Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 272
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Ein vorläufiger negativer Unterschiedsbetrag kann eine Vielzahl von Ursachen haben (vgl. zur deutschen handelsrechtlichen Regelung Baetge/Kirsch/Thiele, 11. Aufl., 2015, S. 226 f.; Busse von Colbe/Ordelheide/Gebhardt/Pellens, 9. Aufl., 2009, S. 242; ADS, 6. Aufl., § 309 HGB, Tz. 67):
- Die identifizierbaren Vermögenswerte sind zu hoch bewertet;
- identifizierbare Schulden oder Eventualschulden sind nicht berücksichtigt oder bereits berücksichtigte identifizierbare Schulden oder Eventualschulden sind zu niedrig bewertet;
- einzelne Bestandteile der Gegenleistung sind zu niedrig bewertet (zB bei einem Verkauf unter Zwang);
- die identifizierbaren Vermögenswerte und Schulden sind aufgrund eines anderen Standards oder aufgrund von Sonderregelungen in IFRS 3 nicht angesetzt oder nicht zu ihrem beizulegenden Zeitwert bewertet, obwohl sie bei den Kaufpreisverhandlungen entsprechend berücksichtigt wurden; oder
- es liegt ein sog. günstiger Erwerb (lucky buy oder bargain purchase) vor, dh., der Käufer konnte den Kaufpreis aufgrund einer guten Verhandlungsposition mindern oder er konnte die Anteile des erworbenen Unternehmens wegen einer für ihn günstigen Lage am Aktienmarkt sehr günstig erwerben.
Tz. 273
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Daneben können erwartete negative Erfolgsbeiträge des erworbenen Unternehmens, die explizit vom Ansatz im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses ausgeschlossen sind, sofern sie bei den Kaufpreisverhandlungen kaufpreismindernd berücksichtigt wurden (zB durch unzureichende Ertragskraft oder durch konkrete Anlässe, wie geplante Sanierungsmaßnahmen). Voraussetzung für das Entstehen eines negativen Unterschiedsbetrages ist allerdings, dass diese Anlässe noch nicht durch die Passivierung einer Schuld oder Eventualschuld im Rahmen der Kaufpreisallokation berücksichtigt wurden, da es ansonsten zu einer Doppelerfassung der Sachverhalte käme (zur Bilanzierung von Eventualschulden vgl. Tz. 229 ff.).
Tz. 274
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Hintergrund der Diskussion möglicher Ursachen des negativen Unterschiedsbetrags in IFRS 3 ist, dass der IASB einen Ertrag aus dem Unternehmenszusammenschluss für zweifelhaft hält (in Deutschland haben ca. 4 % aller HDAX und SDAX Indexwerte in den Jahren 2005 bis 2013 einen Badwill erfasst; vgl. Zülch, WPg 2016, S. 313). Daher sind die Ursachen eines vorläufigen Unterschiedsbetrags kritisch zu prüfen, bevor ein verbleibender Unterschiedsbetrag erfolgswirksam erfasst wird. Explizit genannt werden in IFRS 3.BC371 ff. folgende Fälle:
- günstiger Erwerb (bargain purchase);
- regelkonform nicht angesetzte bzw. nicht zum beizulegenden Zeitwert bewertete Vermögenswerte und Schulden;
- nicht regelkonform nicht angesetzte bzw. nicht zum beizulegende Zeitwert bewerte Vermögenswerte und Schulden, sog. Fehler (error).
Tz. 275
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Der Fall des günstigen Erwerbs scheidet regelmäßig aus, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Transaktionen entsprechend der Definition des beizulegenden Zeitwerts zwischen sachverständigen, unabhängigen Dritten ohne Druck erfolgen. Der IASB erkennt selbst an, dass ein günstiger Erwerb nur aus anderen, nicht ökonomischen Gründen (other than economic reasons; IFRS 3.BC148(c) (2004)) erfolgen kann. Diese sind allerdings schwer zu erkennen und können nur selten belegt werden. Sofern unabhängige, nicht gemeinnützige und nicht in Notlage befindliche Transaktionspartner vorliegen, muss somit unterstellt werden, dass Leistung und Gegenleistung ausgeglichen sind und kein günstiger Erwerb vorliegt.
Tz. 276
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Ein negativer Unterschiedsbetrag aufgrund einer regelkonformen Abweichung von Ansatz- und/oder Bewertungsvorschriften in IFRS 3 ergibt sich hauptsächlich durch passive latente Steuern, die gem. IAS 12.53 nicht abzuzinsen sind. Die hierfür bei der Bilanzierung des Unternehmenszusammenschlusses zu passivierende Schuld ist somit größer als deren beizulegender Zeitwert und größer als der anteilig darauf entfallende Betrag der übertragenen Gegenleistung. Vor allem bei Unternehmenszusammenschlüssen, bei denen hohe Beträge an steuerlich nicht wirksamen immateriellen Vermögenswerten aufgedeckt werden, können somit negative Unterschiedsbeträge entstehen. Ebenso könnte der Erwerb einer Verlustgesellschaft bzw. eines Geschäftsbetriebs aus einer Insolvenzmasse zum einem negativen Unterschiedsbetrag aufgrund einer regelkonformen Abweichung führen, da dem niedrigen Kaufpreis ein Ansatzverbot für Schulden für künftige Verluste und Restrukturierungsrückstellungen gem. IFRS 3.11 gegenübersteht. Nach Ansicht des IASB sind die künftigen Verluste aber bereits im beizulegenden Zeitwert des erworbenen Reinvermögens berücksichtigt ohne allerdings zu klären, wie dies erfolgen kann. Erwartungen von künftigen Verlusten und Restrukturierungsplänen können damit einen negativen Unterschiedsbetrag nach IFRS nicht erklären (IFRS 3.BC146; vgl. Lüdenbach, in: Haufe IFRS-Kommentar, 14. Aufl., § 31, Rz. 142).
Tz. 277
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