Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 253
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
IFRS 3 enthält ein Wahlrecht bzgl. der Bewertung der Bestandteile des Anteils ohne beherrschenden Einfluss am erwerbenden Unternehmen zum Erwerbszeitpunkt, die einen gegenwärtigen Anteil am Nettovermögen darstellen (dh. Eigentumsansprüche) und die zu einem anteiligen Erlös bei Liquidation führen (sog. qualifizierte Anteile ohne beherrschenden Einfluss).
- Option 1: Bewertung dieser Bestandteile des Anteils ohne beherrschenden Einfluss mit dem beizulegenden Zeitwert zum Erwerbszeitpunkt (dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz der Bewertung zum beizulegenden Zeitwert);
- Option 2: Bewertung dieser Bestandteile des Anteils ohne beherrschenden Einfluss mit ihrem Anteil am Wert des erworbenen Nettovermögens.
Dieses Wahlrecht gilt nicht für andere Bestandteile des Anteils ohne beherrschenden Einfluss (zB Aktienoptionen, Wandelschuldverschreibungen), die zum beizulegenden Zeitwert zum Erwerbszeitpunkt bzw. nach den einschlägigen IFRS (zB IFRS 2, IAS 32) zu bewerten sind. Insgesamt sind damit nun zusätzliche Bestandteile des Anteils ohne beherrschenden Einfluss zwingend zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten (nämlich alle Anteile, die nicht zum sog. qualifizierten Anteil gehören), was eine größere Bewertungsexpertise erfordert.
Tz. 254
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Gemäß Option 1 werden die Bestandteile des qualifizierten Anteils ohne beherrschenden Einfluss mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet, der auf Grundlage der Marktpreise für Stammaktien, die nicht vom Erwerber gehalten werden oder, sofern diese Preise nicht verfügbar sind, unter Anwendung einer Bewertungsmethode ermittelt wird. Dies führt dazu, dass der erfasste Goodwill den gesamten Goodwill des erworbenen Unternehmens darstellt, nicht nur den Anteil des Erwerbers (sog. Full-Goodwill-Methode; vgl. Tz. 280 ff. mit ausführlichen Beispielen). In der Regel kann nicht ohne weiteres vom Betrag der vom Erwerber übertragenen Gegenleistung auf den beizulegenden Zeitwert des qualifizierten Anteils ohne beherrschenden Einfluss geschlossen werden (zB. aufgrund eines Kontrollaufschlags). Daher ist idR eine Unternehmensbewertung erforderlich. Die Anwendung der ersten Option bedeutet somit, dass im Vergleich zur bisherigen Bilanzierung zusätzlicher Zeitaufwand entsteht und umfangreichere Fachkenntnisse erforderlich sind, um den beizulegenden Zeitwert des qualifizierten Anteils ohne beherrschenden Einfluss zu bestimmen. Folgende Tabelle fasst Wertmaßstäbe für ausgewählte Eigenkapitalanteile des erworbenen Unternehmens zusammen (vgl. Ernst & Young, International GAAP 2017, Kap. 9, Abschn. 8).
Wertmaßstäbe für ausgewählte Eigenkapitalanteile des erworbenen Unternehmens
Tz. 255
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Werden die qualifizierten Anteile ohne beherrschenden Einfluss gem. Option 2 bewertet, stellt der erfasste Goodwill lediglich den Anteil des Erwerbers dar (sog. Purchased-Goodwill-Methode). Ein späterer Erwerb von im Umlauf befindlichen weiteren qualifizierten Anteilen ohne beherrschenden Einfluss führt indes nicht zur Erfassung eines zusätzlichen Goodwills, da diese Transaktion dann eine Transaktion zwischen Anteilseignern darstellt (IFRS 10.23).
Tz. 256
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Das Wahlrecht für den qualifizierten Anteil ohne beherrschenden Einfluss darf bei jedem Unternehmenszusammenschluss neu ausgeübt werden (im Gegensatz zu einer Bilanzierungsmethode), und es erfordert vom Management eine sorgfältige Abwägung seiner Absichten hinsichtlich des künftigen Erwerbs von Anteilen ohne beherrschenden Einfluss, da beide Methoden zusammen mit der künftigen Vorgehensweise bei der Bilanzierung von Änderungen der Beteiligungsquote an einem Tochterunternehmen Auswirkungen auf die Höhe des Goodwills und des ausgewiesenen Eigenkapitals (und damit auch auf verschiedene Bilanzkennzahlen) haben können. Während eine Bewertung des qualifizierten Anteils ohne beherrschenden Einfluss zum beizulegenden Zeitwert die künftige Reduzierung des Eigenkapitals bei Erwerb weiterer entsprechender Anteile verhindert, führt die Bewertung des qualifizierten Anteils ohne beherrschenden Einfluss zum erworbenen anteiligen Nettovermögen zu einem niedrigeren Goodwill und damit quasi zur Legung von stillen Reserven, indem ggf. Wertminderungen später oder gar nicht zu erfassen sind.
Tz. 257
Stand: EL 32 – ET: 5/2017
Zu Besonderheiten bei der Bilanzierung von Anteilen ohne beherrschenden Einfluss vgl. Tz. 416 ff.