Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Entgeltgrundsätze und Mindestlohn
Leitsatz (amtlich)
Allein die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns bedingt keine Änderung mitbestimmter Entlohnungsgrundsätze.
Orientierungssatz
1. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) hat keine Auswirkungen auf die Regelungsbefugnisse der Betriebsparteien (Rn. 17).
2. Eine freiwillige Betriebsvereinbarung, mit der die Betriebsparteien eine den gesetzlichen Mindestlohn unterschreitende Höhe des Entgelts festgelegt haben, ist nicht im Hinblick auf das MiLoG unwirksam (Rn. 17).
3. Der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tretende gesetzliche Mindestlohnanspruch des § 1 Abs. 1 MiLoG bedingt bei einem Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns einen Differenzanspruch (Rn. 17).
4. Im vorliegenden Fall, in dem die Betriebsparteien die mitbestimmten betrieblichen Entlohnungsgrundsätze (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) als ecklohnbezogene Abstände gestaltet und entsprechende Tabellenentgelte ausgewiesen haben, sind mit der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch die Arbeitgeberin (welcher höher ist als die in den untersten Entgeltgruppen angesetzten Stundenentgelte) nicht einseitig neue Entlohnungsgrundsätze aufgestellt. Die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs bedingt prinzipiell keine Änderung eines mitbestimmt aufgestellten Vergütungssystems (Rn. 24 f.).
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10; MiLoG § 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Februar 2020 - 8 TaBV 1919/19 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
A. Die Beteiligten streiten über die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf betriebliche Entlohnungsgrundsätze.
Rz. 2
Die nicht tarifgebundene Arbeitgeberin betreibt Einrichtungen für psychisch erkrankte Menschen. Sie beschäftigt zu diesem Zweck überwiegend Sozialarbeiter. In ihrem Betrieb ist der antragstellende Betriebsrat gewählt. Mit ihm vereinbarte sie am 22. Februar 2018 eine „Regelungsabrede/Betriebsvereinbarung zur Entgeltordnung und zu sonstigen Arbeitsbedingungen 2018“ (ReBe). Diese enthält ua. in ihrem Teil A „Regelungen zum Entgelt für Neueinstellungen“. § 2 ReBe legt die „Eingruppierung in Entgeltgruppen (EG)“ fest, welche in der Anlage 1 zur ReBe als „Entgeltgruppenschema“ näher geregelt ist. § 3 ReBe bestimmt tätigkeitsdauerabhängige Stufen innerhalb der einzelnen Entgeltgruppen. § 4 Abs. 1 ReBe sieht vor, dass sich die „Höhe des Tabellenentgelts der Arbeitnehmer*innen (Grundvergütung) einschließlich der prozentualen Abstände der einzelnen Beträge … aus der Anlage 2“ zur ReBe ergibt. In der Anlage 2a zur ReBe (Referenztabelle 2018) sind für alle 13 Entgeltgruppen und den jeweils für diese geltenden sechs Stufen Prozentzahlen angegeben. Für die Stufe 1 in der EG 9 - der die Sozialarbeiter zugeordnet sind - ist der Wert „100,00“ ausgewiesen. In den weiteren Stufen dieser, den letzten beiden Stufen der EG 8 und in allen Stufen der höheren Entgeltgruppen steigen die Prozentzahlen über „100,00“ sukzessive an; in den (anderen) Stufen der Entgeltgruppen 1 bis 8 sind niedrigere Werte ausgewiesen. Die Prozentzahl für die Stufen 1 und 2 der EG 2 und für alle Stufen der EG 1 beläuft sich auf 54,48. Die Anlage 2b zur ReBe (Vergütungstabelle 2018) weist in zahlenmäßiger Höhe die Monats- und Stundenvergütungen der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe aus. Bei EG 9 Stufe 1 ist eine Stundenvergütung iHv. 16,33 Euro angeführt. Bei EG 1 Stufe 1 bis 6 sowie bei EG 2 Stufe 1 und 2 ist jeweils eine Stundenvergütung iHv. 8,90 Euro - was 54,48 % von 16,33 Euro entspricht - angegeben; bei der EG 2 beträgt sie 9,04 Euro in Stufe 3, 9,25 Euro in Stufe 4 und 9,45 Euro in Stufe 5. Daneben regelt § 5 ReBe ua. prozentbezogene Zeitzuschläge für Arbeit an Samstagen, Sonn- und Feiertagen sowie bestimmten Vorfesttagen.
Rz. 3
Ab dem 1. Januar 2019 zahlte die Arbeitgeberin den in EG 1 und EG 2 Stufe 1 bis 3 eingruppierten Beschäftigten den ab diesem Zeitpunkt von 8,84 Euro auf 9,19 Euro erhöhten gesetzlichen Mindestlohn je Zeitstunde.
Rz. 4
Der Betriebsrat hat hierin eine Verletzung der mit der ReBe vereinbarten betrieblichen Entgeltordnung bzw. seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gesehen. Er hat die Auffassung vertreten, mit der Zahlung des je Zeitstunde den Betrag von 8,90 Euro übersteigenden Mindestlohns an die Beschäftigten in EG 1 und EG 2 Stufe 1 bis 3 ohne gleichzeitige Anhebung der Entgelte der höheren Stufen und Entgeltgruppen habe die Arbeitgeberin die Referenztabelle 2018 geändert. Indem sie die nominelle Vergütung höhergruppierter Mitarbeiter entsprechend den tabellarisch ausgewiesenen Abständen nicht angehoben habe, verletze sie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Die Beibehaltung des entgeltbezogenen Dotierungsrahmens der Arbeitgeberin unter der Geltung der ab 1. Januar 2019 festgelegten Höhe des gesetzlichen Mindestlohns verkürze die prozentualen Abstände in der Referenztabelle 2018, ohne dass der Betriebsrat dem zugestimmt habe.
Rz. 5
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
|
der Arbeitgeberin aufzugeben, die Referenztabelle der Regelungsabrede/Betriebsvereinbarung zur Entgeltordnung und zu sonstigen Arbeitsbedingungen 2018 sog. „ReBe 2018“ vom 22. Februar 2018 (Anlage 2a, ab 01/2018) anzuwenden durch Anhebung der Vergütungstabellen bzw. der Vergütung, der Entgeltgruppe (EG) 2 Stufe 3 bis 6 sowie der EG 3 bis 13, zur Wahrung der prozentualen Abstände zwischen den EG 1 bis 13 entsprechend der Referenztabelle (Anlage 2a, ab 01/2018); |
|
hilfsweise |
|
festzustellen, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt, wenn sie die Arbeitnehmer in der Tätigkeit der EG 1 und der EG 2 Stufe 1 bis 3, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn, ab dem 1. Januar 2019 vergütet, ohne zugleich das Entgelt der EG 2 Stufe 3 bis 6 sowie die Entgelte der EG 3 bis 13, zur Wahrung des Vergütungs- und Lohnabstands, zwischen den Tätigkeitsgruppen gemäß der Referenztabelle entsprechend anzuheben; |
|
hilfsweise hierzu |
|
festzustellen, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt hat, indem sie ohne Zustimmung des Betriebsrats die Referenztabelle (Anlage 2a, ab 01/2018 der sog. „ReBe 2018“ vom 22. Februar 2018) durch Veränderung der Prozentsätze der EG 1 Stufe 1 bis 6 und der EG 2 Stufe 1 bis 3, im Verhältnis zur EG 2 Stufe 3 bis 6 sowie der EG 3 bis 13 veränderte; |
|
hilfsweise |
|
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, die prozentualen Abstände der Regelungsabrede/Betriebsvereinbarung zur Entgeltordnung und zu sonstigen Arbeitsbedingungen 2018 sog. „ReBe 2018“ vom 22. Februar 2018 (Anlage 2a, ab 01/2018) abzuändern, ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt zu haben. |
Rz. 6
Die Arbeitgeberin hat Abweisung der Anträge beantragt.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats, mit welcher er seine Begehren weiterverfolgt.
Rz. 8
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen den die Anträge abweisenden arbeitsgerichtlichen Beschluss im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Hauptantrag ist unbegründet. Das gilt auch für den ersten Hilfsantrag. Die weiteren angebrachten Hilfsanträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.
Rz. 9
I. Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet.
Rz. 10
1. Ihm begegnen - in seiner gebotenen Auslegung - keine Zulässigkeitsbedenken.
Rz. 11
a) Der Betriebsrat erstrebt mit dem Hauptantrag die Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Referenztabelle 2018 und die Vergütungstabelle 2018, welche als Anlagen 2a und 2b Bestandteile der ReBe sind, in einer bestimmten Art und Weise anzuwenden. Die Arbeitgeberin soll die Stundenvergütungen der Arbeitnehmer in den Entgeltgruppen und Stufen, bei denen der in der Vergütungstabelle 2018 ausgewiesene Nominalbetrag über dem - mit Wirkung ab 1. Januar 2021 auf 9,50 Euro je Zeitstunde erhöhten (vgl. § 9 MiLoG iVm. der Dritten Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns [Dritte Mindestlohnanpassungsverordnung - MiLoV3] vom 9. November 2020 [BGBl. I S. 2356]) - gesetzlichen Mindestlohn liegt, nominell so erhöhen, dass die in der Referenztabelle 2018 jeweils festgelegten prozentualen Abstände dieser Entgeltgruppen und Stufen zu denjenigen, bei denen der in der Vergütungstabelle 2018 ausgewiesene Nominalbetrag unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt, entsprechend gewahrt sind. Zwar bezieht der Betriebsrat sein Anpassungsbegehren - ausgehend vom Antragswortlaut und damit nach seiner eigenen Argumentation nicht folgerichtig - auf alle Entgeltgruppen ab EG 2 „Stufe 3“, obwohl für Letztere nach der Vergütungstabelle 2018 eine bereits seit dem 1. Januar 2019 den Mindestlohn je Zeitstunde unterschreitende Stundenvergütung von 9,04 Euro ausgewiesen ist. Allerdings bringt er ein entsprechendes, auf die Anlagen 2a und 2b zur ReBe bezogenes Durchführungsbegehren mit der im Antrag enthaltenen Formulierung „durch Anhebung“ hinreichend deutlich zum Ausdruck. Dem entsprechen seine schriftsätzlichen Ausführungen, wonach er in der Unterlassung einer mindestlohnausgelösten „Anpassung“ der Vergütungstabelle 2018 einen Verstoß der Arbeitgeberin gegen die in der Referenztabelle 2018 ausgewiesenen prozentualen Abstände zum „Ecklohn“ der EG 9 Stufe 1 sieht. Danach ist die hauptsächlich geltend gemachte Verpflichtung unmittelbar auf die zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat ua. zur Ausgestaltung der betrieblichen Entlohnungsgrundsätze geschlossene ReBe und ihre Anlagen 2a und 2b gestützt. Ein solcher zukunftsbezogener betriebsverfassungsrechtlicher Durchführungsanspruch (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) kann im Wege des Leistungsantrags geltend gemacht werden (vgl. zB BAG 24. Januar 2017 - 1 ABR 24/15 - Rn. 12).
Rz. 12
b) In diesem Verständnis ist der Antrag im Übrigen hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die verwandten Formulierungen sind einer ausreichenden Konkretisierung zugänglich und die Reichweite des erstrebten Verpflichtungsausspruchs klar. Die im Antrag näher beschriebenen Maßgaben bedeuten im Ergebnis, dass die in der Vergütungstabelle 2018 ausgewiesene Stundenvergütung des „Ecklohns“ der EG 9 Stufe 1 unter Heranziehung der in der Referenztabelle 2018 ausgewiesenen relativen Entgeltabstände bei der vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2019 geltenden Höhe des gesetzlichen Mindestlohns (9,19 Euro je Zeitstunde) nicht mehr 16,33 Euro, sondern (mindestens) 16,87 Euro beträgt und mit jeder weiteren Mindestlohnerhöhung entsprechend steigt.
Rz. 13
c) Dem Betriebsrat steht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die erforderliche Antragsbefugnis für sein Leistungsbegehren zu (vgl. BAG 18. September 2002 - 1 ABR 54/01 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 102, 356).
Rz. 14
2. Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, die mit der ReBe - in ihrem Teil A normativ iSd. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG - gestaltete betriebliche Vergütungsordnung nach den vom Betriebsrat mit seinem hauptsächlichen Begehren angebrachten Maßgaben durchzuführen. Das ergibt die Auslegung der getroffenen Festlegungen (vgl. allg. zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen zB BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 853/13 - Rn. 22, BAGE 153, 46).
Rz. 15
Weder Wortsinn noch Systematik oder Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen von § 4 Abs. 1 ReBe und ihrer Anlagen 2a und 2b deuten darauf hin, dass die Betriebsparteien einen dynamisierten Mechanismus der „Vergütungsabstandsanpassung“ in Abhängigkeit von der gesetzlichen Mindestlohnhöhe vereinbart haben. Mit der Referenztabelle 2018 haben sie - in Umsetzung der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG - ausgehend von der EG 9 Stufe 1 („100,00“) bestimmte Prozentzahlen entgeltgruppenbezogen (vertikal) und stufenbezogen (horizontal) ausgewiesen. Damit sind, wie bei einer Gestaltung von betrieblichen Entlohnungsgrundsätzen nicht untypisch, prozentuale Abstände zu einem sog. Ecklohn festgelegt. In der Vergütungstabelle 2018 sind demgegenüber - entsprechend den festgelegten Entgeltabständen - entgeltgruppen- und stufenbezogene (Grund-)Stundenentgelte in einer bestimmten Höhe angegeben. Ob die Betriebsparteien - wofür § 4 Abs. 1 ReBe sprechen könnte - damit auch die nicht der zwingenden Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegende Entgelthöhe geregelt haben, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob eine solche Festlegung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unterläge. Selbst wenn die Vergütungstabelle 2018 nur zu Klarstellungszwecken formuliert wurde, ergäbe sich kein dem Verständnis des Betriebsrats entsprechender Regelungsinhalt der ReBe.
Rz. 16
a) Die Betriebsparteien haben für den Fall einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns keine - wie auch immer geartete - nominelle, den prozentualen Vorgaben in der Referenztabelle 2018 entsprechende Anpassung der diesen übersteigenden Tabellenentgelte vereinbart. Ein den streitbefangenen Maßgaben entsprechender Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 ReBe und den Anlagen 2a und 2b zur ReBe könnte in Betracht zu ziehen sein, sofern die konkrete Festlegung der niedrigsten Stundenvergütung in der Vergütungstabelle 2018 dem im Zeitpunkt des Abschlusses der ReBe geltenden Mindeststundenlohn entspräche und zudem ausgehend vom jeweiligen Mindestlohn in der Referenztabelle 2018 die prozentualen Abstände lediglich umrechnend-deklaratorisch ausgewiesen worden wären. Gegen ein solches Regelungsverständnis spricht aber zum einen, dass am 22. Februar 2018 der Mindestlohn je Zeitstunde 8,84 Euro betrug, während das Tabellenentgelt der Anlage 2b zur ReBe bereits eine Stundenvergütung iHv. mindestens 8,90 Euro ausweist. Zum anderen sind alle prozentualen Werte in der Referenztabelle 2018 an der Höhe des „Ecklohns“ und damit der Stufe 1 der EG 9 ausgerichtet. Das zeigt, dass die Betriebsparteien die Vergütung weder mit den prozentualen Abständen in der Referenztabelle 2018 noch mit den nominell verfassten Angaben in der Vergütungstabelle 2018 in eine - wie auch immer geartete - Abhängigkeit von der Mindestlohnhöhe gestellt haben.
Rz. 17
b) Das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung zwingt nicht zu einem gegenteiligen Verständnis. Die Regelungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) tangieren die Regelungsbefugnisse der Betriebsparteien nicht. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch (grds. BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - Rn. 22, BAGE 155, 202; seither st. Rspr., sh. etwa BAG 17. Januar 2018 - 5 AZR 69/17 - Rn. 12). Das gilt auch bei einem in einer Betriebsvereinbarung festgelegten Entgelt, das den gesetzlichen Mindestlohn unterschreitet. Eine entsprechende Regelung ist nicht im Hinblick auf das MiLoG unwirksam (vgl. zum Tarifvertrag BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 65, BAGE 163, 108).
Rz. 18
II. Der erste hilfsweise angebrachte Antrag ist gleichfalls unbegründet.
Rz. 19
1. Er ist bei gebotener Auslegung zulässig.
Rz. 20
a) Anders als der Hauptantrag, mit dem der Betriebsrat ein - nach seiner Vorstellung - betriebsvereinbarungsgemäßes Verhalten der Arbeitgeberin begehrt, richtet sich dieser Antrag auf die Feststellung eines betriebsverfassungswidrigen Handelns der Arbeitgeberin. Schon aus diesem Grund bildet er, ungeachtet seiner Verfasstheit als Feststellungsantrag, einen eigenständigen Verfahrensgegenstand (vgl. BAG 22. Oktober 2019 - 1 ABR 17/18 - Rn. 17; 20. März 2018 - 1 ABR 70/16 - Rn. 13, BAGE 162, 98). Mit ihm beschreibt der Betriebsrat hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Maßnahme der Arbeitgeberin, der er als Rechtsfolge die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts beimisst und worauf er (nach dem Antragswortlaut) die erstrebte Feststellung bezieht. Da nur das Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts bei einer bestimmten Maßnahme oder Angelegenheit - nicht aber der Umstand, dass es verletzt worden ist - nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein der gerichtlichen Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO darstellt (zB BAG 19. Februar 2002 - 1 ABR 20/01 - zu B III 2 b der Gründe mwN, BAGE 100, 281), ist dem Antrag abweichend von seiner sprachlichen Fassung im Sinn eines rechtsschutzgewährenden Verständnisses ein entsprechender Inhalt beizumessen.
Rz. 21
b) Damit genügt er den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Der Betriebsrat verfügt auch über das notwendige Feststellungsinteresse. Dieses ist regelmäßig gegeben, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht in einer bestimmten Angelegenheit in Abrede stellt oder sich der Betriebsrat eines solchen berühmt.
Rz. 22
2. In der Sache hat das Begehren keinen Erfolg. Bei der im Antrag als mitbestimmungspflichtig umschriebenen Angelegenheit - die Vergütung der Arbeitnehmer „in der Tätigkeit der EG 1 und der EG 2 Stufe 1 bis 3, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn, … ohne zugleich das Entgelt der EG 2 Stufe 3 bis 6 sowie die Entgelte der EG 3 bis 13, zur Wahrung des Vergütungs- und Lohnabstands, zwischen den Tätigkeitsgruppen gemäß der Referenztabelle entsprechend anzuheben“ - hat der Betriebsrat nicht mitzubestimmen. Insbesondere ist der von ihm angenommene Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht einschlägig.
Rz. 23
a) Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung mitzubestimmen. Dieses Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat mit Abschluss der ReBe ausgeübt.
Rz. 24
b) In der Vergütung bestimmter Arbeitnehmer(-gruppen) „entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn“ ohne gleichzeitige Vergütungserhöhung anderen Entgeltgruppen zugewiesener Arbeitnehmer liegt keine mitbestimmungspflichtige Änderung der mit der ReBe mitbestimmt aufgestellten Entlohnungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Die Arbeitgeberin stellt mit der Zahlung des Mindestlohns keine von den Vorgaben der ReBe abweichenden Entlohnungsgrundsätze auf, sondern erfüllt nur den - materiell-rechtlich eigenständig neben den arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch tretenden - gesetzlichen Anspruch der Arbeitnehmer auf Gewährung eines Mindestlohns je Zeitstunde. Soweit der Betriebsrat auf die durch die Mindestlohnzahlungen faktisch ausgelösten anderen Entgeltabstände als die in der Referenztabelle 2018 ausgewiesenen verweist, übersieht er bereits, dass diese Folge nicht zwingend - und vor allem nicht jeden Monat zwangsläufig gleichmäßig - sein dürfte. Denn in der Referenz- und Vergütungstabelle 2018 ist lediglich das Grundentgelt geregelt; bei der Erfüllung des Mindestlohnanspruchs sind jedoch alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme derjenigen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen, zu berücksichtigen (st. Rspr. seit BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - Rn. 32, BAGE 155, 202). Damit wäre auch eine Gewährung der in § 5 ReBe festgelegten Zeitzuschläge - jedenfalls was die dort angeführte Vorfest-, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit betrifft - mindestlohnwirksam (vgl. auch BAG 17. Januar 2018 - 5 AZR 69/17 - Rn. 17; 22. März 2017 - 5 AZR 424/16 - Rn. 38 ff.).
Rz. 25
Ungeachtet dessen bedingt die bloße Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs keine Änderung eines mitbestimmt aufgestellten Vergütungssystems. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bezweckt eine gleichberechtigte Teilhabe der Arbeitnehmer an Entscheidungen des Arbeitgebers, die ihre Arbeitsvergütung betreffen. Fehlt es - wie bei der Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs - an einer solchen Entscheidung, besteht kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats.
Rz. 26
III. Über die weiteren Hilfsanträge hatte der Senat nicht zu befinden. Der Betriebsrat hat im zweiten Hilfsantrag das seiner Ansicht nach gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Verhalten der Arbeitgeberin lediglich sprachlich anders - und vergangenheitsbezogen - gefasst. Damit ist der Antrag erkennbar nur für den Fall gestellt, dass der erste Hilfsantrag prozessualen Anforderungen nicht genügt. Der hilfsweise Leistungsantrag ist offensichtlich nur für den Fall angebracht, dass die mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag näher beschriebenen Maßnahmen zwar ein betriebsvereinbarungswidriges oder (hilfsweise) betriebsverfassungswidriges Verhalten der Arbeitgeberin darstellen, das darauf bezogene Leistungs- und Feststellungsbegehren aber aus anderen Gründen erfolglos bleibt. Die so verstandenen innerprozessualen Bedingungen sind nicht eingetreten.
|
Schmidt |
|
Ahrendt |
|
K. Schmidt |
|
|
|
H. Schwitzer |
|
Rose |
|
|
Fundstellen
Haufe-Index 14504604 |
BAGE 2022, 343 |
BB 2021, 1651 |
DB 2021, 1619 |
NJW 2021, 2229 |
EWiR 2021, 536 |
FA 2021, 245 |
NZA 2021, 967 |
ZIP 2021, 1511 |
ZTR 2021, 486 |
AP 2021 |
DZWir 2021, 526 |
EzA-SD 2021, 11 |
EzA 2022 |
NZA-RR 2021, 6 |
ArbRB 2021, 236 |
ArbR 2021, 402 |