Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Isabel von Keitz
Tz. 60
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Im Unterschied zu Projekten in der Forschungsphase sind Projekte in der Entwicklungsphase bereits weiter fortgeschritten. Insofern ist es für Projekte in der Entwicklungsphase grundsätzlich möglich, den Nachweis zu erbringen, dass ein immaterieller Vermögenswert entwickelt wird, der wahrscheinlich einen künftigen Nutzen stiften wird und dessen Herstellungskosten verlässlich bestimmt werden können (IAS 38.58). Vor diesem Hintergrund hat der IASB sechs Ansatzkriterien bestimmt, bei deren kumulativer Erfüllung ein Ansatzgebot besteht (IAS 38.57). Mit den ersten fünf der nachfolgend genannten sechs Ansatzkriterien wird das allgemeine Kriterium der Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses weiter konkretisiert. Das sechste Kriterium konkretisiert das allgemeine Kriterium der zuverlässigen Messbarkeit.
Nachzuweisen hat das berichterstattende Unternehmen:
- die technische Durchführbarkeit der Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes, sodass er zur Nutzung bzw. zum Verkauf verfügbar ist (vgl. Tz. 66);
- die Absicht des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert fertigzustellen und anschließend zu nutzen oder zu vermarkten (vgl. Tz. 67);
- die Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zu nutzen oder zu vermarkten (vgl. Tz. 68);
- der Nachweis, wie mit dem immateriellen Vermögenswert wahrscheinlich ein künftiger Nutzen entstehen wird. Hierbei hat das Unternehmen ua. zu zeigen, dass ein Markt für die Erzeugnisse aus dem immateriellen Vermögenswert oder für den immateriellen Vermögenswert selbst existiert bzw., falls der Vermögenswert intern genutzt werden soll, die Nützlichkeit des immateriellen Vermögenswertes (vgl. Tz. 69);
- die Verfügbarkeit von adäquaten technischen, finanziellen und sonstigen Ressourcen zur Fertigstellung der Entwicklung und zum Gebrauch bzw. zum Verkauf des immateriellen Vermögenswertes (vgl. Tz. 64) und
- die Fähigkeit des Unternehmens, die zurechenbaren Kosten des immateriellen Vermögenswertes während der Entwicklung zuverlässig zu ermitteln (vgl. Tz. 65).
Sofern nur eines der sechs Ansatzkriterien nicht erfüllt ist, darf der immaterielle Vermögenswert nicht aktiviert werden. Dieses Aktivierungsverbot umfasst sowohl die intern angefallenen Entwicklungskosten eines nicht aktivierungsfähigen selbst erstellten immateriellen Vermögenswertes (insbesondere Personalkosten) als auch die extern angefallenen Entwicklungskosten, die dem nicht aktivierungsfähigen selbst erstellten immateriellen Vermögenswert (insbesondere extern vergebene Teilentwicklung) zugeordnet werden können.
Tz. 61
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Mit der Konkretisierung der allgemeinen Ansatzkriterien des IAS 38 versucht der IASB dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es für selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften erforderlich ist, speziellere und konkretere Kriterien als für materielle und für extern erworbene immaterielle Vermögenswerte zu formulieren. Die konkretisierten Ansatzkriterien für selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte in IAS 38.57 sind restriktiver als für materielle Vermögenswerte und auch restriktiver als für entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte (dem folgend Heyd/Lutz-Ingold, 2005, S. 39). Denn nach IAS 38.57 reicht es nicht aus, dass der Nutzen wahrscheinlich (probable) zufließt. Vielmehr muss die Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses belegt werden (demonstrate). Der Begriff "demonstrate" ist iSv. "beweisen/nachweisen" zu verstehen und hat eine strengere Bedeutung als der Begriff "probable" (vgl. noch im Zusammenhang mit der Kommentierung des IAS 9 Coopers & Lybrand, 1996, S. 6–9). Für entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte und wohl auch für materielle Vermögenswerte wird die Erfüllung dieser Ansatzkriterien implizit unterstellt (IAS 38.BCZ42). Die restriktiveren Ansatzvoraussetzungen für selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte sind grundsätzlich sachgerecht, da bei entgeltlichem Erwerb die Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses durch die Erwerbstransaktion bereits nachgewiesen ist und bei der Entwicklung von immateriellen Vermögenswerten anders als bei der Herstellung von materiellen Vermögenswerten bis zu einem gewissen Zeitpunkt regelmäßig unsicher ist, ob überhaupt am Ende der Entwicklung ein nutzenstiftender Vermögenswert entsteht.
Mit dem Versuch der Besonderheit von selbst erstellten immateriellen Vermögenswerte Rechnung zu tragen, hat der IASB – insbesondere durch IAS 38.57 (a)–(e) – allerdings deren Ansatz von den (ggf. eigennützigen) Entscheidungen des Managements abhängig gemacht und damit in gewissen Grenzen ein faktisches Bilanzierungswahlrecht geschaffen (vgl. auch Ziesemer, 2002, S. 64–90; Kühle/Thiele, in: Internationales Bilanzrecht, IAS 38, Tz. 268; Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 18. Aufl., § 13, Tz. 34).
Tz. 62
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Ein solches faktisches Ansatzwahlrecht ist grundsätzlich aus Sicht der Abschlussadressaten negativ zu beurteilen, da es die zwis...