Prof. Dr. Reinhold Hölscher, Dr. Christian Hornbach
In gegensätzlicher Richtung zu den leistungswirtschaftlichen Güterbewegungen fließen i. d. R. monetäre Finanzmittelströme. Folglich haben die dargestellten Ineffizienzen im leistungswirtschaftlichen Güterkreislauf direkt Auswirkungen auf die finanzielle Situation und damit den finanzwirtschaftlichen Bereich des Unternehmens. Daneben können rein finanzwirtschaftliche Fehldispositionen (wie z. B. Spekulationsverluste, fehlerhafte Liquiditätsbedarfs- und Finanzierungsplanung, Rating-Abstufungen) eine direkte Verschlechterung der finanziellen Situation des Unternehmens bewirken.
4.1 Rechenkreise des betrieblichen Finanzbereichs
Als systematischer Ansatzpunkt zur Identifikation der finanzwirtschaftlichen Ursachen einer Unternehmenskrise bieten sich zunächst die unterschiedlichen Rechenkreise des betrieblichen Finanzbereichs an. Demnach können die finanzwirtschaftlichen Ursachen zum einen innerhalb der bilanziellen Bestandsgrößen, d. h. innerhalb von Vermögen und Kapital bzw. aktiv- und passivseitig, zum Ausdruck kommen.
Zum anderen können die Ursachen innerhalb der Stromgrößen, d. h. innerhalb der Finanzrechnung (Auszahlungen vs. Einzahlungen bzw. Ausgaben vs. Einnahmen) sowie innerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung (Aufwendungen vs. Erträge) respektive der kalkulatorischen Erfolgsrechnung (Kosten vs. Leistungen) zu finden sein. Eine ausschließlich separierte Betrachtungsweise der verschiedenen Rechenkreise ist nicht zielführend, die Zusammenhänge zwischen der Bestands- und der Stromgrößenrechnung dürfen nicht vernachlässigt werden.
4.2 Integrierte Betrachtung der Rechenkreise
Die Notwendigkeit zur integrierten Betrachtung der unterschiedlichen Rechenkreise zur Identifikation der Ursachen der Unternehmenskrise kann am Beispiel der unterschiedlichen Möglichkeiten der Erfolgsermittlung und am Beispiel der Ermittlung des Liquiditätssaldos verdeutlicht werden.
Vermögensvergleich
Als ein Krisensymptom wurde bereits ein über mehrere Perioden auftretender negativer Periodenerfolg aufgeführt. In der Bilanz wird der betriebliche Erfolg durch Vergleich des Nettovermögens (= Vermögen minus Schulden) zum Beginn und zum Ende der Rechnungsperiode ermittelt. Da jede für die Bestimmung von Gewinn und Verlust relevante (= erfolgswirksame) Wertänderung des Vermögens als Aufwand oder Ertrag einer bestimmten Periode zugerechnet wird, ist der Periodenerfolg auch als Saldo der Aufwendungen und Erträge (= Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung) bestimmbar. Die in beiden Rechnungen ermittelten Saldogrößen (= Erfolgsaldo) sind dabei identisch.
Ein negatives Nettovermögen kann eine wirtschaftliche Überschuldung bewirken und nach § 19 Abs. 2 InsO ein Insolvenzeröffnungsgrund sein, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Liquiditätssaldo
Das zweite Symptom einer Unternehmenskrise ist die Illiquidität des Unternehmens. Der Liquiditätssaldo (einer Periode) ergibt sich aus der Finanzrechnung als Differenz zwischen (Perioden-)Einnahmen und (Perioden-)Ausgaben. Nur wenn die Einnahmen die Ausgaben übersteigen, ergibt sich ein positiver Liquiditätssaldo, welcher wiederum aktivseitig als Kassenbestand zu bilanzieren ist.
Die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Rechenkreisen (siehe Abbildung 2) sind bei der Analyse der finanzwirtschaftlichen Krisenursachen stets zu berücksichtigen.
Abb. 2: Zusammenhänge zwischen den betrieblichen Rechenkreisen
4.3 Überschuldung
Die Überwindung der Unternehmenskrise kann neben dem dringenden Erfordernis der Beseitigung der Krisenursachen die finanzielle Sanierung des Unternehmens erfordern. Als ein in der Bilanz ersichtlicher Indikator für die Notwendigkeit der finanziellen Sanierung eines Unternehmens ist die Überschuldung anzusehen.
In der Bilanz werden die Vermögenswerte auf der Aktivseite erfasst. Das Kapital, bestehend aus Eigenkapital (EK) und Fremdkapital (FK), steht auf der Passivseite (siehe Abbildung 3, links). Eine aktivseitige Erhöhung der Vermögenswerte, die auf einen positiven Erfolgssaldo zwischen Aufwendungen und Erträgen zurückzuführen ist, spiegelt sich passivseitig in einer Erhöhung des Eigenkapitals i. H. d. Gewinns wider (siehe Abbildung 3, Mitte). Sofern der Saldo aus Aufwendungen und Erträgen negativ ist (= Verlust), vermindert sich das Vermögen um diesen Betrag. Dies kommt einer Vernichtung von Eigenkapital gleich. Eine Überschuldung liegt dann vor, wenn der in einer Rechnungsperiode erwirtschaftete (Vermögens-)Verlust das gesamte Eigenkapital übersteigt (siehe Abbildung 3, rechts).
Abb. 3: Einfache Bilanz, positiver Erfolgssaldo und Überschuldung
Abweichend von der zum leichteren Verständnis gewählten Darstellung in Abbildung 3 schreibt der Gesetzgeber den Kapitalgesellschaften aus Gründen des klaren Eigenkapitalausweises in § 266 Abs. 3 HGB vor, den Verlust (Jahresfehlbetrag) ebenfalls – als Negativbetrag – als Passivposition in die Bilanz aufzunehmen.
Bei Erörterung der Überschuldung als Indikator für die (finanzielle) Sanierungsbedürftigkeit eines Unternehmens ist zudem zwischen bilanzieller und...