Wann sollten wachsende Unternehmen ein Finance-ERP-System einführen?

Warum ein Finance-ERP-System?
Ein Finance-ERP-System wird ab einer bestimmten Unternehmensgröße unverzichtbar, damit es steigende Komplexität und Transaktionsvolumen effizient bewältigen kann. Eine solche Software verbessert Buchführung, Controlling und Compliance und ermöglicht eine umfassende Kontrolle der Finanz- und Zahlungsströme. Während kleinere Unternehmen oft mit in eine Steuerberatung ausgelagerten Buchhaltung auskommen, sollte ab etwa 25 Mitarbeitenden oder 10 Millionen Euro Umsatz ein internes System implementiert werden. Dies gilt insbesondere für Startups und Scaleups, ist aber auch für etablierte Mittelständler mit hohen Wachstumsraten zu empfehlen.
Laut einer Umfrage aus der „Finance Leaders’ League“ nutzen 62 % der Startups und Scaleups weiterhin DATEV, meist mit reinen Accounting-Funktionen, während umfassendere ERPs wie Netsuite oder SAP nur selten vollständig ausgeschöpft werden. Dieser Rückstand verhindert die Nutzung systemischer Vorteile wie bessere Zusammenarbeit, optimierte Prozesse und nachhaltiges Wachstum. Ein gut implementiertes Finance-ERP schafft eine saubere Datenbasis für eine gute Entscheidungsfindung, unterstützt aber auch zukunftsweisende Projekte wie KI-Anwendungen.
Wann ist die richtige Zeit für eine ERP-Einführung?
Der ideale Zeitpunkt für die Einführung eines ERP-Systems ist individuell und von mehreren Faktoren abhängig. Eine frühe Implementierung ermöglicht die Optimierung von Unternehmensprozessen von Beginn an, den Zugang zu Expertenwissen des Anbieters und verhindert Probleme durch bereits bestehende Einzellösungen. Eine spätere Einführung hingegen kann sinnvoll sein, wenn in der Anfangsphase oft finanzielle Ressourcen knapp sind und Prozesse sowie zukünftige Entwicklungen noch unklar bleiben. Zudem erfordert diese Phase häufig Flexibilität und schnelle Anpassungen, während in einer ruhigeren Unternehmensphase die Implementierung reibungsloser verlaufen kann. Wichtige Entscheidungsfaktoren für den geeigneten Zeitpunkt sind geplantes Wachstum, hohe Reporting-Anforderungen z.B. seitens der Investoren und die Notwendigkeit eines flexiblen Systems bei einer geplanten Internationalisierung.
Kosten vs. Nutzen: Wann können wir uns das leisten?
Bei der ERP-Einführung ist zu prüfen, ob sie einen Nutzengewinn oder eine Kostensenkung bringt. Dafür sollten Angebote verschiedener Softwarelösungen eingeholt und im Rahmen eines Benchmarkings verglichen werden. Die Kosten werden idealerweise in Einmalkosten (z. B. Lizenzkauf, Customizing) und laufende Kosten (z. B. Wartung/Jahreslizenzkosten, Hosting) aufgeteilt und als „Total Cost of Ownership“ den aktuellen sowie alternativen Systemkosten gegenübergestellt. Dabei sind Rabatte, Zuschüsse, Anpassungskosten anderer Systeme und interne Aufwände zu berücksichtigen. Wichtig ist auch, den Zeithorizont für die Amortisation der Investition zu definieren, oft basierend auf einer typischen Nutzungsdauer von fünf Jahren.
Die Nutzenbewertung gestaltet sich schwieriger, da branchentypische Vergleichswerte oft fehlen. Prozessautomatisierungen können Effizienzgewinne von 10–30 % ermöglichen, was mehr Geschäft mit bestehendem Personal oder den Verzicht auf Ersatz ausscheidender Mitarbeitenden erlaubt.
Die Auswahl: Welches ERP passt zu welchem Unternehmen?
Unternehmen, die sich für ein ERP entscheiden, stehen vor einer komplexen Wahl. Während DATEV oft als Einstiegslösung dient, reichen dessen an steuerberatenden Berufen ausgerichtete Funktionen häufig später nicht mehr aus.
Wichtige Auswahlkriterien:
- Anwendungsbereich: Passung des Systems zu den spezifischen Geschäftsprozessen.
- Technologie: Zukunftsfähigkeit, Software-Architektur, Anbindungsfähigkeit an weitere Systeme.
- Skalierbarkeit: Wachstum und Komplexitätsanpassung.
- Notwendigkeit für Customizing: Welchen Anteil der Anforderungen kann eine Software standardmäßig erfüllen, wo sind Anpassungen oder die Ergänzung externer Lösungen notwendig?
- Compliance: Erfüllung von Branchenstandards, rechtlichen Anforderungen und Prüfungsrichtlinien.
- Lieferant/IT-Dienstleister: Marktposition, Weiterentwicklung, Support.
- Kosten: Implementierungs- und laufende Kosten
Bei der sorgfältigen Abwägung verschiedener Faktoren helfen ein Kriterienkatalog und eine Price-Performance-Matrix. Eine professionelle Auswahl-Beratung kann den Auswahlprozess erheblich erleichtern und das Risiko von Fehlentscheidungen minimieren, zumal nur wenige Finanz-Führungskräfte einen solchen Prozess schon öfter durchlaufen haben
Wie viel Standard und wie viel Customizing sind ratsam?
Die Entscheidung zwischen Standard-ERP und individuellen Anpassungen ist zwischen Flexibilität und Aufwand abzuwägen. Während Standardversionen oft in ihren systemintegrierten Prozessen optimiert sind, ermöglichen individuelle Anpassungen eine präzisere Abbildung der eigenen Geschäftsprozesse.
Unternehmen sollten bei der Entscheidung für Customizing die Kosten, den Zeitaufwand und die langfristigen Auswirkungen auf die Systemstabilität und -wartung berücksichtigen. Ein Vergleich der verschiedenen Systeme anhand eines Lastenheftes kann dabei helfen, die beste Lösung zu finden.
“Definition of done”: Was ist eine erfolgreiche Implementierung?
Eine erfolgreiche ERP-Einführung zeichnet sich durch folgende Aspekte aus:
- In-time-in-budget: Das Projekt wurde im geplanten Zeitrahmen und Budget abgeschlossen.
- Vollständige Prozessabbildung: Alle relevanten Geschäftsprozesse sind im System abgebildet.
- Erfolgreiche Datenmigration: Daten aus dem Altsystem sind vollständig und korrekt übertragen.
- Stabile Datenstruktur: Das System bietet eine solide Grundlage für Reporting und Analysen.
Neben der technischen Umsetzung ist der frühzeitige Einbezug und die ausführliche Schulung der Mitarbeitenden für den Einsatz des neuen Systems entscheidend.
Fazit
Die Einführung eines ERP-Systems ist ein wichtiger Schritt für im Wachstum befindliche Unternehmen. Eine sorgfältige Planung, ggf. unter Einsatz externen Expertenwissens, sowie eine eng gesteuerte Einführung sind entscheidend für den Erfolg des Projekts.
Die Autorinnen und Autoren:
- Dr. Veronika von Heise-Rotenburg, CFO und Co-Geschäftsführerin von Everphone (rechts).
- Stefan Modl, ERP Implementation Manager von Everphone (Mitte).
- Verena Lieb, Product Owner Finance Systems von Everphone (links).

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