Prof. Dr. Hans-Joachim Böcking, Roman Mala'ebeh
Tz. 1
Stand: EL 46 – ET: 03/2022
Die von den Adressaten der Jahresabschlüsse zu treffenden ökonomischen Entscheidungen erfordern eine Beurteilung der zukünftigen (Zahlungs-)Mittelzuflüsse und -abflüsse einschließlich des Zeitpunkts und der Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens. Diese Analyse wird erleichtert, wenn Adressaten Informationen über das Ertragspotenzial sowie die Vermögens- und Finanzlage eines Unternehmens erhalten (F.1.1ff.). Eine Prognose über die künftige Unternehmensentwicklung durch die Jahresabschlussadressaten basiert prinzipiell auf einer Vergangenheitsanalyse des Erfolgs sowie einer Einschätzung, inwieweit zukünftige Geschäftsvorfälle vergangenen Transaktionen gleichen. Um den für Prognosen und Einschätzungen erforderlichen Informationsbedürfnissen der Kapitalmarktteilnehmer gerecht zu werden, reichen Unternehmensdaten in der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung über die Ermittlung einer objektivierten Gewinngröße (financial accounting) nicht aus. Vielmehr bedarf es der Publizität von Informationen, die nicht nur als Ermittlungsgrundlage von Kennzahlensystemen dienen können, sondern die hierüber hinausgehen und entscheidungsrelevanten Charakter haben (business reporting). Die Berichterstattung über solche kapitalmarktinduzierten Informationen erfolgt hauptsächlich in Informationsinstrumenten außerhalb der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, wodurch die Erfüllung der Informationsfunktion im Sinne eines true and fair view nur von einem erweiterten Jahresabschluss erreicht wird und nicht etwa von der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (Abkopplungsthese) (vgl. Moxter, 1986, S. 67–68; Böcking, 1994, S. 1 und S. 13–21). Ein solcher Wandel vom financial accounting zum business reporting hat sich in der Rechnungslegung deutscher Unternehmen seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz, KapAEG) und des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vollzogen (vgl. Böcking, ZfbF 1998, S. 18). Inhaltlich sollte der Jahresabschluss Informationen liefern, die es dem externen Leser ermöglichen, Chancen und Risiken eines Unternehmens besser beurteilen zu können. Hierzu bedarf es unter anderem Aussagen zur (künftigen) Unternehmensstrategie und -entwicklung (vgl. Böcking/Orth, DB 1998, S. 1875). Für Adressaten sollte als ein bedeutender Bestandteil der Berichterstattung erkennbar sein, inwieweit Güter bzw. Unternehmensteile durch einen einmaligen Vorgang (zB Verkauf) aus ihrer Zweckbestimmung herausgelöst werden (sollen) und damit nicht mehr zur zukünftigen Unternehmensentwicklung beitragen werden. Desinvestitionsentscheidungen werden zB aufgrund der Verschlechterung der konjunkturellen Lage, wegen struktureller Probleme oder aufgrund der Fokussierung auf das Kerngeschäft getroffen.
Tz. 2
Stand: EL 46 – ET: 03/2022
Das International Accounting Standards Board (IASB) wird dieser Forderung nach mehr Transparenz gerecht, indem es von Unternehmen eine umfassende Darstellung von Desinvestitionen im Jahresabschluss verlangt. In IFRS 5 bestimmt das IASB den Ausweis und die Bewertung zum Verkauf stehender langfristiger Vermögenswerte und Gruppen dieser Vermögenswerte sowie die Darstellung aufgegebener Geschäftsbereiche (IFRS 5.1). Darüber hinaus fordert IFRS 5 von Unternehmen besondere Berichtspflichten über zum Verkauf stehende langfristige Vermögenswerte und aufgegebene Geschäftsbereiche (IFRS 5.1). Die Veröffentlichung der Finanzdaten über zu veräußernde Vermögenswerte und aufgegebene Geschäftsbereiche ist bedeutend für die Deckung des Informationsbedarfs der Investoren. Die in der Praxis regelmäßig durchgeführten Bereinigungen eines Unternehmensportfolios durch das Management mit dem Ziel der Fokussierung auf die Kerngeschäftskompetenzen erfordern eine entsprechende Berichterstattung an die (potenziellen) Investoren. Die Unternehmensführung und -kontrolle haben sich verstärkt an dem Interesse der (institutionellen) Anteilseigner, an einer Steigerung des Shareholder Value, auszurichten (vgl. Böcking/Orth, in: Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), 2. Aufl., 2003, S. 763). Dieser Anforderung des Kapitalmarkts kommt das IASB mit seiner Vorschrift IFRS 5 nach, indem es die Publizität von Informationen über die Disposition von Unternehmensressourcen verlangt und damit die wirtschaftlichen Folgen derartiger Managemententscheidungen für die Jahresabschlussadressaten transparent macht. Darüber hinaus werden durch die Übernahme unternehmensinterner Informationen in die externe Rechnungslegung vorhandene Informationsasymmetrien vermindert und eine Anreizkompatibilität der Entscheidungen des Managements und der Interessen der Anteilseigner bewirkt (vgl. Böcking, 1994, S. 45).
Gemäß IFRS 5 haben Unternehmen sowohl primär einwertige, vergangenheitsbezogene und quantitative (Mindest-)Informationen (in der Bilanz und der Gewinn- und Verlu...