Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 197
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Die Frage, wie ein beizulegender Zeitwert dem Grunde nach zu ermitteln ist, wird vom IASB in einem eigens dafür entwickelten Methodenstandard ausgeführt: IFRS 13 Fair Value Measurement. Der Standard ist das Ergebnis eines Konvergenzprojekts mit dem US-amerikanischen Standardsetzers FASB, der 2008 seine Bemessungsnorm SFAS 157 erlassen hatte (mittlerweile ASC Topic 820–10). Die Bilanzierung von Finanzinstrumenten zum beizulegenden Zeitwert nimmt in den IFRS einen breiteren Raum ein, als dies im deutschen Bilanzrecht der Fall ist. Gleichwohl hat der deutsche Gesetzgeber mit seinem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz in vielen Bereichen eine Annäherung an die IFRS vollzogen und erstmals auch den Terminus "beizulegender Zeitwert" als Bewertungsmaßstab verwendet, wenn auch leicht anders belegt (§ 255 Abs. 4 HGB). Die begriffliche Abgrenzung, die der IASB für den beizulegenden Zeitwert verwendet, findet sich in IFRS 13.9 (vgl. Tz. 200ff. und vgl. IFRS-Komm., Teil B, IFRS 13); danach ist der beizulegende Zeitwert derjenige Preis, der in einem geordneten Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern am Bemessungsstichtag für den Verkauf eines Vermögenswerts eingenommen bzw. für die Übertragung einer Schuld gezahlt würde ("would"; vgl. IFRS 13.9). In dieser Definition finden sich mehrere erläuterungsbedürftige Bestandteile, auf die nachfolgend näher eingegangen wird. Wichtig scheint aber bereits an dieser Stelle der Hinweis, dass in der Begriffsabgrenzung das Wort "würde" auftaucht: Der beizulegende Zeitwert stellt sich damit als fiktiver, hypothetischer und nicht als faktischer Wertmaßstab dar!
Tz. 198
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der Bemessung des beizulegenden Zeitwerts liegt die Annahme zugrunde, dass Informationseffizienz gegeben ist und keine Marktstörungen vorliegen (Konzept des vollkommenen Markts). Es wird somit unterstellt, dass ein Unternehmen jederzeit in der Lage ist, finanzielle Vermögensposten zu liquidieren bzw. Finanzschulden zu übertragen und eine geordnete Geschäftsabwicklung möglich ist (vgl. IFRS 13.2). In dieser Abgrenzung entspricht der beizulegende Zeitwert einem Abgangspreis (exit price; vgl. IFRS 13.24). Diese Annahme ist nicht unkritisch: So wird uU Vermögen im Abschluss mit einem Wert belegt, der sich (nur) im Falle einer Veräußerung ergeben hätte; die Frage hingegen, ob das Unternehmen überhaupt beabsichtigt, ihn zu liquidieren, bleibt dabei völlig außer Acht – es zählt einzig die Liquidierbarkeit, nicht die tatsächlich vollzogene Liquidation (vgl. IFRS 13.3 und 24). Die Realisation wird also durch eine Realisierbarkeit ersetzt. Auf der Passivseite erweist sich die Annahme als noch problematischer, weil so getan wird, als könnte sich das Unternehmen kraft freier Willensentscheidung seiner Schulden entledigen und diese an einen Dritten weiterreichen (vgl. IFRS 13.34). Dieses dürfte indes schon aus rechtlichen Gründen in den allermeisten Umständen nicht der Fall sein, weil dazu das Einverständnis des Gläubigers erforderlich ist. Das tilgungswillige Unternehmen befindet sich eher in einer Position, die einem Stillhalter eines Optionsgeschäfts ähnelt, weil es letztlich nicht als gleichwertige Vertragspartei über die Entbindung aus der Schuld entscheiden, sondern diese lediglich beantragen kann. Das gilt selbst für den Fall, wo ein Unternehmen eine börsengehandelte Emission vorzeitig zurückkauft und tilgt, auch wenn das Einverständnis hier eher implizit erfolgt, weil es für den Veräußerer keine Rolle spielt, ob er die Anleihe an einen neuen Gläubiger oder den Schuldner weiterreicht; ihm geht es lediglich um die Aufgabe seiner Investition. Die Aufgabe einer Vermögensposition ist damit asymmetrisch zur Aufgabe einer Schuldposition: Vermögen kann entweder an einen neuen Gläubiger – deren Zahl theoretisch nach oben offen ist – oder den letztlich zur Bedienung verpflichteten Schuldner veräußert werden; Schulden können dagegen nur beim gegenwärtigen Gläubiger abgelöst werden.
Tz. 199
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der IASB unterstellt in seiner Bewertungskonzeption zudem, dass das Unternehmen fortgeführt wird (going concern) und keine Absicht oder Notwendigkeit besteht, den Umfang der Geschäftsaktivitäten wesentlich einzuschränken. Ferner wird davon ausgegangen, dass Geschäfte nicht sehenden Auges zu nachteiligen Bedingungen eingegangen werden; dies ergibt sich bereits aus der Forderung nach sachkundigen und damit rational handelnden Vertragsparteien. Der Hinweis auf normale Marktgegebenheiten bzw. einen geordneten Geschäftsvorfall bedeutet schließlich, dass ein beizulegender Zeitwert dann nicht vorliegt, wenn das Geschäft unter Zwang getätigt wurde (forced transaction) oder durch eine unfreiwillige Liquidation oder einen Notverkauf (duress) zustande kam (vgl. IFRS 13.59 und B4(b)). Diesen Nachweis zu führen, kann in der Praxis schwierig, in manchen Fällen auch nahezu unmöglich sein, wie die jüngste Finanzmarktkrise gezeigt hat. Der IASB hatte im Herbst 2008 ein Expertenpanel einberuf...