Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Fabian Graupe
Tz. 97
Stand: EL 35 – ET: 6/2018
Erlangt ein Investor durch den Hinzuerwerb von Anteilen erstmalig maßgeblichen Einfluss oder gemeinschaftliche Beherrschung über ein bislang nach IFRS 9 bilanziertes Beteiligungsunternehmen (sog. step acquisition), ist ab dem Zeitpunkt dieses Statuswechsels erstmalig die Equity-Methode anzuwenden. Dabei ist zu beachten, dass es nicht ausreichend ist, lediglich die neu erworbenen Anteile (sog. Neuanteile) at equity zu bilanzieren – also das Anteilspaket, durch das der Investor seinen maßgeblichen Einfluss oder seine gemeinschaftliche Beherrschung erlangt hat –, vielmehr ist die Equity-Methode auf die gesamte Beteiligung, also auch auf sämtliche sog. Altanteile, anzuwenden. IAS 28 enthält indes keine explizite Regelung, wie im Fall der erstmaligen Anwendung der Equity-Methode infolge eines sukzessiven Anteilserwerbs vorzugehen ist. Die zentrale bilanzielle Herausforderung liegt hier darin, dass zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Equity-Methode lediglich für die neu erworbenen Anteile aktuelle Anschaffungskosten vorliegen und die Altanteile bislang in aller Regel in Höhe ihres Fair Value einbezogen wurden (vgl. Tz. 45). Insofern stellt sich die Frage, mit welchem Wertansatz diese bisher nach IFRS 9 bilanzierten Anteile im Rahmen der erstmaligen Anwendung der Equity-Methode zum Zeitpunkt des Statuswechsels zu berücksichtigen sind.
Tz. 98
Stand: EL 35 – ET: 6/2018
Zu klären ist, ob die allgemeine Vorschrift in IAS 28.10, nach der eine Beteiligung an einem assoziierten Unternehmen oder Gemeinschaftsunternehmen beim erstmaligen Ansatz in Höhe ihrer Anschaffungskosten anzusetzen ist, für den Spezialfall des sukzessiven Anteilserwerbs einschlägig ist (vgl. zur folgenden Diskussion ausführlich Gimpel-Henning, 2015, S. 182–185). Wird dies bejaht, kämen für die Ermittlung des Wertansatzes der bislang nach IFRS 9 bilanzierten Anteile lediglich anschaffungskostenbasierte Methoden infrage. Eine Fair-Value-Bilanzierung wäre dann keinesfalls zulässig (so zB Küting/Seel, DB 2011, S. 1006). Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die in IAS 28.10 normierte Vorgabe der Anschaffungskostenbilanzierung zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als einfache Beteiligungen noch gemäß dem damals einschlägigen IAS 25 regelmäßig mit ihren Anschaffungskosten zu bilanzieren waren. Es ist daher fraglich, ob der Standardsetzer die spezifischen Herausforderungen des Übergangs von einer Fair-Value-Bilanzierung hin zu einer Anschaffungskostenbilanzierung "zu Ende durchdacht" (Larenz/Canaris, 1995, S. 219) hat. Nachdem dieser Sachverhalt beim IFRS IC aufgrund einer zu beobachtenden diversity in practice adressiert wurde (vgl. Tz. 132), hat zudem der Mitarbeiterstab des IFRS IC im Juli 2010 festgestellt, dass sowohl eine anschaffungskostenbasierte als auch eine Fair-Value-orientierte Bilanzierung der Altanteile mit den aktuellen Regelungen des IAS 28 vereinbar wäre (vgl. IFRS IC (Hrsg.), Staff Paper 16: IAS 28 Investments in Associates – Purchases in stages – fair value as deemded cost, Tz. 11–18). Demnach hat sich die Bilanzierung der Altanteile nicht zwingend in den Grenzen des Wortlauts von IAS 28.10 zu bewegen. Vielmehr liegt eine (verdeckte) Normlücke vor, die es zu schließen gilt.
Mit der expliziten Regelung der bilanziellen Abbildung von sukzessiven Unternehmenszusammenschlüssen in IFRS 3.42 liegt eine Bilanzierungssystematik vor, die angesichts des allgemeinen Verweises in IAS 28.26 prinzipiell analog angewendet werden könnte. Allerdings werden für die Bilanzierung der Altanteile im Schrifttum eine Vielzahl von Bilanzierungsalternativen diskutiert (vgl. EY, International GAAP 2017, S. 728–736; KPMG, Insights into IFRS 2016/17, 13. Aufl., Tz. 3.5.530–3.5.555; Hayn, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 5. Aufl., § 37, Tz. 20–30; Köster, in: MünchKommBilR, IAS 28, Tz. 50–54; Gimpel-Henning, 2015, S. 181–218; Richter, KoR 2014, S. 290–294; Klose, 2014, S. 165–168), deren (konzeptionelle) Vor- und Nachteile es gegeneinander abzuwägen gilt. Dabei kommen uE vor allem folgende Lösungsansätze infrage:
1) |
Die Regelungen des IFRS 3.42 zur bilanziellen Abbildung eines sukzessiven Unternehmenszusammenschlusses werden analog angewendet. |
2) |
Der bisherige Beteiligungsbuchwert der Altanteile wird fortgeführt. |
3) |
Die Equity-Methode wird vollständig retrospektiv angewendet. |
4) |
Die Equity-Methode wird eingeschränkt retrospektiv angewendet (IFRS 3 (2004)). |
Die möglichen Lösungsansätze werden im Folgenden anhand eines einfachen Beispiels diskutiert.
Tz. 99
Stand: EL 35 – ET: 6/2018
Beispiel:
Unternehmen A erwirbt in zwei Tranchen eine Beteiligung an Unternehmen B. Am 01.01.20X1 erwirbt A 15 % der Anteile an Unternehmen B für 1.200 GE. Am 01.01.20X2 erwirbt Unternehmen A weitere 15 % der Anteile an Unternehmen B für 2.100 GE, was dem anteiligen beizulegenden Zeitwert des Unternehmens B zu diesem Zeitpunkt entspricht. Unternehmen A erlangt durch diesen zweiten Anteilserwerb maßgeblichen Einfluss. Der Buchwert des Eigenkapitals von ...