Tz. 60

Stand: EL 49 – ET: 02/2023

Während der Standardsetter bei der Entwicklung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden durch das Management die Beachtung von Standards und Interpretationen sowie ggf. des Rahmenkonzepts zwingend vorschreibt (shall use its judgement bzw. shall refer to, vgl. IAS 8.10f.), ist der Rückgriff auf Verlautbarungen anderer Standardsetter, die ein ähnliches Rahmenkonzept zur Entwicklung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anwenden, Fachliteratur und anerkannte Branchenpraxis nicht verpflichtend (may also consider, vgl. IAS 8.12, IAS 8.BC16 sowie Ruhnke/Nerlich, DB 2004, S. 393).

 

Tz. 61

Stand: EL 49 – ET: 02/2023

Fraglich ist, in welchem Verhältnis die Regelungen in IAS 8.11 und IAS 8.12 zueinander stehen. Beide Regelungen stellen Leitlinien bei der Entscheidungsfindung durch das Management iSv. IAS 8.10 dar und haben daher konzeptionell (wenn auch mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad bezüglich ihrer Anwendung) den gleichen Verbindlichkeitscharakter. Es ist indes zu beachten, dass eine auf Basis der in IAS 8.12 erwähnten Quellen entwickelte Bilanzierungs- und Bewertungsmethode nicht im Konflikt zu den in IAS 8.11 aufgezählten Quellen stehen darf (IAS 8.12). Was der Standardsetter unter "in Konflikt stehen" (do [not] conflict) versteht, ist in IAS 8 nicht erläutert. Die Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden können nur dann in Konflikt stehen, wenn sie ähnliche oder verwandte Fragestellungen (vgl. Tz. 57f.) unterschiedlich regeln. Sofern eine derartige Konstellation gegeben ist, ist daher gem. IAS 8.12 die aufgrund von IAS 8.11 anwendbare Regelung vorrangig anzuwenden. Auf diese Weise können Inkonsistenzen innerhalb der in einem IFRS-Abschluss angewendeten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden vermieden werden.

 

Tz. 62

Stand: EL 49 – ET: 02/2023

Mit der Beschränkung, dass nur Verlautbarungen anderer Standardsetter angewendet werden können, die ein ähnliches Rahmenkonzept zur Entwicklung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anwenden, soll vermieden werden, dass Regelungen mit abweichendem theoretischem Unterbau (hierzu vgl. auch Tz. 55f.) in IFRS-Abschlüssen angewendet werden. Folglich sind Standardsetter daran zu messen, ob sie ein Rahmenkonzept anwenden, das als Zielsetzung die Vermittlung von entscheidungsnützlichen Informationen (vgl. CF 1.2) hat. Denkbar ist zB die Anwendung von Regelungen folgender Regelungswerke:

(1) US GAAP,
(2) sonstige GAAP mit angelsächsischem Ursprung wie zB UK GAAP, Australian GAAP oder Canadian GAAP (vgl. hierzu Radebaugh/Gray, International Accounting and Multinational Enterprises, 4. Aufl., S. 87ff.),
(3) Verlautbarungen des DRSC, insbesondere des RIC (glA Ruhnke/Nerlich, DB 2004, S. 393) oder
(4) Verlautbarungen des IDW zu IFRS-Problematiken (vgl. zB IDW RS HFA 2 und IDW RS HFA 9).

Diese Verlautbarungen können indes nur solange als Interpretationsleitlinie dienen, bis eine anderslautende Regelung durch das IFRIC bzw. das IASB beschlossen wird.

 

Tz. 62a

Stand: EL 49 – ET: 02/2023

Fraglich ist, ob auch Verlautbarungen von nationalen Enforcern und Gerichten Verlautbarungen von Standardsettern iSv. IAS 8.12 darstellen. So hat das OLG Frankfurt am Main festgestellt, dass in Fällen unklarer Vorschriften, unbestimmter Rechtsbegriffe und Regelungslücken die BaFin als zuständige Enforcement-Stelle die Auslegung eines Unternehmens auch dann als fehlerhaft feststellen kann, wenn das bilanzierende Unternehmen mit auslegungsbedürftigen Vorschriften konfrontiert ist und die Auslegung nachvollziehbar und vertretbar ist (vgl. Lüdenbach/Freiberg, DB 2019, S. 2305ff.). Bislang wurde ganz überwiegend die Meinung vertreten, dass sich eine Prüfung durch BaFin und DPR bei unklarer Rechtslage darauf beschränkt, ob die vom bilanzierenden Unternehmen gewählte Auslegung vertretbar ist, was sich über den im Handelsrecht geltenden subjektiven Fehlerbegriff begründen lässt (vgl. hierzu im Einzelnen Pöschke, WPg 2019, S. 873, und Schmidt, BB 2019, S. 2027f.). Das OLG Frankfurt am Main ist dieser Auffassung nicht gefolgt, stattdessen soll für das Enforcement und somit auch für die Rechnungslegung nach IFRS der objektive Fehlerbegriff maßgeblich sein (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.02.2019, Rn. 94). Danach soll die Auslegungskompetenz für IFRS bei Fehlen einer IFRS IC-Interpretation zunächst bei der BaFin als nationaler Durchsetzungsbehörde im Bereich der Rechnungslegung in Deutschland und im Streitfall bei den Gerichten liegen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.02.2019, Rn. 99f., sowie Böcking/Gros/Wirth, DB 2019, S. 2646f.); es gibt folglich nur eine "richtige" Auslegung. Dagegen spricht zunächst insbesondere, dass die Fehlerdefinition in IAS 8.5 eine subjektive Komponente enthält (vgl. Tz. 30) und sowohl der Board und das IFRS IC in einer Vielzahl von Fällen mehr als eine Auslegung für zulässig erachten (vgl. hierzu im Einzelnen Lüdenbach/Freiberg, DB 2019, S. 2307ff. und 2647ff.). Darüber hinaus stellen Enforcer keine Standardsetter gem. IAS 8.12 da...

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