Leitsatz
1. Der gemäß § 11 Abs. 2 BewG zu ermittelnde gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien ist vorrangig aus der Wertbestätigung am Markt abzuleiten, also von dem Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr tatsächlich erzielt wurde.
2. Bei nicht börsennotierten Aktien kann der gemeine Wert grundsätzlich vom Wert der börsennotierten gattungsgleichen Aktien abgeleitet werden.
3. Die grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Lohnzuflusses stichtagsbezogen vorzunehmende Bewertung von Sachlohn gebietet es, den gemeinen Wert nicht börsennotierter Aktien aus Verkäufen abzuleiten, die am Bewertungsstichtag oder, wenn solche Verkäufe nicht feststellbar sind, möglichst in zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag getätigt wurden.
Normenkette
§ 9 Abs. 2 Satz 1, § 11 BewG, § 19a, § 8 Abs. 1 und 2, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a 5. VermBG, § 48 BörsG, § 57 Abs. 1 BörsG a.F.
Sachverhalt
Der Kläger war Vorstandsvorsitzender der A-AG und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Er erwarb 2004 im Rahmen eines am … 2004 beschlossenen Management-Beteiligungsprogramms nicht zum Börsenhandel zugelassene Aktien der A-AG. Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Aktien verbilligt erworben habe und deshalb ein geldwerter Vorteil in Höhe der Differenz zwischen dem gewichteten Drei-Monats-Durchschnittskurs vor dem Erwerbstag aller an den deutschen Börsen gehandelten Aktien der A-AG und dem Kaufpreis erzielt worden sei. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.1.2015, 13 K 13142/12). Dem Kläger sei ein geldwerter Vorteil mindestens in der vom FA angenommenen Höhe zugeflossen. Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen seien, sondern im sog. freien Verkehr gehandelt würden, seien nach § 11 Abs. 2 BewG zu bewerten. Hiernach sei der gemeine Wert der Aktien grundsätzlich aus weniger als ein Jahr zurückliegenden Verkäufen abzuleiten. Das FA habe den gemeinen Wert der vom Kläger erworbenen (nichtnotierten) Aktien zutreffend in Anlehnung an die letzten Börsenkurse gattungsgleicher notierter Aktien der A-AG ermittelt.
Entscheidung
Auf die Revision des Klägers hob der BFH das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Denn das habe den unstreitig lohnsteuerbaren geldwerten Vorteil aus der verbilligten Überlassung der Aktien möglicherweise rechtsfehlerhaft bewertet. Die Vorinstanz habe zwar festgestellt, dass die Aktien "im sog. freien Verkehr" gehandelt wurden. Unklar sei jedoch, ob es sich dabei um den Freiverkehr i.S.v. § 19a Abs. 2 Satz 4 EStG handele oder ob das FG mit dem "sog. freien Verkehr" den vom Freiverkehr zu unterscheidenden freien Markt habe bezeichnen wollen. Hiervon hänge es aber ab, ob die nichtnotierten Aktien der A-AG gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 und Satz 4 EStG mit dem Kurs im Freiverkehr am Tag der Beschlussfassung über das Management-Beteiligungsprogramm zu bewerten seien oder ob die Bewertung der Aktien nach allgemeinen Grundsätzen – wie in den Praxis-Hinweisen erläutert – zum Zeitpunkt des Zuflusses mit dem gemeinen Wert zu erfolgen habe.
Hinweis
1. Die von der A-AG als Arbeitgeberin des Klägers ausgegebenen Aktien der Gesellschaft sind eine Vermögensbeteiligung i.S.v. § 19a Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a 5. VermBG.
Der Umstand, dass die Vorschriften des 5. VermBG nach dessen § 1 Abs. 3 Nr. 1 nicht für vermögenswirksame Leistungen juristischer Personen an Mitglieder des Organs gelten, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, steht der Anwendung von § 19a Abs. 1 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a 5. VermBG nicht entgegen.
§ 19a Abs. 1 EStG verweist nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 5. VermBG, sondern lediglich auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 bis 5 5. VermBG zur Bestimmung der geförderten Vermögensbeteiligungen. § 19a EStG gilt daher für alle Arbeitnehmer im ertragsteuerlichen Sinn, insbesondere auch, wenn es sich um Organe juristischer Personen handelt.
2. Nach § 19a Abs. 2 Satz 1 EStG ist als Wert der Vermögensbeteiligung der gemeine Wert anzusetzen. Liegt – wie im Streitfall – am Tag der Beschlussfassung über die Überlassung eine Notierung nicht vor, so werden diese Vermögensbeteiligungen mit dem letzten innerhalb von 30 Tagen vor diesem Tag im amtlichen Handel notierten Kurs angesetzt (§ 19a Abs. 2 Satz 3 EStG).
§ 19a Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG gelten nach Satz 4 der Vorschrift entsprechend für Vermögensbeteiligungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b und f 5. VermBG, die im Inland zum geregelten Markt zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen oder in einem anderen Staat des EWR zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind.
3. Neben dem amtlichen Markt und dem geregelten Markt (seit 1. November 2007: regulierter Markt) sowie dem Freiverkehr (§ 57 BörsG a.F.,...