Leitsatz
Vollendet das arbeitslose Kind während des laufenden Kalenderjahrs das 21. Lebensjahr, so dass es nicht mehr nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG als Kind zu berücksichtigen ist, und überschreiten seine bis dahin zugeflossenen Einkünfte und Bezüge den maßgebenden anteiligen Jahresgrenzbetrag, ist die Familienkasse nach § 70 Abs. 4 EStG berechtigt, die Festsetzung des Kindergelds vor Ablauf des Kalenderjahrs aufzuheben, wenn in den verbleibenden Monaten des Kalenderjahrs offenkundig auch nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Berücksichtigung als Kind vorliegen.
Normenkette
§ 32 Abs. 4, § 70 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Der Sohn der Klägerin war im Jahr 2002 arbeitslos gemeldet. Im November vollendete er das 21. Lebensjahr und war daher ab Dezember nicht mehr zu berücksichtigen. Die Familienkasse hatte ab November 2001 Kindergeld gezahlt, ohne die dem Sohn zufließenden Beträge zu ermitteln. Später stellte sie fest, dass der Grenzbetrag bereits überschritten wurde, und hob mit ?Bescheid vom September bzw. mit Einspruchsentscheidung vom November 2002 die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Januar 2002 auf.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Familienkasse. Mit Erreichung des 21. Lebensjahrs im November 2002 sind die Berücksichtigungsvoraussetzungen ab Dezember 2002 weggefallen. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung im November 2002 stand fest, dass die bis dahin bezogenen Einkünfte und Bezüge des Sohns den Grenzbetrag von 11/12 (und sogar den Jahresbetrag) überschritten hatten. Die Familienkasse konnte daher die Festsetzung vor Ablauf des Kalenderjahrs rückwirkend aufheben.
Hinweis
Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (im Streitjahr 2002: 7.188 ?Euro) über- oder unterschreiten. Die Änderungsmöglichkeit ist erforderlich, weil das Kindergeld monatlich gezahlt wird, der Anspruch da?rauf aber nur besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht über dem Jahresgrenzbetrag liegen.
Ob der Grenzbetrag über- oder unterschritten ist, steht endgültig erst mit dem Ablauf des Kalenderjahrs fest und kann der Familienkasse daher grundsätzlich erst dann bekannt werden. Zeichnet sich schon während des Kalenderjahrs aufgrund einer neuen Prog?nose ab, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag voraussichtlich überschreiten werden, wird im Schrifttum jedoch z.T. eine rückwirkende Korrektur bereits vor Ablauf des Kalenderjahrs für zulässig gehalten. Der BFH hatte für die Rechtslage vor Geltung des § 70 Abs. 4 EStG, d.h. vor 2002, die Änderungsmöglichkeit bejaht, zur Rechtsgrundlage aber keine abschließende Entscheidung getroffen (BFH, Urteil vom 26.7.2001, VI R 83/98, BFH-PR 2002, 47). Das Schrifttum hält § 70 Abs. 4 EStG nicht für anwendbar und stützt sich auf § 175 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO (Pust in Littmann, EStG, § 70 Rz. 253).
Der BFH lässt auch in dieser Entscheidung ausdrücklich offen, ob und nach welcher Vorschrift eine Kindergeldfestsetzung aufgrund einer anderen Prog?nose zu korrigieren ist. Eine Korrektur ist jedenfalls dann vor Ablauf des Kalenderjahrs möglich, wenn die Berücksichtigungsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG während des Jahrs entfallen sind und auch die Vo?raussetzungen nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG für die verbleibenden Monate offenkundig nicht erfüllt sind. Denn in diesem Fall steht bereits mit dem Wegfall der Berücksichtigungsvoraussetzungen fest, welche Einkünfte und Bezüge das Kind bis dahin bezogen hat.
Der Kindergeldberechtigte kann sich gegenüber der Rückforderung nicht auf geschütztes Ver?trauen berufen. Denn ob der Grenzbetrag überschritten ist, kann erst nach Ablauf des Berücksichtigungszeitraums beurteilt werden. Der Berechtigte trägt daher das Risiko, das Kindergeld zurückzahlen zu müssen, wenn sich herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag überschreiten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.12.2005, III R 82/04