Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Isabel von Keitz
Tz. 75
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Vor allem im Fall der Herstellung von immateriellen Vermögenswerten, aber auch bei anderen Erwerbsarten, ist es möglich, dass die Ausgaben für immaterielle Vermögenswerte in einem Abschluss nicht aktiviert, sondern direkt als Aufwand erfasst wurden, da der immaterielle Vermögenswert eines der Ansatzkriterien (noch) nicht erfüllt hat. Erfüllt der immaterielle Vermögenswert zu einem späteren Zeitpunkt dann doch die Ansatzkriterien aufgrund von bestimmten Ereignissen/Umständen (zB, weil die Unsicherheit bezüglich des künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses wegfällt), dürfen die in den aufgestellten Abschlüssen bereits aufwandswirksam verrechneten Kosten (zur Ausnahme im Fall der Neubewertung vgl. Tz. 114) nachträglich nicht aktiviert werden (IAS 38.71). Der betrachtete immaterielle Vermögenswert, für den die Ansatzkriterien nun kumulativ erfüllt sind, darf dann nur mit den Ausgaben bewertet werden, die nach dem Zeitpunkt anfallen, an dem die Ansatzkriterien erstmalig gemeinsam erfüllt sind.
Sofern die sechs Ansatzkriterien für einen selbst erstellten immateriellen Vermögenswert erstmalig unterjährig kumulativ erfüllt werden, sind auch erst die zurechenbaren Entwicklungskosten ab diesem Zeitpunkt zu aktivieren. Ist dies bspw. am 01.03 eines Geschäftsjahres der Fall (unterstellter Bilanzstichtag: 31.12.), sind die Entwicklungskosten ab dem 01.03. aktivierungspflichtig, während die im Januar und Februar angefallenen Entwicklungskosten bei Anfall als Aufwand erfasst werden. Hat zB ein Softwareunternehmen (unterstellter Bilanzstichtag: 31.12.) durch einen Cebit-Auftritt im März die Marktfähigkeit einer neu entwickelten Software nachweisen können und waren die anderen fünf Ansatzkriterien zu diesem Zeitpunkt auch bereits nachweislich erfüllt, muss das Unternehmen alle nach dem Cebit-Auftritt anfallenden, zurechenbaren Entwicklungskosten aktivieren, während alle bis dahin angefallenen Entwicklungskosten direkt aufwandswirksam zu erfassen sind (vgl. allgemein Kühle/Thiele, in: Internationales Bilanzrecht, IAS 38, Tz. 314f. sowie für ein weiteres Anwendungsbeispiel von Keitz/Grote/Hansmann, 2019, S. 88f.).