Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligtenvernehmung; Aufdrängen einer nicht beantragten Beweiserhebung; Hinweispflicht des Vorsitzenden
Leitsatz (NV)
Das FG darf zwar keine Beweisangebote deswegen übergehen, weil es von der Unrichtigkeit des unter Beweis gestellten Vorbringens überzeugt ist. Fehlt es jedoch an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag oder wird lediglich Beteiligtenvernehmung angeboten, ist das Gericht nicht verpflichtet, Hinweise zu erteilen, wie der aus seiner Sicht unzutreffende Vortrag eines Beteiligten glaubhafter dargestellt werden könnte.
Normenkette
FGO §§ 76, 81
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 29.04.2004; Aktenzeichen 6 K 2270/02 G,F) |
Gründe
Die ausschließlich auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gestützte Beschwerde ist --bei Zweifeln an der Zulässigkeit-- jedenfalls nicht begründet.
1. Das Finanzgericht (FG) hat seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) nicht verletzt.
Es hat weder einen ordnungsgemäß gestellten Beweisantrag übergangen (vgl. hierzu z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2005 VI B 30/05, BFH/NV 2005, 2046) noch musste sich ihm eine Beweiserhebung von Amts wegen aufdrängen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. März 2002 IV B 22/01, BFHE 198, 463, BStBl II 2002, 690, Nr. 1 b).
a) Der angeblich übergangene Beweisantrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) findet sich auf S. 5 der Klageschrift vom 10. April 2002. Es heißt dort, das mit der Formulierung im Gesellschafterbeschluss vom 12. August 1994 tatsächlich Gemeinte könne durch Auslegung ermittelt werden, "soweit man nicht schlicht und ergreifend auf die beteiligten Gesellschafter und Geschäftsführer als Zeugen zurückgreifen" wolle. Damit sind offensichtlich die Beigeladenen und die Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der Klägerin gemeint, durch die die Klägerin in diesem Verfahren vertreten wird. Diese Personen konnten lediglich als Beteiligte vernommen werden. Das ergibt sich für die Beigeladenen aus § 57 Nr. 3 FGO, für die Geschäftsführerin aus ihrer Stellung als gesetzmäßige Vertreterin (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 64. Aufl., Übersicht § 373 Rdnr. 16).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Beteiligtenvernehmung nur ein letztes Hilfsmittel. Sie dient nicht dazu, einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, seine eigenen Behauptungen zu bestätigen und ggf. zu beschwören. Sie kann unterbleiben, wenn sich das Gericht mit Hilfe anderer Beweismittel eine Überzeugung bilden kann oder wenn nichts an Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens erbracht ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. November 1994 I B 78/94, BFH/NV 1995, 793, m.w.N.). Im Streitfall war das FG aufgrund der Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag und der bilanziellen Behandlung durch die Klägerin und die Gesellschafter selbst zu der Auffassung gelangt, dass die "Entnahmen" Darlehenscharakter gehabt hätten. Die Zinsen --so das FG-- seien in den Gewinn- und Verlustrechnungen jeweils als Zinsen aus Gesellschafterdarlehen erfasst; dies mache deutlich, dass die Gesellschaft zu keiner Zeit den Willen gehabt habe, wie nunmehr in der ergänzenden Klagebegründung behauptet, auf eine Rückforderung des Kapitals zu verzichten. Das FG war folglich der Auffassung, dass die Klägerin und die beigeladenen Gesellschafter bestrebt gewesen seien, das ursprünglich Gewollte nachträglich in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung liegt es auf der Hand, dass keine Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des von der Klägerin geltend gemachten Inhalts des Gesellschafterbeschlusses vom 12. August 1994 sprach. Der Beantwortung der Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist die materiell-rechtliche Auffassung des FG zugrunde zu legen (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 79, m.w.N.), zu der auch die Würdigung des Sachverhalts gehört (Gräber/ Ruban, a.a.O., Rz. 83).
c) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts auch dadurch verletzt, dass es den oder die Buchhalter der Klägerin und Mitarbeiter der seinerzeit beauftragten Steuerkanzlei nicht als Zeugen vernommen habe, fehlt es bereits an einer zulässigen Verfahrensrüge. Es fehlt die Angabe, welche konkreten Tatsachen diese Zeugen im Falle ihrer Vernehmung bekundet hätten (vgl. hierzu Gräber/ Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69 f., m.w.N.). Angaben hierzu wären umso notwendiger gewesen, als nicht erkennbar ist, woher die genannten Personen die Absicht der Beigeladenen und der Geschäftsführerin bei Formulierung und Unterzeichnung des Beschlusses vom 12. August 1994 gekannt haben sollen. Aber selbst wenn man hiervon absehen wollte, könnte die Rüge keinen Erfolg haben. Die Klägerin hat insoweit keinen Beweisantrag gestellt. Angesichts der vorstehend unter 1.b dargestellten Würdigung des Sachverhalts durch das FG musste sich der Vorinstanz die Vernehmung dieser Personen auch nicht aufdrängen (hierzu Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 41, m.w.N.).
Dass sich dem FG die Notwendigkeit zur Anhörung dieser Zeugen hätte aufdrängen müssen, kann auch nicht aus der Haftnotiz auf Bl. 109 der FG-Akte geschlossen werden. Die Notiz lautet:
"Beweisaufnahme über den Ges-Willen 'Entnahme' durch Vernehmung
- Buchhalter
- Mitarbeiterin Z?"
Hierin kann allenfalls ein Merkzettel des Berichterstatters gesehen werden, der dazu dienen sollte, der Frage noch nachzugehen. Dass sich dem Senat die Vernehmung der genannten Personen aufdrängen musste, kann daraus jedoch nicht geschlossen werden.
d) Abgesehen davon kann die Nichtvernehmung der Beteiligten und Zeugen auch deshalb nicht mehr mit Erfolg als Verfahrensmangel geltend gemacht werden, weil sie ausweislich der Akten in der mündlichen Verhandlung, in der die Klägerin durch Angehörige der steuerberatenden Berufe vertreten war, nicht gerügt worden ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608, und vom 5. Juli 2005 VII B 7/05, juris).
2. Soweit die Klägerin vorträgt, die Würdigung der äußeren Umstände des Falles durch das FG sei "weitgehend fehlerhaft" (S. 4 ff. der Beschwerdebegründung vom 25. August 2004), werden keine Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 81, m.w.N.).
3. Die Klägerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, das FG habe unter Verstoß gegen § 96 FGO seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.
a) Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch in Erwägung ziehen muss. Davon, dass das geschehen ist, kann jedoch ausgegangen werden, sofern nicht besondere Umstände des konkreten Falles auf einen diesbezüglichen Verstoß schließen lassen (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz. 39). Entgegen der offenbar von der Klägerin vertretenen Auffassung ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Argument der Beteiligten in den Urteilsgründen auseinander zu setzen (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 252). Anhaltspunkte dafür, dass das FG das Vorbringen und den ihm vorliegenden Prozessstoff nicht hinreichend in Betracht gezogen hat, liegen nicht vor. Sie lassen sich beispielsweise --entgegen dem Vorbringen der Klägerin-- nicht daraus ersehen, dass das Gericht Unterlagen nicht erwähnt, in denen die an die Beigeladenen geflossenen Beträge als "Entnahmen" bezeichnet werden. Das Gericht hat bereits bei der Würdigung des Gesellschafterbeschlusses vom 12. August 1994 erkennen lassen, dass es der Verwendung des Begriffs "Entnahme" statt "Darlehen" keine Bedeutung beimisst.
b) Das FG ist erkennbar zu der Überzeugung gelangt, die Klägerin und die Beigeladenen wollten die ursprünglich in den Bilanzen dokumentierten Darlehensgewährungen nachträglich als eine Entnahme deklarieren. Aus dieser Sicht des FG lag es auf der Hand, dass den kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichten berichtigten Bilanzen keine Bedeutung beizumessen war. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Klägerin ihren jetzigen Standpunkt zum ersten Mal mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2002 oder mit Schriftsatz vom 13. Februar 2002 vorgetragen hat.
c) Aus denselben Gründen ist auch eine Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO) nicht zu erkennen.
4. Die Klägerin verkennt den Umfang der in § 76 Abs. 2 FGO normierten Hinweispflicht des Vorsitzenden. Das FG darf zwar keine Beweisangebote deswegen übergehen, weil es von der Unrichtigkeit des unter Beweis gestellten Vorbringens überzeugt ist. Fehlt es jedoch an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag oder wird lediglich Beteiligtenvernehmung angeboten, ist das Gericht nicht verpflichtet, Hinweise zu erteilen, wie der aus seiner Sicht unzutreffende Vortrag eines Beteiligten glaubhafter dargestellt werden könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Dezember 2004 IV B 16/03, BFH/NV 2005, 1078).
Fundstellen
Haufe-Index 1501932 |
BFH/NV 2006, 1133 |