Rz. 91
Liegen die Abzugsvoraussetzungen dem Grunde nach vor, gilt die Beschränkung der Höhe nach nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet, § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 3 EStG.
Die Auslegung dieser Regelung war bisher äußerst strittig. Insbesondere war fraglich, ob der Mittelpunkt quantitativ nach der verbrauchten Zeit, qualitativ nach dem Inhalt der Arbeit, kumulativ durch beide Komponenten oder durch die Höhe der im Arbeitszimmer erwirtschafteten Einnahmen beurteilt werden sollte. Der BFH hat nun in mehreren Entscheidungen den Mittelpunkt zutreffend nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bestimmt. Diese Rechtsprechung gilt für alle Berufsgruppen.
Das häusliche Arbeitszimmer eines Stpfl., der lediglich eine einzige berufliche Tätigkeit ausübt – teilweise zu Hause, teilweise auswärts – ist Mittelpunkt, wenn er dort diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Dies ist im Rahmen einer Wertung der Gesamttätigkeit vorzunehmen. Dem zeitlichen (quantitativen) Umfang kommt bei dieser Wertung lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Das zeitliche Überwiegen der außerhäuslichen Betätigung schließt daher einen unbeschränkten Abzug nicht von vornherein aus. Sind aber die ausgeübten Tätigkeiten qualitativ gleichwertig, z. B. bei gleicher Tätigkeit 3 Tage im häuslichen Arbeitszimmer, 2 Tage im Büro, liegt der Mittelpunkt im Arbeitszimmer, wenn der Steuerpflichtige dort mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit tätig wird. Nicht ausreichend für die Bestimmung des Mittelpunktes ist, dass das häusliche Arbeitszimmer die zentrale Ausgangs- oder Anlaufstelle der betrieblichen Betätigung ist oder der Stpfl. keinen anderweitigen Arbeitsplatz unterhält und auf den Arbeitsraum für Vor- und Nacharbeiten angewiesen ist, im Übrigen aber schwerpunktmäßig einer Außendiensttätigkeit nachgeht. Ohne Bedeutung ist die Höhe der im Arbeitszimmer erzielten Umsätze oder Einkünfte. Entscheidend sind somit die prägenden Arbeiten für die Tätigkeit, z. B. bei einem Ingenieur, der individuelle technische Problemlösungen im Arbeitszimmer erarbeitet und Kunden vor Ort besucht, bei einem Verkaufsleiter eines Lebensmittelproduzenten mit Planungsaufgaben, Personalbetreuungsaufgaben für 13 Mitarbeiter, die im Arbeitszimmer stattfanden, bei 2-tägigem Außendienst die Woche, bei einem selbstständigen Layouter für Werbedruckmaterial mit auswärtiger Tätigkeit zur Kundengewinnung sowie bei einem Kfz-Sachverständigen, der Schadensberichte für Versicherungen zu fertigen hatte und die Schäden vor Ort aufgenommen hatte.
Der Mittelpunkt ist verneint worden bei einer Ärztin, die Patienten vor Ort untersuchte, um deren Pflegestufe festzustellen. Die Gutachten wurden im häuslichen Arbeitszimmer erstellt. Ebenso bei einer Fachberaterin für medizintechnische Produkte im Außendienst, und bei einem pensionierten Beamten mit umfangreicher Lehr- und Vortragstätigkeit.
Rz. 92
Bei mehreren Tätigkeiten ist der volle Abzug grundsätzlich ausgeschlossen, da § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 2 EStG (Satz 3 a. F.) auf die gesamte betriebliche und berufliche Tätigkeit abstellt. Der volle Abzug ist nur dann möglich, wenn sich für jede der ausgeübten Tätigkeiten der Mittelpunkt im Arbeitszimmer befindet. Bilden auch außerhäusliche Tätigkeiten jeweils den qualitativen Mittelpunkt, kann der Mittelpunkt der Gesamttätigkeiten nicht im häuslichen Arbeitszimmer liegen. Bildet das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt einer Tätigkeit, nicht jedoch im Hinblick auf die übrigen Tätigkeiten, liegt der Mittelpunkt der Gesamttätigkeiten ebenfalls nicht im Arbeitszimmer. Dabei kommt der Haupttätigkeit indizielle Bedeutung für die Bestimmung des qualitativen Schwerpunkts der Gesamttätigkeit zu. Der Steuerpflichtige kann aber anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles glaubhaft machen, dass die Gesamttätigkeit nur einem Mittelpunkt zugeordnet werden kann, der im Arbeitszimmer liegt.