Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 143
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Finanzielle Verbindlichkeiten (oder Teile davon) dürfen nur und erst dann ausgebucht werden, wenn sie erloschen sind, das Unternehmen also von seiner Leistungspflicht entbunden wurde – durch Begleichung resp. Rückkauf am Markt, qua Erlass, Verjährung oder Auslaufen (vgl. IFRS 9.3.3.1 iVm. B3.3.1). Sollte eine Schuld dem Grunde nach unbefristet bestehen (Kontokorrent- oder Sparkonten, Reiseschecks u.dgl.), darf das Unternehmen sie selbst dann nicht einseitig ausbuchen, wenn der Erfahrung nach ein gewisser Prozentsatz der Kunden seinen Anspruch nicht geltend macht (s. a. Deloitte LLP 2018, S. 670f.). Im Fall einer Begleichung ist unerheblich, ob die Schuld gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger erfüllt oder mit dessen Einverständnis auf eine dritte Partei gegen Zahlung eines entsprechenden Betrags übertragen wurde (vgl. IFRS 9.B3.3.4). Eine einseitige vorzeitige Rückzahlung an einen Dritten wie einen Treuhandfonds ohne Einverständnis des Gläubigers (sog. "in-substance defeasance") stellt dagegen keine Entlassung aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis dar (vgl. IFRS 9.B3.3.3f.). Diese Regelung ist mit dem deutschen Bilanzrecht vergleichbar (vgl. ADS, 6. Aufl., § 246 HGB, Tz. 424 mwN).
Tz. 144
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der Abgangserfolg wird durch Vergleich des letzten Buchwerts der finanziellen Verbindlichkeit mit dem geleisteten Betrag festgestellt und ist ergebniswirksam im Periodenergebnis zu zeigen (vgl. IFRS 9.3.3.3). Wird lediglich ein Teil der Verbindlichkeit getilgt, stellt sich wie bei einem Teilabgang finanzieller Vermögenswerte die Frage, wie hoch der nach der Tilgung noch verbleibende Buchwert ist. Und wie auf der Vermögensseite legt der IASB fest, dass die Aufteilung des Buchwerts auf den noch ausstehenden und den getilgten Teil im Wege der relativen beizulegenden Zeitwerte erfolgen soll (vgl. IFRS 9.3.3.4).
Tz. 145
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Wird ein Schuldner dergestalt aus seiner ursprünglichen Leistungspflicht entbunden, dass er zeitgleich eine neue finanzielle Verbindlichkeit eingeht (Umschuldung, Novation), hat er die ursprüngliche Verbindlichkeit aus- und die neu eingegangene einzubuchen. Dabei spielt die Frage, aus welchem Grund die Umschuldung vorgenommen wird, keine Rolle. Auch kommt es nicht darauf an, dass der Gläubiger formal seinen Verzicht auf Begleichung der Ursprungsforderung ausspricht: Eine substanzielle Änderung der Ausstattungsmerkmale der ursprünglichen finanziellen Verbindlichkeit steht nach Ansicht des IASB wirtschaftlich einer Umschuldung gleich und ist ebenso als Aus- und Wiedereinbuchung abzubilden (vgl. IFRS 9.3.3.2). Als substanziell geändert ist ein Schuldverhältnis dann anzusehen, wenn der Barwert der erwarteten Zahlungsströme nach Umschuldung unter Einschluss von Nettofinanzierungskosten um mindestens zehn Prozent vom Barwert der ursprünglichen Zahlungsreihe abweicht, wobei die Diskontierung mit dem Effektivzins der ursprünglichen Schuld erfolgt (vgl. IFRS 9.B3.3.6; s. a. Deloitte LLP 2018, S. 672ff.; Wolsiffer/Bär/Hensen, WPg 2015, S. 1167). Die Abänderung eines Vertrags kann sich prinzipiell auf jedes Ausstattungsmerkmal beziehen – stellvertretend seien der Nominalbetrag, die Zinshöhe, die Zahlungszeitpunkte, die Währung, die Stellung oder Rückgewähr von Sicherheiten sowie der Rang der Schuld genannt (vgl. Deloitte LLP 2018, S. 678f.). Führt die Modifizierung der Ausstattungsmerkmale nicht zu einer Ausbuchung, werden die fortgeführten Anschaffungskosten der finanziellen Verbindlichkeit angepasst und eine etwaige Differenz zum bisherigen Bruttobuchwert unmittelbar im Periodenergebnis erfasst (vgl. IFRS 9.BC4.253).
Tz. 146
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
In der Praxis wird häufig die Frage gestellt, ob B3.3.6 eine Konkretisierung von Paragraf 3.3.2 darstellt oder als beispielhafte Auslegung der Norm anzusehen ist. Anders ausgedrückt: Kann von einer substanziellen Änderung der Vertragsmerkmale bereits dann ausgegangen werden, wenn sich einzelne, va. qualitative Ausstattungsmerkmale geändert haben, selbst wenn diese Änderungen nicht zu einer Abweichung der Barwerte um 10 % führt? Eine derartige Sichtweise ist abzulehnen. Zwischen den Textziffern im Standardteil und den Anwendungsleitlinien besteht keine hierarchische Ordnung, beide haben denselben Verbindlichkeitsgrad. Auch wird der nach B3.3.6 geforderte Barwertvergleich nicht auf bestimmte Situationen beschränkt oder als Beispiel bezeichnet. Wenn sich also Vertragsbestandteile ändern, ohne dass sich der Barwert der neuen finanziellen Verbindlichkeit um mindestens 10 % von der alten unterscheidet, kommt eine Ausbuchung nicht in Betracht. Die einzige sachgerechte Ausnahme von dieser apodiktischen Aussage besteht in einer Änderung der Abrechnungswährung, weil hier wirtschaftlich eine substanziell andersartige Risikoposition besteht (so auch Deloitte LLP 2018, S. 683f.; auch andere Änderungen ins Kalkül ziehend offenbar KPMG IFRG Limited 2017/18, Tz. 7A.6.420ff. und PricewaterhouseCoopers LLP 2017, Tz...