Prof. Dr. Isabel von Keitz, Prof. Dr. Peter Wollmert
Tz. 108
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Nach IAS 37.45 sind Rückstellungen mit dem Barwert (present value) anzusetzen, falls die Auswirkungen einer Abzinsung wesentlich sind ("where the effect…is material"). Dem Barwertkalkül liegt die Annahme zugrunde, dass die durch den Ansatz der Rückstellung an das Unternehmen gebundenen Ausgabengegenwerte bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Mittelabflusses ertragsbringend angelegt werden und die erwirtschafteten Zinsen der (teilweisen) Erfüllung der Verpflichtung dienen. Die Bewertung von Rückstellungen mit ihrem Barwert reflektiert mithin ihre Finanzierungswirkung.
Tz. 109
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Eine Beurteilung der Wesentlichkeit einer Abzinsung hat nach dem Wortlaut von IAS 37.45 für jede einzelne Rückstellung zu erfolgen (vgl. Senger/Brune, in: Münchener IFRS Kommentar, IAS 37, Tz. 58). IAS 37 operationalisiert indes nicht, wann die Auswirkungen einer Abzinsung wesentlich sind; dies dürfte regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn eine Verpflichtung erst nach einem längeren Zeitraum (grundsätzlich mehr als ein Jahr) zu erfüllen ist (glA Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), 18. Aufl., 2020, § 21, Tz. 143). Ein genereller Verzicht auf eine Abzinsung, wenn die Verpflichtung innerhalb von zwölf Monaten zu erfüllen ist, ist uE aber nicht sachgerecht (glA Senger/Brune, Münchener IFRS Kommentar, IAS 37, Tz. 59). So weist Theile explizit darauf hin, dass bei größeren Beträgen der Abzinsungseffekt schon bei kürzeren Laufzeiten, bei kleineren Beträgen hingegen erst bei längeren Laufzeiten wesentlich sein kann (vgl. Theile, 2019, Tz. 26.67). Den Unternehmen ist in diesem Zusammenhang zu empfehlen, Kriterien im Rahmen einer Konzernrichtlinie festzulegen (glA Theile, 2019, Tz. 26.67). Zudem nennt IAS 37 nicht die Bezugsgröße, an der die Wesentlichkeit des Abzinsungsbetrags zu messen ist (zB der nicht diskontierte Erfüllungsbetrag der jeweiligen Rückstellung oder aller – sonstigen – Rückstellungen, das Zinsergebnis oder das Jahresergebnis). UE sollte als Bezugsgröße für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Auswirkungen der Abzinsung einer Rückstellung grundsätzlich der nicht diskontierte Erfüllungsbetrag der jeweiligen Rückstellung zugrunde gelegt werden (vgl. auch Hayn/Pilhofer, DStR 1998 S. 1767); bei Pauschalrückstellungen ist Bezugsobjekt dagegen der nicht diskontierte Erfüllungsbetrag des dem Pauschalwert zugrunde liegenden Bestands an Rückstellungen. Nach Senger/Brune ist auch die Gesamtwirkung der einzelnen Wesentlichkeitsbeurteilungen auf die Bilanzposition zu beachten, also eine aggregierte Betrachtung von Einzeleffekten erforderlich (vgl. Senger/Brune, in: Münchener IFRS Kommentar, IAS 37, Tz. 58, mit Verweis auf das Wesentlichkeitskonzept der IFRS).
Tz. 110
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Der Abzinsung ist zu jedem Abschlussstichtag ein restlaufzeitkongruenter Rechnungszins vor Steuern zugrunde zu legen, der die gegenwärtige Markteinschätzung hinsichtlich des Zeitwerts des Geldes (Zinseffekts) und die spezifischen Risiken im Zusammenhang mit der Erfüllung der jeweiligen Verpflichtung reflektiert. Die Risiken im Zusammenhang mit der Erfüllung der jeweiligen Verpflichtung können grundsätzlich in dem Zinssatz durch angemessene Abschläge berücksichtigt werden, die das höhere Risiko der Rückstellung im Vergleich zu einer risikolosen Verzinsung reflektieren; alternativ ist eine Berücksichtigung der Risiken bei den erwarteten Cashflows (zB durch die Verwendung von Sicherheitsäquivalenten) möglich (Ernst & Young (Hrsg.), 2020, S. 1854ff.; KPMG (Hrsg.), 2020, Tz. 3.12.120.20; Senger/Brune, in: Münchener IFRS Kommentar, IAS 37, Tz. 62); in diesem Falle ist der Abzinsung ein risikofreier Rechnungszins zugrunde zu legen. Zu beachten ist jedenfalls, dass eine doppelte Risikoberücksichtigung sowohl im Zinssatz als auch in der Auszahlungsreihe nicht zulässig ist (IAS 37.47; so auch Ernst & Young (Hrsg.), 2020, S. 1855). Das Bonitätsrisiko wird nach Auffassung des IFRIC eher als Unternehmensrisiko und folglich als schuldnerspezifisches Risiko angesehen, nicht als für eine Schuld spezifisches Risiko, so dass ein Einbezug nicht in Betracht kommt. Ein explizites Verbot des Einbezugs des Bonitätsrisikos ist IAS 37 jedoch nicht zu entnehmen (vgl. IFRIC Update März 2011; Schrimpf-Dörges, in: Beck IFRS-Handbuch, § 12, Tz. 75; im Januar 2020 wurde diese Frage zum Arbeitsplan des IASB hinzugefügt, vgl. Tz. 3). Hinsichtlich der Bestimmung des risikofreien Zinssatzes wird vereinzelt vorgeschlagen, unter Rückgriff auf IAS 19.83ff. auf die aktuelle Marktrendite für erstklassige Industrieanleihen abzustellen (ADS Int, Abschn. 18, Tz. 83). UE ist auf den risikofreien Zins abzustellen (Ernst & Young (Hrsg.), 2020, S. 1855). Besteht in Ausnahmefällen aufgrund der Langfristigkeit der Verpflichtung, die der Rückstellung zugrunde liegt, kein restlaufzeitkongruenter Zinssatz, so kommt zur Ermittlung des Abzinsungssatzes eine Extrapolation des langfristigen Zinssatzes für öffentliche Anleihen in Betracht. UE ist mit der...