Leitsatz
1. Bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG handelt es sich um einen Grundlagenbescheid i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.
2. Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG kann Rückwirkung zukommen, ohne dass dem der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegensteht.
Normenkette
§ 4 Nr. 21 UStG 1980, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j der 6. EG-RL, § 175 AO
Sachverhalt
Ein selbstständiger Musiklehrer an einer Musikschule legte nach Bestandskraft seines USt-Bescheids eine Bescheinigung vor, wonach die Musikschule mit dem (vom Kläger erteilten) Musikunterricht auf einen Beruf (Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik) oder eine vor einer jPöR abzulegenden Prüfung (Abitur) ordnungsgemäß vorbereite.
Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 17.07.2008, 16 K 207/07, Haufe-Index 2079133, EFG 2008, 1933).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Die der Musikschule erteilte Bescheinigung betraf den vom Kläger erteilten Unterricht. Die "Rückwirkung" bei Änderung des eines bestandskräftigen USt-Bescheids nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO aufgrund der Bescheinigung verstößt nicht – wie das BVerwG erwogen hatte – gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit. Denn aus § 4 Nr. 21 UStG ergebe sich klar und eindeutig, dass die Steuerfreiheit eine berufs- oder prüfungsvorbereitende Einrichtung voraussetze und dies durch die zuständige Landesbehörde zu bescheinigen sei. Erfolge die maßgebliche Beurteilung durch die Landesbehörde und dementsprechend die Erteilung der Bescheinigung erst nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung, verstoße dies ebenso wenig gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit wie die – außerhalb des gesonderten Bescheinigungsverfahrens – durch das FA z.B. im Rahmen einer Außenprüfung erst nach der Steuerentstehung vorgenommene Prüfung anderer Voraussetzungen der Steuerfreiheit.
Hinweis
1. Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 21 UStG die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck (dazu gehört auch Musikunterricht) dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen (Buchst. a) und (Buchst. b) die demselben Zweck dienenden Unterrichtsleistungen selbstständiger Lehrer an solchen Einrichtungen (Buchst. b). Handelt es sich nicht um eine Ersatzschule i.S.d. Art. 7 Abs. 4 GG, ist Voraussetzung eine Bescheinigung der zuständigen Kultusbehörde. Diese dient allein dem (Eignungs-)Nachweis, dass die Einrichtung nach ihrer Organisation und ihrem Lehrziel auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Auf die Eignung der konkreten Unterrichtsstunde kommt es daher nicht an.
2. Diese Bescheinigung für die Einrichtung ist ein Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10 AO und § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Denn insoweit ist – für einen Grundlagenbescheid kennzeichnend – ein Sachverhalt zu beurteilen, den die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst prüfen soll. Die Bescheinigung der Landesbehörde ist deshalb grundsätzlich für das FA bindend und der Nachprüfung durch das FG entzogen. Dass sie sich nur auf ein Tatbestandsmerkmal bezieht, ist unerheblich.
3.§ 175 Abs. 2 S. 2 AO, wonach die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung nicht als rückwirkendes Ereignis gilt, bezieht sich nur auf die Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO (Änderung bei rückwirkendem Ereignis), nicht aber auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (Änderung bei Grundlagenbescheid). Die Regelung betrifft daher nur Bescheinigungen, denen nicht der Charakter eines durch eine Behörde erlassenen Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO) zukommt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.08.2009 – V R 25/08