Leitsatz (amtlich)
Lehnt ein Verfahrensbeteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und weist das Gericht das Ablehnungsgesuch durch Beschluß zurück, so kann der abgelehnte Richter an der Entscheidung zur Sache selbst mitwirken, auch wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs noch nicht rechtkräftig ist (Änderung der Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1974 VII R 69/72, BFHE 114, 16, BStBl II 1975, 153).
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO §§ 42, 45, 47; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Rechtsstreit geht in der Hauptsache um die Frage, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu Recht ein Verspätungszuschlag gemäß § 168 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) auferlegt wurde.
Mit Bescheid vom 11. Dezember 1974 veranlagte das FA den Kläger und seine Ehefrau zur Einkommensteuer 1971; er setzte außerdem einen Verspätungszuschlag gemäß § 168 Abs. 2 AO in Höhe von 100 DM fest.
Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren begehrte der Kläger mit seiner Klage die Aufhebung des Verspätungszuschlags.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) am 11. November 1975 stellte der Kläger den Antrag, "den ehrenamtlichen Richter K für befangen zu erklären". Diesem Antrag lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger hatte im Laufe der mündlichen Verhandlung seine Säumnis bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung damit erklärt, daß er viel Zeit für die Buchführung der von ihm betreuten Handwerker benötige, da die Handwerker durchweg die Aufzeichnungen nachlässig führten. Der ehrenamtliche Richter K, der selbst Handwerker ist, hatte darauf dem Kläger gegenüber erklärt, er müsse dieser Darstellung entgegentreten; auch Handwerker würden ihre Buchhaltungspflicht im allgemeinen ordentlich erfüllen.
Über den Befangenheitsantrag beriet das FG unter Ausschluß des abgelehnten Richters (an dessen Stelle der ehrenamtliche Richter B getreten war). Anschließend wurde der Beschluß verkündet, daß der Befangenheitsantrag abgelehnt sei. Hierauf setzte das FG die mündliche Verhandlung in der vorausgegangenen Besetzung (unter Einschluß des ehrenamtlichen Richters K) fort.
In dem dem Kläger am 18. Dezember 1975 zugestellten Beschluß über die Ablehnung des gegen den ehrenamtlichen Richter K gestellten Befangenheitsantrags ist ausgeführt: Es liege kein Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des ehrenamtlichen Richters K zu rechtfertigen. Dieser sei der harten Kritik an den Buchführungsgewohnheiten der Handwerker in kurzer und sachlicher Form entgegengetreten. Die Meinungsverschiedenheit könne bei ruhiger und vernünftiger Würdigung der Angelegenheit keine Besorgnis der Befangenheit begründen.
Mit Schreiben vom 3. Februar 1976 lehnte der Kläger auch den Richter S, der ebenfalls am bisherigen Verfahren mitgewirkt hatte, als befangen ab, da dieser Richter in einer anderen Sache an einer dem Kläger nachteiligen Entscheidung mitgewirkt habe.
Das FG wies auch dieses Ablehnungsgesuch durch Beschluß vom 18. März 1976 zurück mit der Begründung, das Gesuch sei erst nach der Entscheidung in der Hauptsache angebracht worden.
Zur Hauptsache erließ das FG aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 1975 ein Urteil, mit dem es die Klage abwies. Zur Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters K an diesem Urteil führte das FG aus, das Gericht habe sich nach Zurückweisung des den ehrenamtlichen Richter K betreffenden Ablehnungsgesuchs berechtigt gesehen, unter Mitwirkung dieses Richters eine Entscheidung zu treffen, obwohl dem Kläger damit das Beschwerdeverfahren gegen den das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß abgeschnitten worden sei. Dem Kläger bleibe es unbenommen, die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch noch im Revisionsverfahren durch Erhebung einer entsprechenden Revisionsrüge nachprüfen zu lassen; der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 5. November 1974 VII R 69/72, BFHE 114, 16, BStBl II 1975, 153) schließe sich das FG nicht an. - In der Sache selbst entschied das FG, das FA habe dem Kläger nach § 168 Abs. 2 AO einen Verspätungszuschlag auferlegen können, da die verspätete Abgabe der Steuererklärung durch ihn verschuldet gewesen sei.
Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 17. Mai 1976 zugestellt.
Gegen das Urteil legte der Kläger Revision ein.
Er rügt die seiner Auffassung nach nicht vorschriftsmäßige Besetzung des FG. Der ehrenamtliche Richter K und der Richter S hätten an dem angefochtenen Urteil nicht mitwirken dürfen. Er habe die beiden Richter als befangen abgelehnt. In dem Zeitpunkt, in dem das FG-Urteil ergangen sei, sei noch nicht über die gegen die Zurückweisung seiner Ablehnungsgesuche gerichteten Beschwerden entschieden gewesen.
Der Kläger rügt außerdem die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Auf die gleichzeitig mit der Revision erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das FG beschlossen, die Revision wegen Divergenz zu dem BFH-Urteil VII R 69/72 zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
I. Die Rüge, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist unbegründet.
1. Dem FG ist darin beizupflichten, daß es zur Sache entscheiden konnte, ohne die rechtskräftige Erledigung der Ablehnungsgesuche abwarten zu müssen.
Es ist davon auszugehen, daß über das Ablehnungsgesuch das Gericht entscheidet, dem der abgelehnte Richter angehört (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 45 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gericht in diesem Sinne ist der Senat des FG, bei dem das Verfahren anhängig ist, unter Ausschluß des abgelehnten Richters. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluß (§ 46 ZPO), gegen den die Beschwerde gegeben ist (BFH-Beschluß vom 11. August 1966 IV B 7/66, BFHE 86, 505, BStBl III 1966, 547).
Es ist in der Literatur umstritten, ob das Gericht, nachdem es die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs beschlossen hat, unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Hauptsache entscheiden kann, obwohl der Beschluß über die Zurückweisung noch nicht rechtskräftig ist (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 35. Aufl., Anm. 1 Buchst. A zu § 47; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 25 II 5 und 6; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Anm. I zu § 47; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., Anm. B III a zu § 46 sowie Anm. B und B I zu § 47; Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. III, Anm. 4 Abs. 6 zu § 51 FGO; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., Rdnr. 16 zu § 54; Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentierung zu § 47 ZPO [bei § 51 FGO]; Hering, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Anmerkungen - StRK-Anmerkungen -, Finanzgerichtsordnung, § 51, Rechtsspruch 26; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Anm. 6 zu § 51 FGO; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., Rdnr. 13 zu § 51 FGO; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Anm. 24 zu § 51 FGO). Der Senat bejaht die Zulässigkeit einer solchen Entscheidung aus folgenden Gründen:
a) Wenn § 47 ZPO vorschreibt, daß ein abgelehnter Richter "vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs" nur solche Handlungen vorzunehmen hat, die keinen Aufschub gestatten, dann kann mit "Erledigung des Ablehnungsgesuchs" nur die erstinstanzliche Entscheidung durch das Gericht gemeint sein, dem der abgelehnte Richter angehört (oder im Falle der Beschlußunfähigkeit dieses Gerichts die Entscheidung des im Rechtszug zunächst höheren Gerichts); vgl. § 45 ZPO. Das ist dem Zusammenhang zu entnehmen, der zwischen den Vorschriften der §§ 45 und 48 ZPO besteht. Nach § 45 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört; § 48 ZPO bezeichnet dieses Gericht ausdrücklich als "das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht". Wenn aber nach dem Wortlaut der für das Verfahren der Richterablehnung maßgebenden Vorschriften ein Ablehnungsgesuch "erledigt" ist, sobald in erster Instanz darüber entschieden wurde, dann folgt hieraus, daß die Rechtskraft dieser Entscheidung nicht abgewartet zu werden braucht.
b) Daß das Gericht nicht gehindert ist, schon nach der erstinstanzlichen Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung zur Sache zu treffen, muß auch aus den Vorschriften über die Wirkung der Beschwerdeeinlegung (§ 131 Abs. 1 FGO) gefolgert werden. Nach § 131 Abs. 1 FGO hat eine Beschwerde nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat. Keine aufschiebende Wirkung hat dagegen eine Beschwerde gegen den Beschluß, mit dem ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesen wird (so für den Bereich des Zivilprozeßrechts Beschluß des Reichsgerichts - RG - vom 23. April 1907 VII 49/07, RGZ 66, 46 [47]; Beschluß des Kammergerichts vom 31. März 1954 - 11 W 820/54, Monatsschrift für Deutsches Recht 1954 S. 750 - MDR 1954, 750 -). Ein Beschluß über die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist sonach verfahrensrechtlich ebenso zu behandeln wie andere Zwischenentscheidungen, die selbständig mit der Beschwerde anfechtbar sind, wie z. B. die Ablehnung eines Antrags auf Beiladung eines Dritten (§ 60 FGO) oder die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO). Auch in diesen Fällen sind die Gerichte nicht gehindert, vor Rechtskraft der Zwischenentscheidungen Sachurteile zu erlassen; sie laufen lediglich Gefahr, daß ein Sachurteil auf eine Revision hin aufgehoben wird, weil das Revisionsgericht die Zwischenentscheidung für fehlerhaft hält.
c) Schließlich sprechen für die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung auch verfahrensökonomische Gründe. Würde das FG in jedem Fall einer unbegründeten Ablehnung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsgesuchs sein Verfahren aussetzen müssen, so könnte das Verfahren mit Hilfe von unbegründeten Ablehnungsgesuchen verschleppt werden. Ein Verfahrensbeteiligter, der an einer Prozeßverschleppung interessiert wäre, hätte es in der Hand, durch immer neue Ablehnungsanträge die Entscheidung zur Sache hinauszuzögern (in diesem Sinne insbesondere Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O.; Hering, a. a. O.).
d) Die Auffassung, daß ein Ablehnungsgesuch bereits mit der Zurückweisung durch das erstinstanzliche Gericht als "erledigt" anzusehen ist, führt nicht zu einer unzumutbaren Verkürzung des Rechtsschutzes. Insbesondere wird hierdurch eine zweitinstanzliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen.
Wartet das FG die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ab, bevor es in der Hauptsache entscheidet, so ist die Nachprüfung des Ablehnungsgesuchs durch die Beschwerdeinstanz ohnehin gewährleistet. Geht das FG dagegen - entsprechend der hier vertretenen Auffassung - davon aus, daß die Rechtskraft des Ablehnungsbeschlusses nicht abgewartet werden muß, um in der Hauptsache entscheiden zu können, so kann zwar das Ablehnungsgesuch im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeprüft werden, sobald das Gericht zur Hauptsache entschieden hat. Denn das mit der Beschwerde gegen die Zurückweisung verfolgte Ziel, die Sachentscheidung des für befangen gehaltenen Richters zu verhindern, könnte nicht mehr erreicht werden. Die Beschwerde wäre zwecklos; für sie bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (so schon RG-Beschluß VII 49/07 und Beschluß des Kammergerichts 11 W 820/54). Dem Antragsteller wird jedoch auf diese Weise eine zweitinstanzliche Nachprüfung seines Ablehnungsgesuchs nicht versperrt. Denn er kann gegen das unter Mitwirkung des von ihm abgelehnten Richters zustande gekommene Urteil Revision einlegen.
Die Rüge, an der Entscheidung des FG habe ein Richter mitgewirkt, der ohne Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sei, eröffnet dem Antragsteller eine zulassungsfreie Revision (vgl. § 116 FGO). Zwar sind die Voraussetzungen für eine Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO nicht erfüllt; hierzu müßte dargetan werden, daß bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Dagegen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts) vor (in diesem Sinne auch BFH-Urteil VII R 69/72; Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O.; Hering, a. a. O.; zum Streitstand vgl. ferner Gräber, a. a. O.). Denn ein Gericht ist auch dann nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn es zu Unrecht die Voraussetzungen einer Richterablehnung verneint hat.
Kommt der BFH bei Prüfung der hiernach zulässigen Revision zu dem Ergebnis, daß in bezug auf den abgelehnten Richter die Besorgnis der Befangenheit bestand, so muß er das Urteil des FG aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen.
e) Gegen die Auffassung, daß die Rechtskraft der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht abgewartet zu werden braucht, sondern schon vorher zur Sache entschieden werden kann, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere wird hierdurch nicht das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -) verletzt.
Das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters beinhaltet zwar u. a. , daß die richterliche Tätigkeit von einem nicht beteiligten Dritten ausgeübt werden muß. Es ist deshalb zu gewährleisten, daß der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der - etwa wegen Freundschaft oder Verfeindung mit einer Partei - die gebotene Neutralität und Distanz vermissen läßt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8. Februar 1967 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139 [145 f.]). Gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters wird jedoch nicht verstoßen, wenn an einer Entscheidung ein Richter mitwirkt, der ohne Erfolg von einer Partei als befangen abgelehnt wurde, auch wenn die Zurückweisung der Ablehnung noch nicht rechtskräftig ist. Die Frage eines möglichen Rechtsschutzes gegen die vom Gericht beschlossene Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs hat mit dem Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters unmittelbar nichts zu tun. Es gibt andere Gerichtszweige, in denen das Gesetz von vornherein keine gesonderten Beschwerdemöglichkeiten gegen die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen vorsieht (vgl. § 28 Abs. 2 Satz 2 der Strafprozeßordnung - StPO - und §§ 49 Abs. 3, 64 Abs. 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes - ArbGG -), ohne daß das Fehlen solcher Beschwerdemöglichkeiten als Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters betrachtet werden kann.
f) Der erkennende Senat kann die oben dargelegte Rechtsauffassung seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne den Großen Senat des BFH wegen Abweichung von der Entscheidung eines anderen Senats (§ 11 Abs. 3 FGO) anrufen zu müssen. Der VII. Senat des BFH hat zwar in seinem Urteil VII R 69/72 entschieden, daß ein abgelehnter Richter vor der rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vornehmen dürfe, die keinen Aufschub dulden; deshalb dürfe er an dem Urteil zur Hauptsache vor dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch in Rechtskraft erwachse, nicht mitwirken. Von dieser Rechtsauffassung weicht der erkennende Senat mit seiner oben dargelegten Auffassung ab; der VII. Senat hat der Abweichung jedoch zugestimmt. - Auch der II. Senat des BFH hat sich in seinem Beschluß vom 31. Mai 1972 II B 34/71 (BFHE 105, 337, BStBl II 1972, 576) dahin geäußert, daß ein wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnter Richter vor der rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vornehmen dürfe, die keinen Aufschub gestatteten. Die Entscheidung des II. Senats betraf jedoch nicht den hier zu entscheidenden Fall, daß ein abgelehnter Richter nach noch nicht rechtskräftiger Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bei der Entscheidung zur Hauptsache mitgewirkt hat. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH nach § 11 Abs. 3 FGO war unter diesen Umständen weder geboten noch zulässig (vgl. BFH-Beschluß vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262).
2. Legt man der Entscheidung im Streitfall die hier vertretene Auffassung zugrunde, dann bedarf es - auf eine entsprechende Rüge - im Revisionsverfahren der Prüfung, ob die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gerechtfertigt war.
Nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschluß vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527) liegt ein solcher Fall nur dann vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter nach den äußeren Umständen einen vernünftigen Grund für die Annahme hat, der Richter werde sich aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von nicht sachgerechten Rücksichten leiten lassen. Einen derartigen Grund hat der Kläger im Revisionsverfahren nicht geltend gemacht.
a) Der Hinweis des ehrenamtlichen Richters K, daß er die - als Entschuldigung für die nicht rechtzeitige Abgabe der Steuererklärung vorgebrachte - Ansicht über die nachlässigen und daher für einen Steuerberater zeitraubenden Buchführungsgewohnheiten der Handwerker nicht teile, hält sich im Rahmen der richterlichen Aufklärungstätigkeit (§ 139 ZPO). Eine solche Äußerung ist kein hinreichender Grund für eine Richterablehnung.
b) Ebenso ist die Tatsache, daß der Richter S an einer anderen Entscheidung mitgewirkt hat, die dem Kläger ungünstig war, für sich allein kein vernünftiger Grund, an der Objektivität dieses Richters zu zweifeln (vgl. BFH-Beschluß vom 12. März 1971 III B 54/70, BFHE 101, 352, BStBl II 1971, 333). Auf die Frage, ob das Ablehnungsgesuch nicht schon deshalb als unbegründet anzusehen war, weil es erst nach der Sitzung vom 11. November 1975 angebracht wurde, braucht bei dieser Sachlage nicht eingegangen zu werden.
II. Auch die Entscheidung des FG zur Sache selbst ist nicht zu beanstanden. Das FG hat zu Recht entschieden, daß der dem Kläger auferlegte Verspätungszuschlag dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt war.... (Wird ausgeführt).
III. Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluß. Da bereits ein Vorbescheid ergangen ist und eine - vom Kläger beantragte - mündliche Verhandlung nicht als sachdienlich erschien, mach der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 - BFH-EntlastG - (BGBl I 1975, 1861) zu verfahren. Unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen kann der BFH über die Revision in der Besetzung von fünf Richtern durch Beschluß entscheiden, wenn er einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beteiligten sind durch Verfügung des Vorsitzenden vom 18. November 1977 davon unterrichtet worden, daß nach Art. 1 Nr. 7 BFH-EntlastG verfahren wird; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung, macht aber von der nach Art. 1 Nr. 7 BFH-EntlastG gegebenen Möglichkeit, ohne weitere Begründung zu entscheiden, keinen Gebrauch. Denn mit der im Streitfall zu treffenden Entscheidung wird von der Entscheidung eines anderen Senats abgewichen; es erscheint angebracht, diese Abweichung, auch wenn der andere Senat ihr zugestimmt hat, zu begründen.
Fundstellen
Haufe-Index 72546 |
BStBl II 1978, 404 |
BFHE 1979, 12 |