Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung: gesetzliche Mindestaltersgrenze für die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften. Lohngleichheitsgebot. mittelbare Diskriminierung
Leitsatz (amtlich)
§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt nicht gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 141 EG.
Orientierungssatz
- Art. 141 EG schützt mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit vor unmittelbarer und vor mittelbarer Diskriminierung. Treffen die nachteiligen Folgen einer Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben. Unter den Begriff des Entgelts iSd. des Art. 141 EG fallen auch Betriebsrenten, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden.
- Die Feststellung einer tatsächlichen erheblichen Benachteiligung wie ihre etwaige Rechtfertigung durch objektive Gründe, die nichts mit einer Geschlechtsdiskriminierung zu tun haben, ist Sache der nationalen Gerichte.
- Die gesetzliche Mindestaltersgrenze von 35 Jahren des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF stellt keine unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung dar, da allein auf das Alter bei Ausscheiden, nicht aber auf geschlechtsbezogene Merkmale abgestellt wird.
- Mangels hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte kann auch nicht von einer mittelbaren Diskriminierungswirkung des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF ausgegangen werden.
- Unabhängig davon wäre eine mittelbare Diskriminierung durch sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt. Für die ungleiche Behandlung der unter und über 35-Jährigen gab es nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziel objektive Gründe, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, 3, Art. 6 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; EG Art. 141 Abs. 1; EG-Vertrag a.F. Art. 119
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Anspruch auf Verschaffung einer betrieblichen Altersversorgung.
Die am 15. Januar 1947 geborene Klägerin war bei der Gewerkschaft ÖTV als einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten vom 1. April 1963 bis zum 28. Mai 1980 als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Ihr Ausscheiden im Alter von 33 Jahren fiel mit dem Ende ihres Mutterschaftsurlaubs nach Geburt ihres Sohnes zusammen.
Auf Grund einer Gesamtzusage erwarben die Beschäftigten der ÖTV Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung durch die DGB-Unterstützungskasse. Gemäß deren für die Klägerin zuletzt gültigen Unterstützungsrichtlinien idF ab 1. Januar 1980 (UR 80), bestand nach § 8 ein Anspruch auf Altersunterstützung, wenn die Wartezeit von zehn Jahren zurückgelegt worden war. Nach § 13 UR 80 richteten sich die Ansprüche vorzeitig ausgeschiedener Beschäftigter nach den gesetzlichen Vorschriften. Nach ihrem Ausscheiden teilte die ÖTV der Klägerin unter dem 10. Dezember 1980 mit, dass sie die Aufrechterhaltung ihrer Ansprüche gegenüber der DGB-Unterstützungskasse nicht beantragen könne, weil wegen des Ausscheidens vor Vollendung des 35. Lebensjahres die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 BetrAVG nicht erfüllt seien.
Mit der am 5. Dezember 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Verschaffung einer Altersversorgung für die Zeit ihrer Beschäftigung bei der ÖTV geltend gemacht. Dazu hat sie behauptet, die durchschnittliche Dauer der Erwerbstätigkeit bis zum ersten familienbedingten Ausscheiden betrage bei Frauen etwa sieben Jahre; durchschnittlich seien sie zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt. Damit könnten Frauen, die Familienaufgaben übernähmen, regelmäßig keine unverfallbare Anwartschaft erwerben. Weit mehr Frauen als Männer scheiterten für den Erwerb unverfallbarer Anwartschaften an der gesetzlichen Voraussetzung des § 1 Abs. 1 BetrAVG aF, nicht vor Vollendung des 35. Lebensjahres das Arbeitsverhältnis zu beenden. Nach Auffassung der Klägerin folgt daraus eine mittelbare Diskriminierung von Frauen, die sachlich nicht gerechtfertigt sei. Hinsichtlich des statistischen Nachweises der Schlechterstellung des weiblichen Geschlechts müsse ihr eine Beweiserleichterung zugute kommen. § 1 Abs. 1 BetrAVG aF und der darauf verweisende § 13 UR 80 verstießen folglich gegen Art. 3 Abs. 1 bis 3 und Art. 6 GG, § 612 Abs. 3 BGB sowie gegen Art. 119 EG-Vertrag bzw. Art. 141 EG iVm. mit der Richtlinie 75/117/EWG. Die verfassungs- und europarechtlich gebotene Gleichbehandlung könne nur dadurch verwirklicht werden, dass auch bei Ausscheiden vor Vollendung des 35. Lebensjahres unverfallbare Anwartschaften entstehen könnten.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie so zu stellen, als wäre ihre während der Beschäftigungszeit vom 1. April 1963 bis zum 28. Mai 1980 erworbene Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung nicht wegen des Ausscheidens vor Vollendung des 35. Lebensjahres verfallen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sieht schon keinen Diskriminierungstatbestand. Bei der Schaffung des § 1 BetrAVG aF habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum gehabt, der selbst bei einer Berührung des Gleichheitssatzes die Regelungen zur Unverfallbarkeit nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nichtig erscheinen lasse. Sie brauche auch nicht damit zu rechnen, dass dies mit echter Rückwirkung später anders gesehen werde. Selbst § 612 Abs. 3 BGB sei erst am 13. August 1980, also nach dem Ausscheiden der Klägerin, in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Nach den Prinzipien des Vertrauensschutzes wirke auch die Gemeinschaftsrechtsprechung in dieser Frage nicht auf Zeiträume zurück, die vor dem 17. Mai 1990, der sog. “Barber”-Entscheidung lägen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos, das die Revision gegen sein Urteil im verkündeten Tenor zugelassen hat. Mit ihr verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, ihr eine Altersversorgung für die Zeit ihrer Beschäftigung bei der ÖTV zu verschaffen. Mit Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 35. Lebensjahres sind ihre Versorgungsanwartschaften verfallen.
I. Im Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin am 28. Mai 1980 galt § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG idF des ursprünglichen Gesetzestextes vom 19. Dezember 1974, der erst zum 1. Januar 2001 geändert worden ist. Danach blieb die in über 17-jähriger Betriebszugehörigkeit erworbene Versorgungsanwartschaft der Klägerin nicht erhalten, weil sie vor Eintritt des Versorgungsfalles ausschied und zu diesem Zeitpunkt das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Den UR 80 ist nichts anderes zu entnehmen, da ihr § 13 für die Ansprüche Ausgeschiedener auf die gesetzlichen Vorschriften verweist.
II. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt nicht gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 141 EG.
1. Der im Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin gültige Art. 119 EG-Vertrag aF enthielt den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Dies ist im Vertrag von Amsterdam vom 16. Juni 1997 (ABl. EG Nr. C 340 vom 10. November 1997 S. 1) unverändert beibehalten worden (Art. 141 Abs. 1 EG). Der Anwendungsbereich der Richtlinie 75/117/EWG geht nicht über den des Art. 141 EG bzw. des Art. 119 EG-Vertrag aF hinaus (EuGH 31. März 1981 – Rs. 96/80 – EuGHE 1981, 911 [Rn. 22]). Danach ist es verboten, wegen des Geschlechts Unterschiede in der Vergütung zu machen und dadurch zu benachteiligen. Art. 141 EG schützt nicht nur vor unmittelbarer Diskriminierung, sondern auch vor mittelbarer Diskriminierung. Treffen die nachteiligen Folgen einer Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben (EuGH 31. Mai 1995 – Rs. C-400/93 – “Dansk Industri” EuGHE I 1995, 1275). Auch Betriebsrenten, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, fallen unter den Begriff des Entgelts. Das gilt gleichermaßen für den Anspruch auf die von einem Betriebsrentensystem erbrachten Leistungen wie für den Anspruch auf Anschluss an ein System der betrieblichen Altersversorgung überhaupt. Dementsprechend muss die Frage, ob eine Betriebsrentenanwartschaft unter bestimmten Voraussetzungen beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis verfällt, unter Berücksichtigung des Gebots der Lohngleichheit geregelt werden.
2. Als unmittelbar anwendbares Recht kann sich die Klägerin auf Art. 141 EG (Art. 119 EG-Vertrag aF) berufen (EuGH 8. April 1976 – Rs. 43/75 – EuGHE 1976, 455 [Rn. 40]; 17. Mai 1990 – Rs. C-262/88 – EuGHE I 1990, 1889 [Rn. 39]; BAG 7. September 2004 – 3 AZR 550/03 – AP BetrAVG § 1 Gleichberechtigung Nr. 15 = EzA EG-Vertrag 1999 Art. 141 Nr. 16, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Dabei ist die Feststellung einer tatsächlichen erheblichen Benachteiligung ebenso Sache des nationalen Gerichts (EuGH 9. Februar 1999 – Rs. C-167/97 – EuGHE I 1999, 623) wie die Feststellung, ob und inwieweit eine mittelbar diskriminierende Regelung durch objektive Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (EuGH 13. Mai 1986 – Rs. 170/84 – EuGHE 1986, 1607 [Rn. 36]; 13. Juli 1989 – Rs. 171/88 – EuGHE 1989, 2743 [Rn. 15]). Der Senat kann daher unter dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts selbst entscheiden, ob die gewählten Mittel einem notwendigen Ziel der nationalen Sozialpolitik dienen und für die Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sind. Einer Vorlage nach Art. 234 EG bedarf es in dieser Frage nicht.
3. Die gesetzliche Mindestaltersgrenze von 35 Jahren des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF enthält keine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, da die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit einer Anwartschaft nicht an geschlechtsbezogenen Merkmalen anknüpfen, sondern allein auf das Alter und die Betriebszugehörigkeit der Beschäftigten bzw. die Bestandsdauer der Zusage abstellen.
4. Es liegen keinen hinreichenden Anhaltspunkte für eine mittelbare Diskriminierung vor.
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH obliegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung beim Entgelt dem Arbeitnehmer, der sich zur Stützung seines geltend gemachten Anspruchs auf die Diskriminierung beruft (27. Oktober 1993 – Rs. C-127/92 – EuGHE I 1993, 5535 [Rn. 13]). Spricht jedoch der erste Anschein für eine Diskriminierung, hat der Arbeitgeber nachzuweisen, dass es sachliche Gründe für den festgestellten Unterschied beim Entgelt gibt (EuGH 27. Oktober 1993 – Rs. C-127/92 – aaO [Rn. 18]; vgl. nunmehr Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG vom 15. Dezember 1997). Auch die Kommentarliteratur zum Lohngleichheitsgebot sieht die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, beim Arbeitgeber, und zwar unabhängig davon, ob er selbst unmittelbarer Urheber der Diskriminierung ist oder sich auf Gesetze beruft, deren Umsetzung zu einer mittelbaren Diskriminierung führt (Krebber in Calliess/Ruffert Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag 2. Aufl. Art. 141 Rn. 67; Hailbronner/Wilms Recht der EU Bd. II Art. 141 Rn. 75, 76; ErfK/Schlachter 5. Aufl. Art. 141 EG Rn. 23).
b) Mit den von ihr vorgetragenen Daten hat die Klägerin keine Tatsachen dargelegt, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern (2001) ergibt sich wie aus den zugrunde liegenden Erhebungen des WSI (für die Jahre 1992 und 1995), dass zwar prozentual mehr Frauen als Männer vorzeitig aus dem Erwerbsleben ohne unverfallbare Anwartschaft ausgeschieden sind (1992: 67,4 % Frauen, 54,7 % Männer; 1995: 58,1 % Frauen, 52,1 % Männer). Zum einen bezieht sich dieses Datenmaterial aber nur auf Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, Beschäftigte im Bereich des Handels und der Dienstleistungen bleiben zB unberücksichtigt. Soll einem Gruppenvergleich jedoch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung entnommen werden, müssen grundsätzlich alle Personen betrachtet werden, auf die sich das untersuchte Kriterium auswirken kann (EuGH 31. Mai 1995 – Rs. C-400/93 – EuGHE I 1995, 1275 [Rn. 38]). § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF betrifft alle Arbeitnehmer, nicht nur die Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes. Zum anderen bleibt unklar, wie viele der betrachteten Arbeitnehmer auf Grund der Mindestaltersgrenze ihre Versorgungsanwartschaft verlieren. Die in den Untersuchungen angeführte durchschnittliche Dauer der Erwerbstätigkeit von Frauen iHv. sieben Jahren legt die Vermutung nahe, dass die gesetzliche Wartezeit von zehn Jahren in § 1 Abs. 1 BetrAVG aF für den Erwerb einer Altersversorgung durch weibliche Arbeitnehmerinnen größere Auswirkungen hat als die Mindestaltersgrenze von 35 Jahren. Außerdem stammen die Erhebungen aus den Jahren 1992 und 1995. Diese Daten können für eine Untersuchung, ob die Klägerin im Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis, also 1980, durch den Verlust ihrer Versorgungsanwartschaft mittelbar diskriminiert wurde, nicht maßgeblich sein. Zahlen für das Jahr 1980 oder den Zeitraum der Beschäftigung hat die Klägerin nicht dargelegt; sie liegen auch nicht vor. Aus denselben Gründen wird auch in der Literatur die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung abgelehnt (Langohr-Plato Betriebliche Altersversorgung 3. Aufl. Rn. 319; Höfer BetrAVG Band I Stand September 2004/Januar 2005 RT Rn. 782; Beyer Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland BB 1994, 653, 657).
c) Im Übrigen sind die mitgeteilten statistischen Daten auch nicht hinreichend aussagekräftig. Abgesehen davon, dass ein Verhältnis von (1992) 67,4 % Frauen zu 54,7 % Männern schon für sich genommen nicht den Schluss auf eine tatsächliche wesentliche Benachteiligung nahe legt (EuGH 9. Februar 1999 – Rs. C-167/97 – EuGHE I 1999, 623), ist die Zahl der erfassten Personen ebenso unklar wie das empirische Sample. Zufallsergebnisse oder der Einfluss konjunktureller Erscheinungen können daher ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.
5. Selbst eine festzustellende wesentliche Benachteiligung von Frauen bei der Anwendung von § 1 Abs. 1 BetrAVG aF im Sinne einer mittelbaren Diskriminierung führte nicht zu einem Anspruch der Klägerin. Eine derart unterstellte mittelbare Diskriminierung wäre durch sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt. Zwar führt die in § 1 Abs. 1 BetrAVG aF enthaltene Mindestaltersgrenze von 35 Jahren dazu, dass bei einer Beschäftigungszeit von mindestens zehn Jahren die gleiche Arbeitsleistung und Betriebstreue hinsichtlich der Versorgungsanwartschaft unterschiedlich behandelt wird. Für diese ungleiche Behandlung der unter und über 35-Jährigen gibt es nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziel objektive Gründe, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben.
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 löste der Gesetzgeber den Interessenwiderstreit zwischen der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers und dem Sozialschutz des Arbeitnehmers mit dem übergeordneten Ziel einer möglichst weiten Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung. Vorausgegangen war eine richterliche Rechtsfortbildung, die vorsah, dass Anwartschaften bei ordentlicher Arbeitgeberkündigung vor Eintritt des Versorgungsfalls nach mehr als 20-jähriger Betriebszugehörigkeit nicht verfallen (BAG 10. März 1972 – 3 AZR 278/71 – BAGE 24, 177). Bis dahin verfielen Anwartschaften bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers. Die mit dem Betriebsrentengesetz eingeführten gesetzlichen Grenzen der Verfallbarkeit sind Vorschriften, die zugunsten der Arbeitnehmer in das Gesetz aufgenommen wurden und die Vertragsfreiheit der Parteien beschränken. Damit wurde auch die Mobilität der Arbeitnehmer gefördert. Die in § 1 Abs. 1 BetrAVG aF enthaltene Mindestaltersgrenze ist – wie die Mindestbeschäftigungszeit – insoweit das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Sozialschutz und Berufsfreiheit der Arbeitnehmer einerseits sowie der unternehmerischen Freiheit und dem Bindungsinteresse des Arbeitgebers andererseits. Dabei hat der historische Gesetzgeber berücksichtigt, dass die Fluktuationsrate bis zum Lebensalter von 35 Jahren erfahrungsgemäß noch sehr hoch war (BT-Drucks. 7/2843 S. 7). Die Einführung des Mindestalters für eine Unverfallbarkeit trug daher den betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers Rechnung, wobei der Gesetzgeber bei der Gestaltung von einer eingeschränkten Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers in jungen Jahren ausgegangen ist. In einem jüngeren Lebensalter ist es leichter möglich, Verluste von Anwartschaften anderweitig auszugleichen.
Das Gemeinschaftsrecht räumt den EU-Mitgliedstaaten bei der Wahl der Mittel, die sie zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele ergreifen, einen weiten Entscheidungsspielraum ein (EuGH 14. Dezember 1995 – Rs. C-317/93 – EuGHE I 1995, 4625 [Rn. 33]; 9. Februar 1999 – Rs. C-167/97 – EuGHE I 1999, 623 [Rn. 74]). Im Hinblick auf diesen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Verwirklichung seiner sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele stellte die Altersgrenze von 35 Jahren ein geeignetes und angemessenes Mittel dar, die betriebliche Altersversorgung zu fördern und die Arbeitgeber nicht durch eine uneingeschränkte Unverfallbarkeit von der Gewährung derartiger Leistungen überhaupt abzuschrecken. Mit dem Betriebsrentengesetz sollte der soziale Schutz unter Beachtung des rechtlich und tatsächlich Möglichen ausgedehnt werden. Der Gesetzgeber hat die Unverfallbarkeit von persönlichen und sachlichen, geschlechtsneutralen Merkmalen abhängig gemacht, die das Interesse der Arbeitgeber an langer Betriebstreue, wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit und begrenzter finanzieller Belastung berücksichtigen. Diese Intention vermag jedenfalls zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin auch eine – hier unterstellte – mittelbare Diskriminierung unter dem Gesichtspunkt des Lohngleichheitsgebotes zu rechtfertigen.
III. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt auch nicht gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG. Auch nach dieser Vorschrift ist es verboten, wegen des Geschlechts Unterschiede in der Vergütung zu machen und dadurch zu benachteiligen. Das verfassungsrechtliche Lohngleichheitsgebot schützt wie Art. 141 EG sowohl vor unmittelbarer als auch vor mittelbarer Diskriminierung. Die inhaltlichen Anforderungen an den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung unterscheiden sich nicht von denen der Prüfung des Lohngleichheitsgebots nach Art. 141 EG (BAG 30. Januar 1996 – 3 AZR 275/94 –, zu II 3a der Gründe; 20. Juni 1995 – 3 AZR 684/93 – BAGE 80, 173, 184; 6. April 1982 – 3 AZR 134/79 – BAGE 38, 232, 244). Es kann daher auf die Ausführungen oben Ziff. II. verwiesen werden.
IV. Schließlich verstößt die gesetzliche Altersgrenze auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, unter steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG 23. Oktober 1951 – 2 BvG 1/51 – BVerfGE 1, 14, 52). Bei einer ungleichen Behandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber in der Regel einer strengen Bindung (BVerfG 6. März 2002 – 2 BvL 17/99 – BVerfGE 105, 73, 110). An die eine Ungleichbehandlung rechtfertigenden Gründe sind um so höhere Anforderungen zu stellen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfG 15. Juli 1998 – 1 BvR 1554/89, 963/94, 964/94 – BVerfGE 98, 365). Für die ungleiche Behandlung der unter und über 35-Jährigen gibt es indes sachlich einleuchtende Gründe. Denn Sachgründe, die eine mittelbare Diskriminierung rechtfertigen könnten, genügen erst recht den “einleuchtenden” Differenzierungskriterien des Gleichheitssatzes (BAG 27. Januar 1998 – 3 AZR 415/96 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 45 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 7, zu B I 4b bb der Gründe). § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF stellte, um das übergeordnete Ziel einer möglichst weiten Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu erreichen, den angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers einerseits und dem Sozialschutz der Arbeitnehmer dar.
V. Auch die übrigen Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg. § 612 Abs. 3 BGB kann schon deswegen für die Prüfung der Frage, ob die Klägerin bei ihrem Ausscheiden am 28. Mai 1980 zu Recht ihre Versorgungsansprüche verloren hat, nicht herangezogen werden, weil er erst am 13. August 1980 in das BGB eingefügt worden ist. Er dient im Übrigen der Umsetzung des Lohngleichheitsgebots aus Art. 119 EG-Vertrag aF bzw. Art. 141 EG sowie des Art. 3 Abs. 3 iVm. Abs. 2 GG. Auch insoweit gilt nichts anderes als das zuvor Ausgeführte.
Die gesetzliche Mindestaltersgrenze des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Zwar begründet diese Verfassungsnorm über das Freiheitsrecht hinaus für den Staat die Pflicht, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (BVerfG 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94 – BVerfGE 103, 242). Aus dem Verfassungsauftrag zum wirksamen Familienlastenausgleich lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Außerdem wurde durch das Betriebsrentengesetz die finanzielle Absicherung der Arbeitnehmer und ihrer Familien erheblich verbessert.
Ebenso ist Art. 12 Abs. 1 GG durch § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF nicht verletzt. Zwar ist zum Schutz der Berufsfreiheit und der Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes sicherzustellen, dass ein vorzeitig ausscheidender Arbeitnehmer bei seiner Versorgungsanwartschaft keine Verluste erleidet, die ihn faktisch an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses hindern. Ihm dürfen keine Bindungen auferlegt werden, die zu den Interessen des Arbeitgebers in keinem angemessenen Verhältnis mehr stehen (BVerfG 15. Juli 1998 – 1 BvR 1554/89, 963/94, 964/94 – BVerfGE 98, 365). Dabei verfügt der Gesetzgeber jedoch über einen besonders weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG 15. Juli 1998 – 1 BvR 1554/89, 963/94, 964/94 – aaO, zu C V 2 der Gründe). Die Revision verkennt, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des Betriebsrentengesetzes eben dieser Regelungspflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG nachgekommen ist und den vertraglichen Verfallklauseln mit Wirkung ab dem 19. Dezember 1974 eine Schranke gesetzt hat. Ob er bei der Festlegung der Mindestaltersgrenze von 35 Jahren weit genug gegangen ist, unterliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Es ist nicht ersichtlich, dass Arbeitnehmer im Hinblick auf die Mindestaltersgrenze von 35 Jahren in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF faktisch an der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gehindert oder die Interessen des Arbeitgebers an einer langen Betriebstreue des Arbeitnehmers unverhältnismäßig gestärkt wurden.
Unterschriften
Reinecke, Breinlinger, Zwanziger, G. Hauschild, Rödder
Fundstellen
Haufe-Index 1496648 |
BAGE 2007, 152 |
BB 2006, 1508 |
DB 2006, 1014 |