Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweckvermächtnis
Leitsatz (amtlich)
Der Erblasser kann die Bestimmung der Leistung eines Zweckvermächtnisses nicht dem Bedachten überlassen.
Normenkette
BGB § 2156
Tatbestand
Die am 16. Juli 1987 verstorbene Erblasserin Agnes K. wendete in Abschnitt II 1 - 7 ihres notariellen Testaments vom 11. Juli 1987 fünf Verwandten, einer Pfarrgemeinde und einer Hilfsorganisation je einen festen Geldbetrag zu. Der restliche Nachlaß von rund 80.000 DM sollte nach Abschnitt II 8 zu gleichen Teilen an die sechs Kinder ihrer vorverstorbenen Schwester Anna E. geborene K. fallen, nämlich an die Klägerin und die Beklagten zu 1) bis 5). Abschnitt III 2 des Testaments lautet:
"Mein und meiner Schwester Cäcilia gemeinsames dereinstiges Grab - es muß ein Tiefgrab mit Platte sein - sowie das Doppelgrab meiner Geschwister Margarethe und Maria K. und das Grab des Andreas E. soll ... (die Klägerin) unterhalten und für die Dauer der Liegezeit pflegen oder pflegen lassen. Sie ist berechtigt, den hierzu erforderlichen Betrag aus meinem Nachlaß vorweg zu entnehmen."
Der hier genannte Andreas E. ist der Vater der Parteien; er war in erster Ehe mit der Schwester Anna und nach deren Ableben mit der Schwester Cäcilia verheiratet.
Die zuständige Friedhofsverwaltung würde für die Dauerpflege der genannten Gräber, wenn sie damit beauftragt würde, für die restliche Liegezeit seit dem Erbfall insgesamt 9.400 DM berechnen.
Die Klägerin hält sich und die Beklagten für Miterben der Erblasserin zu je einem Sechstel. Dem treten die Beklagten nicht mehr entgegen. Die Klägerin beansprucht für die Grabpflege vorab 9.400 DM. Die Beklagten sind der Auffassung, die testamentarische Regelung über die Grabpflege durch die Klägerin sei unwirksam; solange die nächsten Verwandten mit der Grabpflege durch die Klägerin nicht einverstanden seien, könne die Klägerin dafür keine Zahlungen verlangen.
Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 9.400 DM an die Klägerin verurteilt. Im Berufungsverfahren ist klargestellt worden, daß die Klage eine Gesamthandsklage ist, die 9.400 DM also vorab aus dem Nachlaß gezahlt werden sollen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die Klägerin wegen des vollen Betrages ihres möglichen Anspruchs (also ohne Anrechnung des auf ihre eigene Erbquote entfallenden Anteils) Befriedigung (nur) aus dem Nachlaß verlangen kann. Dennoch hat es die Urteilsformel des landgerichtlichen Urteils, die auf Zahlung als Gesamtschuldner lautet, uneingeschränkt bestehen lassen. Die hierin liegende offenbare Unrichtigkeit hat der Senat gemäß § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen berichtigt und im Tenor des vorliegenden Urteils dahin klargestellt, daß die Beklagten durch das angefochtene Urteil nur zur Zahlung aus dem Nachlaß verurteilt sind.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg.
1.
Das Berufungsgericht versteht die Klausel des Testaments über das Entnahmerecht der Klägerin als ein typisches Zweckvermächtnis im Sinne von § 2156 BGB. Die Klägerin solle einen Geldbetrag "für die Gräber" im voraus erhalten. Der Wert der Auflage solle dem Wert der Zuwendung entsprechen; die Klägerin sei durch die Auflage "bis zur Höhe der Zuwendung" (des Vermächtnisses) belastet. Diese Auslegung ist rechtlich möglich; die Revision beanstandet sie nicht.
Wenn die Klägerin in der Revisionserwiderung stattdessen auf eine Zweckauflage zu Lasten der Klägerin hinaus will, dann trifft das nicht den Kern. Gewiß hat die Erblasserin die Klägerin für die Art der ihr auferlegten Unterhaltung der Gräber engen erbrechtlichen Bindungen nicht unterworfen, so daß sie insoweit - bei Beachtung auch der berechtigten Interessen der übrigen nächsten Angehörigen an der Gestaltung - nach billigem Ermessen verfahren könnte. Hier geht es aber nicht um die Auflage, sondern um die Höhe des Geldbetrages, den die Klägerin aus dem Nachlaß vorweg soll beanspruchen können. Diese hat die Erblasserin zwar insofern selbst bestimmt (§ 2065 Abs. 2 BGB), als sie auf die Auflage Bezug genommen und der Klägerin "den hierzu erforderlichen Betrag" zugebilligt hat. Der Anspruch der Klägerin richtet sich aber nicht etwa nach deren nach und nach anfallenden Unkosten, sondern soll ihr vorweg zustehen. Demgemäß bedarf es einer Abschätzung aller künftigen Grabausgaben, auf dieser Grundlage einer Konkretisierung und damit einer näheren Bestimmung im Sinne von § 2156 Abs. 1 BGB. Diese Bestimmung kann der Erblasser gemäß § 2156 Satz 1 BGB unbedenklich dem billigen Ermessen des Beschwerten oder eines Dritten überlassen.
Das Berufungsgericht legt das Testament jedoch dahin aus, daß die Erblasserin die (nähere) Bestimmung der Klägerin überlassen habe. Ob diese Auslegung das Gebot der wohlwollenden Auslegung (§ 2084 BGB) verletzt, hängt davon ab, ob § 2156 BGB es gestattet, daß der Erblasser die Bestimmung des Leistungsumfanges eines Zweckvermächtnisses dem Bedachten überläßt.
2.
Diese Frage ist im Schrifttum umstritten (bejahend: Soergel/Wolf, BGB 11. Aufl. § 2156 Rdn. 4; Soergel/Dieckmann, BGB 11. Aufl. § 2192 Rdn. 7; Erman/Hense/Schmidt, BGB 8. Aufl. § 2156 Rdn. 1; Haegele, BWNotZ 1972, 74, 78; dagegen: MK-Skibbe, BGB 2. Aufl. § 2156 Rdn. 4; Staudinger/Otte, BGB 12. Aufl. § 2156 Rdn. 3; RGRK-Johannsen, BGB 12. Aufl. § 2156 Rdn. 3; Kipp/Coing, 14. Bearb. § 57 II 3; Palandt/Edenhofer, BGB 50. Aufl. § 2156 Rdn. 1). Reichsgericht und Bundesgerichtshof haben zu ihr noch nicht Stellung genommen. Der erkennende Senat schließt sich der strengeren Auffassung an.
Die Vorschrift steht in innerem Zusammenhang mit § 2065 BGB, dessen Abs. 2 die Möglichkeit im Grundsatz versperrt, daß der Erblasser die Bestimmung der Person, die eine Zuwendung aus seinem Nachlaß erhalten soll, sowie die Bestimmung des Gegenstandes (und des Umfangs) einer Zuwendung einem anderen überläßt. Der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (E I) wollte diesen Grundsatz noch strenger durchführen, als das heute geltende Recht. Demgemäß wurde erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens das Zweckvermächtnis eingefügt, das gegenüber dem Grundsatz gewisse Erleichterungen vorsieht (Protokolle V S. 39-43). Dieses reicht aber dem Wortlaut nach nicht so weit, daß auch dem Bedachten selbst die Bestimmung der ihm zufließenden Zuwendung übertragen werden könnte. Die in § 2065 BGB zum Ausdruck kommenden Vorbehalte des Gesetzes gegen Fremdbestimmung im Rahmen testamentarischer Zuwendungen müssen daher durchgreifen. Überdies ist ein praktisches Bedürfnis von einigem Gewicht, die Vorschrift über den Wortlaut hinaus im Sinne der angefochtenen Entscheidung auszuweiten, bislang nicht hervorgetreten. Auch im vorliegenden Fall steht die wortgetreue Auslegung einem befriedigenden Ergebnis nicht im Wege.
Kann die nähere Bestimmung des Betrages, der der Klägerin als Vermächtnis zufließen soll, dieser daher nicht selbst übertragen werden, und ist infolgedessen das Testament gemäß § 2084 BGB dahin auszulegen, daß die Erben als die Beschwerten (§ 2147 Satz 2 BGB) darüber zu befinden haben, bleibt es gleichwohl bei der angefochtenen Entscheidung.
Die Erben hätten die nähere Bestimmung der Höhe des erforderlichen Betrages gemäß §§ 2156 Satz 2, 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen gehabt. Das hätte spätestens in dem Zeitpunkt geschehen sollen, in dem die Klägerin Zahlung von 9.400 DM beanspruchte. Da diese Entscheidung jedoch nicht rechtzeitig getroffen, sondern im Sinne von § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB verzögert worden ist, ist die Bestimmung durch Urteil zu treffen. Das ist spätestens mit dem angefochtenen Urteil geschehen. Insoweit stellt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei fest, daß der Klägerin der Betrag zusteht, den sie mindestens aufwenden müßte, wenn die Friedhofsverwaltung die Pflege übernommen hätte. Mindestens diesen Betrag hält das Berufungsgericht ersichtlich für angemessen.
Soweit die Revision dem entgegenhält, die Klägerin sei gehindert, die ihr übertragene Unterhaltung der Gräber in vollem Umfang durchzuführen, vermag der Senat ihr nicht zu folgen. Es mag sein, daß die Beklagten eine Grabpflege durch die Klägerin nicht wünschen. Ob die Beklagten dabei bleiben, wenn die Klägerin die gewünschte Zahlung tatsächlich aus dem Nachlaß erlangt hat, bleibt abzuwarten.
Der Widerspruch der Erben E. gegen die Pflege des Grabes von Andreas E. kann jedenfalls nicht so weit reichen, daß er der Klägerin geböte, das Grab auch dann nicht zu pflegen, wenn es anderenfalls verkäme. Entsprechendes gilt auch für den Widerspruch der Erbin von Margarethe K.. Daß in dem Doppelgrab von Margarethe und Maria K. auch die Zwillinge M. beerdigt sind, berechtigt deren Mutter erst recht nicht, der Klägerin die (Mit-)Pflege dieser Gräber zu verbieten.
Überdies kann die Anordnung der Erblasserin, wonach die Klägerin die Gräber unterhalten und pflegen (lassen) soll, auch dahin verstanden werden, daß die von der Erblasserin bedachten Personen, auch die Beklagten, die der Klägerin auferlegten Handlungen erbrechtlich zu dulden haben, sei es nun im Wege einer entsprechenden Duldungsauflage oder eines Duldungsvermächtnisses.
Allerdings steht auch nichts im Wege, wenn die Klägerin das eine oder andere Grab durch einen Beklagten pflegen läßt und ihre Unterhaltungspflicht durch Ersatz der entstehenden Aufwendungen erfüllt.
Fundstellen
Haufe-Index 1456481 |
NJW 1991, 1885 |
DNotZ 1992, 509 |