Hans Joachim Grabow, Heinrich Judt
Wechseln wir nun zur Anwendung der KEPs-Methodik in die MChef-Welt. Im Kern unseres Geschäftsmodells steht der Abverkauf von frischen Lebensmitteln mit einer sehr kurzen Mindesthaltbarkeit in 4 Kundensegmenten – Transport, Hotellerie, Sport & Events und Privathaushalte. Werttreibend bei MChef ist die Koordination und Vorsteuerung der Nachfrageentwicklung mit der Verfügbarkeit von Waren zu einem bestimmten Einkaufspreis.
Die Reaktionen der Nachfrageentwicklung durch die Corona-bedingten Verwerfungen, aber auch durch die Auswirkungen und Unsicherheiten des Ukraine-Kriegs waren höchst unterschiedlich. Zudem mussten wir erhebliche Schwankungen der Einkaufspreise und der Warenverfügbarkeit auf der Angebotsseite zur Vorsteuerung und zum Forecasting der Geschäftserwartungen berücksichtigen.
Den Rohstoffpreissteigerungen z. B. für norwegischen Lachs folgten zuletzt komplette Lieferausfälle der Vorlieferanten. Hier kommt der KEPs-Steuerung durch die quantitative Modellierung und Simulation der Entwicklungen sowohl auf der Angebots- als auch Nachfrageseite eine entscheidende Bedeutung zu. Die in Zahlen sichtbar werdenden Szenarien erleichterten unsere Entscheidungsfindung bei der Auswahl und Priorisierung geeigneter Maßnahmen zur Gegensteuerung.
Zum einen investierten wir im erheblichen Umfang in erweiterte Kühl- und Tiefkühllager, um die in Erwartung steigender Rohstoffpreise eingekauften Mengen einlagern zu können. Zum anderen reagierten wir mit dem Abschluss verkürzter Preisbindungen gegenüber der Kundenseite sowie kurzfristigen Sortimentsanpassungen bei komplett wegfallender Verfügbarkeit bestimmter Einkaufsartikel. Durch diese Art der Vorsteuerung und Modellierung konnten wir zwar Einbrüche auf unsere Umsatz- und Ertragsentwicklung nicht verhindern, aber erheblich minimieren.
Mit diesem Praxisbericht aus den "zwei Welten" möchte ich zusammenfassend feststellen, dass kritische Ereignisse zu leicht als Folge willkürlicher Volatilitäten und damit fälschlicherweise weder als Vorsteuer- noch Forecast-fähig abgetan werden. Volatilität und Komplexität darf also kein universelles Argument sein, die Entwicklung zu schnell als gegeben zu akzeptieren – eine typische, gefährliche implizite Annahme der Unternehmenssteuerung.
Daher ist es auch fatal, rollierende Forecasts als simple Fortschreibung aktueller Daten für die Zukunft aufzustellen. Diese sollten auf KEPs basieren, deren direkte und indirekte Einflussgrößen hinreichend bekannt und bewertbar sind. Durch die KEPs-Steuerung ergeben sich für das Management die notwendigen Zeiträume, welche proaktives Handeln überhaupt erst (noch) ermöglichen.
Vorsteuerung in regelmäßigen Intervallen
Zuletzt erlaube ich mir noch den Hinweis, dass Vorsteuerung als vergemeinschaftete Führungsaufgabe unter Einbindung des Teams in regelmäßigen Intervallen erfolgen sollte. Auf diese Weise entstehen permanente Lernprozesse, die sich positiv auf die Planungskompetenz und die Reaktions- und Anpassungsgeschwindigkeit der Organisation auswirken und die Resilienz des Unternehmens steigern. Zudem erhöht diese etablierte Routine das Vertrauen und das Zusammenspiel innerhalb des Management-Teams.