Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walther Busse von Colbe, Marcel Kottenstein
Tz. 20
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
Eine Definition des Begriffs Hochinflation (auch als Hyperinflation bezeichnet) findet sich weder in IAS 29 noch in anderen IFRS Standards oder Interpretationen. Die Inflation wird im Allgemeinen als der anhaltende Anstieg des Preisniveaus einer Volkswirtschaft mit Folge des hieraus resultierenden Schwunds der Kaufkraft der Währung definiert; der Begriff der Kaufkraft gibt dabei an, wie viele Güter und Dienstleistungen durch eine Geldeinheit erworben werden können (vgl. Franz, 1991, S. 265; Lück/Jung, 1991, S. 277; Schildbach, 2002, S. 417). Eine abschließende und allgemein gültige Definition des Begriffs der Hochinflation besteht allerdings nicht. IAS 29 enthält hierzu lediglich den Hinweis, dass der Kaufkraftverlust in einem von Hochinflation gezeichneten Land derart enorm sei, dass der Vergleich mit Beträgen, die aus früheren Geschäftsvorfällen und anderen Ereignissen resultieren, sogar innerhalb einer Bilanzierungsperiode irreführend und eine Berichterstattung über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der lokalen Währung ohne Anpassung nicht zweckmäßig seien (IAS 29.2). Dabei verzichtet der Standard ausdrücklich darauf, eine numerisch bestimmte Inflationsrate für die Anwendung anzugeben (IAS 29.3). Bezeichnenderweise ist auch das oben verwendete Adjektiv "enorm" allein der deutschen amtlichen EU-Übersetzung entnommen. Im englischen Originaltext wird lediglich bestimmt, dass die Anwendung erforderlich sei bei "such a rate that comparison of amounts … is misleading". Der Standard überlässt es vielmehr dem Ermessen (judgement), von wann ab eine Anpassung als erforderlich angesehen wird. Wessen Ermessen gemeint ist, zB das der einzelnen Unternehmen, Börsenaufsichtsbehörden oder standard setting bodies, wird zunächst offengelassen. Es dürfte sich gleichwohl regelmäßig um die Ermessensentscheidung des für die Aufstellung eines Abschlusses und die Anwendung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden verantwortlichen Managements eines Unternehmens handeln (vgl. hierzu ua. auch IAS 1.117f.; zu Angabepflichten vgl. Tz. 80ff.). Wer dies im Einzelfall ist, ergibt sich aus den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen. Die finale Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und die Aufstellung eines Abschlusses in Übereinstimmung mit den einschlägigen Rechnungslegungsvorschriften obliegt bspw. bei einer AG dem Gesamtvorstand (§ 91 Abs. 1 AktG) und bei einer GmbH den Geschäftsführern (§ 41 GmbHG). Diese Organe eines Unternehmens werden insofern im Ergebnis über das Erfordernis der Inflationsbereinigung nach IAS 29 zu entscheiden haben (vgl. Tz. 12). Zur Rolle anderer nationaler und internationaler Gremien bei der Beurteilung, ob die Währung hochinflationär ist, sei ebenfalls auf die Ausführungen in Tz. 12 verwiesen.
Tz. 21
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
Für die Beurteilung, ob im wirtschaftlichen Umfeld eines Landes eine Hochinflation vorliegen könnte, werden in IAS 29.3 lediglich folgende Anhaltspunkte gegeben:
(1) |
Die Bevölkerung bevorzugt es, ihr Vermögen in nichtmonetären Vermögenswerten oder in einer relativ stabilen Fremdwährung zu halten. Beträge in Inlandswährung werden unverzüglich in obige Werte investiert, um die Kaufkraft zu erhalten. |
(2) |
Die Bevölkerung rechnet bzw. wickelt die Geschäfte nicht in der Inlandswährung ab, sondern in einer relativ stabilen Fremdwährung. Preise können in dieser Fremdwährung angegeben werden. |
(3) |
Käufe und Verkäufe auf Kredit werden zu Preisen vereinbart, die den für die Kreditlaufzeit erwarteten Kaufkraftverlust berücksichtigen, selbst wenn diese Laufzeit nur kurz ist, umso die Vermögenssituation des Gläubigers zu schützen (vgl. auch ADS Int 2002, Abschn. 6, Tz. 16). |
(4) |
Zinssätze, Löhne und Preise sind an einen Preisindex gebunden. |
(5) |
Die kumulative Preissteigerungsrate innerhalb von drei Jahren nähert sich oder überschreitet 100 %. |
Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Inflationsrate von 26 %. Die Berechnung der kumulativen Preissteigerungsrate kann entweder auf Grundlage der jährlichen Inflationsraten (Methode 1) oder der jährlichen allgemeinen Verbraucherpreisindizes (Methode 2) berechnet werden. Ein bloßes Aufaddieren von jährlichen Inflationsraten ist uE nicht zulässig (glA KPMG, 2022, Ch. 2.10.50; Freiberg, PiR 2017, S. 392).
Jeder dieser Indikatoren ist typisch für ein Land mit einer "rasenden" offenen Inflation, wie sie zB zu Beginn der 1920er-Jahre in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern, in den 1970er- und1980er-Jahren in Brasilien oder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in deren Nachfolgestaaten oder in der Türkei zu Beginn der 1990er-Jahre aufgetreten ist. Diese Auflistung ist gleichwohl nicht abschließend. Sie bildet lediglich exemplarisch Begleiterscheinungen ab, die in einem hyperinflationären wirtschaftlichen Umfeld typischerweise zu beobachten sind. Insb. sollte nicht allein auf das unter 5) genannte quantitative Merkmal abgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr das Gesamtbild der Verhä...