bruttomarge) erleiden. Da der Vertrieb keine Kenntnis über die Margen der Vorstufen hat, würde er das Geschäft mit dem Kunden ablehnen. Aber was geschieht im Detail bei den drei Legaleinheiten? Die in Polen gefertigte und an Deutschland gelieferte Ware würde nun als Bestandsaufbau ins Lager gelegt. Aus Sicht des polnischen Produktionsunternehmens hat sich also nicht...