Prof. Dr. Hans-Jürgen Kirsch, Moritz Nonnast
Tz. 48
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
In IAS 41.30 ist die Vermutung normiert, dass der beizulegende Zeitwert eines biologischen Vermögenswerts mit einem hinreichenden Maß an Verlässlichkeit ermittelt werden kann. Sollte dies in Ausnahmefällen – wie bspw. bei der Bewertung von Dauerkulturen und Plantagen (vgl. Lüdenbach, PiR 2014, S. 191; Schulte, PiR 2013, S. 251f.) – nicht der Fall sein und somit die Vermutung gem. IAS 41.30–33 widerlegt werden können, ist der betreffende biologische Vermögenswert mit seinen (fortgeführten) Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zu bewerten. Die Verlässlichkeitsausnahme kann dabei explizit nur beim erstmaligen Ansatz eines biologischen Vermögenswerts angewendet werden (IAS 41.30f.). Zudem ist die Hürde für diese Ausnahmeregel hoch. Gemäß IAS 41.30 darf sie ausdrücklich nur dann berücksichtigt werden, wenn jegliche Methoden zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts zu eindeutig unzuverlässigen (clearly unreliable) Werten führen. Indes definiert der IASB den Ausdruck "clearly unreliable" in IAS 41 nicht. Unter anderem aufgrund dieser fehlenden Konkretisierung erhielt das IFRS IC im Jahr 2017 eine Anfrage, ob Früchte von Ölpalmen als ein Beispiel für einen biologischen Vermögenswert angesehen werden können, für den ein Unternehmen die in IAS 41.30 enthaltene Vermutung widerlegen könne (hierzu vgl. Tz. 12a; vgl. hier und folgenden Satz auch IFRIC Update March 2017, S. 5f.; IFRS IC, Agenda Decision: "Biological Assets Growing on Bearer Plants", S. 1). Mit einem Verweis darauf, dass es nicht Aufgabe des IFRS IC sei, über sehr spezifische Anwendungsfragen zu entscheiden, hat das Committee diese Eingabe indes nicht weiter verfolgt.
Tz. 49
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
Ist die Voraussetzung für die Verlässlichkeitsausnahme erfüllt, sind die betreffenden biologischen Vermögenswerte mit den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zu bewerten. Diese Kosten sind dann allerdings nicht wie im Falle des IAS 41.24 eine Approximation des beizulegenden Zeitwerts (vgl. Tz. 47). Dieser Unterschied ist von Bedeutung, da va. bei Vermögenswerten, die sich in der Anfangsphase einer sehr langfristigen biologischen Transformation befinden, sowohl IAS 41.30–33 als auch IAS 41.24 anwendbar sein können. In beiden Fällen erfolgt zwar eine Bewertung zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten. Methodisch würde sich das bilanzierende Unternehmen im Falle von IAS 41.24 aber bereits in der Bewertung zum beizulegenden Zeitwert befinden, da die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten in diesem Fall ausdrücklich eine Approximation des beizulegenden Zeitwerts sind. Insofern zählt diese Vorgehensweise – im Gegensatz zur Anwendung von IAS 41.30–33 – ebenso wie die in IFRS 13 enthaltenen Verfahren zu den Methoden zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts. Diese Differenzierung kann praktische Auswirkungen haben, da eine Anwendung der Verlässlichkeitsausnahme zum einen zusätzliche Anhangangaben erfordert (vgl. Tz. 69–70). Zum anderen ist die Ausübung der Ausnahmeregel gem. IAS 41.30–33 aufgrund des Stetigkeitsprinzips nicht mehr zulässig, sobald ein biologischer Vermögenswert einmal zum beizulegenden Zeitwert bewertet wurde – unabhängig davon, wie dieser ermittelt wurde (IAS 41.31; vgl. auch Haller/Egger, WPg 2006, S. 287; Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, in: Haufe IFRS-Kommentar, 19. Aufl., § 40, Tz. 9). Das damalige IASC wollte durch diese Regelung die Möglichkeit zur Bilanzpolitik reduzieren und verhindern, dass Unternehmen in Zeiten sinkender Marktpreise von der Fair-Value-Bewertung zur Bewertung nach dem Anschaffungs- bzw. Herstellungskostenprinzip zurückkehren (vgl. Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B36; kritisch zu dieser Argumentation des IASB, da Marktpreisminderungen auch bei einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten durch außerplanmäßige Abschreibungen in Folge eines impairment test gem. IAS 36 im Buchwert des biologischen Vermögenswerts berücksichtig würden vgl. Haller/Egger, WPg 2006, S. 287). Der Nachteil dieser "Missbrauchsabwehr" ist gleichwohl, dass auch dann eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert zu erfolgen hat, wenn sich dieser zu einem späteren Bewertungszeitpunkt objektiv nicht mehr zuverlässig ermitteln lassen sollte (vgl. Eberhartinger/Wiedermann-Ondrej, in: MünchKommBilR, 2. Erg.-Lfg. September 2010, IAS 41, Tz. 36; vgl. für ein Beispiel PwC, Manual of accounting 2021, FAQ 33.22.1).
Tz. 50
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
(einstweilen frei)
Tz. 51
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
Nach dem Wortlaut des Standards kann die Vermutung, dass für biologische Vermögenswerte ein hinreichend verlässlicher beizulegender Zeitwert ermittelt werden kann, lediglich zum Zeitpunkt des erstmaligen Ansatzes widerlegt werden (IAS 41.30). Dies bedeutet indes nicht, dass bei jeglicher Folgebewertung zwingend eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert zu erfolgen hätte (vgl. hier und im folgenden Satz Jessen, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 6. Aufl., § 41, Tz. 14; Währisch, in: Heuser/Theile, 6. Aufl., Kap. ...