Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 67
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Risikoanpassung für die Übernahme nichtfinanzieller Risiken (Risk Adjustment, RA) soll die Unsicherheit über die Höhe und den Zeitpunkt der im Versicherungsfall zu entrichtenden Zahlungen reflektieren. Sie stellt somit eine Art Kompensation für diese Risikotragung durch das Unternehmen dar und stellt das Unternehmen indifferent zwischen der Erfüllung der unsicheren Vertragsverpflichtung und der Erfüllung einer sicheren Verpflichtung, die denselben Barwert der zukünftigen Auszahlungen aufweist (IFRS 17.BC208). Der Risikozuschlag wirkt bilanziell als eine Art Puffer für abweichende, negative Entwicklungen der versicherungstechnischen Verpflichtung (vgl. Ewelt-Knauer et al., 2018, S. 207). Sie wird dem Barwert der Nettozahlungsströme hinzugerechnet, um den für die Bewertung maßgeblichen unternehmensspezifischen Erfüllungsbetrag zu erhalten. Auch die Risikoanpassung wird zu jedem Bilanzstichtag auf Aktualität geprüft und an veränderte Verhältnisse angepasst.
Tz. 68
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Risiken, die von der Risikoanpassung für nichtfinanzielle Risiken abgedeckt sind, sind Versicherungsrisiken und andere nichtfinanzielle Risiken wie Stornorisiken und Kostenrisiken (IFRS 17.B14). Die Risikoanpassung für nichtfinanzielle Risiken wurde konzeptuell getrennt von den Schätzungen künftiger Zahlungsströme und den Abzinsungssätzen zur Anpassung dieser Zahlungsströme. Das Unternehmen darf die Risikoanpassung nicht doppelt berücksichtigen, beispielsweise indem es die Risikoanpassung für nichtfinanzielle Risiken auch implizit in die Bestimmung der Schätzungen der künftigen Zahlungsströme oder der Abzinsungssätze mit aufnimmt. Die Abzinsungssätze dürfen ebenfalls keine impliziten Anpassungen für nichtfinanzielle Risiken enthalten (IFRS 17B.90).
Tz. 69
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der IASB stellt klar, dass das RA keine Kompensation für die Risikoübernahme eines potenziellen Marktteilnehmers (exit value) darstellt oder derart konservativ gewählt werden sollte, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Vertrag erfüllt werden kann. Vielmehr soll die explizite Berücksichtigung – in Abgrenzung vom finanziellen Risiko und dem Diskontsatz – eine Abgrenzung vom eigentlichen Versicherungsservice, eine Differenzierung je nach Versicherungsrisiko sowie eine Beurteilung der Risiken im Zeitablauf ermöglichen (IFRS 17.BC208–212). Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Risiken, die nicht aus den Versicherungsverträgen entstehen, wie zum Beispiel das allgemeine Betriebsrisiko.
Tz. 70
Stand: EL 54– ET: 10/2024
IFRS 17 schreibt kein bestimmtes Schätzverfahren zur Bestimmung des RA vor und legt dies in das Ermessen des Unternehmens. Allerdings definiert der Standard einige Merkmale und verlangt eine Methode, die prägnante und aussagekräftige Angaben liefert, sodass die Abschlussadressaten die Leistung des Unternehmens mit der Leistung anderer Unternehmen vergleichen können (IFRS 17.B91 und B92). Einige Merkmale, welche regelmäßig die Höhe des RA beeinflussen, sind in IFRS 17B.91 genannt:
- Häufigkeit und Frequenz von Schäden (zB Naturkatastrophenschäden in der Erst- oder Rückversicherung);
- Laufzeiten von Verträgen (Risiko nimmt bei längerer Laufzeit zu);
- Bandbreite der Wahrscheinlichkeitsverteilung des Eintritts eines Schadens;
- Tiefe des Wissens über die aktuelle Schätzung und über Trends;
- Erfahrung und Unsicherheit über die Risiken.
Etwaige (risikomindernde) Diversifikationseffekte können vom Versicherer in die Berechnung des RA einbezogen werden (IFRS 17.B88 (a) und IFRS17.BC214). In der Praxis werden Unternehmen dies regelmäßig durch eine Berechnung auf hohem Aggregationsgrad nutzen und das RA anschließend wieder auf die Vertragsgruppen herunterbrechen.
Zur Quantifizierung des Risikozuschlags kann zB ein Value-at-Risk-Ansatz, die bedingte Erwartungswertmethode oder die Kapitalkostenmethode verwendet werden (vgl. Ewelt-Knauer et al., 2018, S. 207).
Tz. 71
Stand: EL 54– ET: 10/2024
In der Folgebewertung ist der Risikozuschlag erfolgswirksam aufzulösen, und zwar proportional zu der in der Deckungsperiode (zzgl. im ggf. anschließenden Zeitraum der Schadenabwicklung) erbrachten Leistung der Risikoübernahme (vgl. Ewelt-Knauer et al., 2018, S. 208; vgl. Nguyen et al. 2012, S. 121). Bei der Auflösung des Risikozuschlags innerhalb Deckungsrückstellung handelt es sich um eine Komponente der Umsatzerlöse (IFRS 1744 (a), B124 (b) und BC344).
Tz. 72
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Aufgrund des hohen Ermessenspielraums beim Schätzverfahren des RA fordert IFRS 17 umfangreiche Offenlegungspflichten im Anhang, ua. zum Konfidenzniveau, sodass Abschlussadressaten die unternehmensspezifische Risikoeinstellung besser nachvollziehen können.