Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 84
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
In die Beurteilung, ob Verfügungsgewalt vorliegt, sind nur substanzielle Rechte und keine Schutzrechte einzubeziehen (IFRS 10.B9). Jede rechtliche Entscheidungsbefugnis (zB Kreditklauseln, vertragliche Nebenabreden) eines Investors und Dritter ist daraufhin zu beurteilen, ob es sich um ein Schutzrecht oder ein substanzielles Gestaltungsrecht handelt (IFRS 10.B26). Schutzrechte sind Rechte, welche die Interessen der über das Schutzrecht verfügenden Partei wahren, ohne dieser Partei die Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen einzuräumen (IFRS 10 Appendix A). Schutzrechte können damit einerseits nicht zur Beherrschung eines Beteiligungsunternehmens führen (IFRS 10.14) und verhindern andererseits auch nicht, dass ein anderer Investor über Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen verfügt (IFRS 10.B27). Schutzrechte sind oftmals dadurch gekennzeichnet, dass sie in Ausnahmesituationen gelten oder sich auf grundlegende Änderungen bei der Tätigkeit des Beteiligungsunternehmens beziehen (IFRS 10.B26).
Tz. 85
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Beispiele für Schutzrechte sind:
- Genehmigung von Investitionsentscheidungen, welche die übliche Geschäftstätigkeit übersteigen;
- Verbot von Transaktionen, welche die Kreditwürdigkeit des Beteiligungsunternehmens verringern könnte;
- Vetorecht für Transaktionen zwischen dem Beteiligungsunternehmen und nahestehenden Unternehmen oder Personen;
- Vetorechte bzgl. Veränderung des Gesellschaftsvertrags, des Sitzes oder Namens des Beteiligungsunternehmens, der Wahl des Abschlussprüfers des Beteiligungsunternehmens oder bzgl. von Bilanzierungsentscheidungen des Beteiligungsunternehmens;
- die Veräußerung von Schlüsseltechnologien oder wesentlichen Vermögenswerten;
- Recht zur Genehmigung von Emissionen von Eigenkapital- oder Fremdkapitalinstrumenten.
Tz. 86
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Schutzrechte beziehen sich regelmäßig auf die grundlegende Veränderung der Tätigkeiten und werden häufig nur für besondere Fälle vereinbart bzw. werden mit Bedingungen verknüpft, allerdings ist nicht jede solche Sonderregelung unmittelbar ein Schutzrecht (IFRS 10.B26). Klauseln in Kreditverträgen, welche die Entscheidungsbefugnisse über die Kreditsicherheiten einschränken, sind idR als unkritische Schutzrechte zu betrachten.
Tz. 87
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Vor allem bei vertraglichen Vereinbarungen zugunsten eines bestimmten Investors (zB Gläubiger) ist es grundsätzlich möglich, dass durch die vertraglichen Rechte die maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens so detailliert bestimmt werden, dass es sich faktisch um substanzielle Gestaltungsrechte und nicht um Schutzrechte handelt. Unter Umständen kann ein Recht (zunächst) auch ein Schutzrecht sein, das dann allerdings durch bestimmte Umstände zu einem substanziellen Recht wird, das zur Verfügungsgewalt führen kann. Beispiele sind:
- Recht, Vermögenswerte im Insolvenzfall des Beteiligungsunternehmens zu verwerten (bei Eintritt des Insolvenzfalls liegt ein substanzieller Anspruch vor);
- Vetorecht für Entscheidungen zur üblichen Geschäftstätigkeit (zB Vetorecht für Entscheidungen über detaillierte, relevante Budgets ist eher substanzieller Anspruch als ein reines Schutzrecht); dies ist anhand der maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens sowie der jeweiligen Sachverhalte und Umstände zu beurteilen.
Tz. 88
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Keine Schutzrechte, sondern unmittelbare substanzielle Rechte liegen bei vertraglichen oder gesetzlichen Mitspracherechten Dritter über die Finanz- und Geschäftspolitik des Beteiligungsunternehmens oder bei der Festlegung der Gehälter der Unternehmensleitung vor (vgl. Bischof/Roß, 2005, S. 206, Fn. 51; FASB ASC 810 – Consolidation, Para. 810–10–25–5ff.), ebenso bei bestimmten Rechten eines beschränkt haftenden Gesellschafters einer limited partnership, die dazu führen können, dass der voll haftende Gesellschafter keine Verfügungsgewalt hat (vgl. FASB ASC 810–20–25–7ff.). Der ESMA Report, 21th extract, decision ref. EECS/0117–02, Tz. 7 bis 12, enthielt den Fall eines Einzelhandelskonzerns A, der zu 42 % an einem Unternehmen B beteiligt war, dem Einkaufszentren gehörten und die es selbst auch verwaltete, sowie Vermögenswerte kaufte und verkaufte. Der Einzelhandelskonzern A konnte 5 von 12 der Mitglieder des Leitungs- und Verwaltungsgremium von Unternehmen B besetzen. Einige Entscheidungen, wie Budgetfreigabe, jährliche Überprüfung des Geschäftsplans, Investitionen und Desinvestitionen, Fremdfinanzierungen, bedurften einer Zweidrittelmehrheit in der Versammlung der Anteilseigner. Die Aufsichtsbehörde war der Auffassung, dass der Einzelhandelskonzern A das Unternehmen B nicht beherrschte, da der Einzelhandelskonzern A durch seine Vetorechte nur Entscheidungen verhindern, nicht aber einseitige Entscheidungen treffen könne. Zudem war eine Blockbildung der anderen acht Anteilseignern nicht auszuschließen. Derartige Beurteilungen der Beherrschung sind von den konkreten Sachverhalten und Ums...