Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision: Mangel der Vertretung
Leitsatz (NV)
Durch die bloße Behauptung, weder der Prozessbevollmächtigte noch dessen Mitarbeiter hätten Kenntnis von der Zustellung der Ladung erlangt, sind die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht schlüssig dargetan. Auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost können die in der PZU bezeugten Tatsachen nur entkräftet werden, wenn Umstände dargestellt werden, die ein Fehlverhalten des Postbediensteten nahe legen.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 1992 aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. April 2000 als unbegründet ab. Die Revision ließ es nicht zu. In der mündlichen Verhandlung war für die Kläger niemand erschienen. Der Prozessbevollmächtigte war hierzu am 22. März 2000 mit dem Hinweis geladen worden, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist die Ladung am 24. März 2000 der Bediensteten des Prozessbevollmächtigten übergeben worden.
Die Kläger haben hiergegen das "zulässige Rechtsmittel" eingelegt und begründen dies mit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Prozessvertreter könne den Zugang einer Ladung nicht feststellen. Auch das Befragen seiner Mitarbeiter habe zu keinem anderen Ergebnis geführt. Eine Ladung gegen Empfangsbekenntnis oder Rückschein sei heutzutage der einzige noch sichere Weg, den tatsächlichen Zugang eines Schriftstückes nachzuweisen. Selbst bei einer Zustellungsurkunde sei ein Versehen nicht völlig auszuschließen, zumal die Post keine Behörde mehr sei, sondern eine privatwirtschaftliche AG. Hätte er die Ladung erhalten, hätte er die mündliche Verhandlung wahrgenommen. Den Klägern sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Gründe für eine zulassungsfreie Revision seien nicht ersichtlich.
Entscheidungsgründe
II. Das von den Klägern erhobene Rechtsmittel ist als Revision anzusehen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 1989 IV R 118-120/89, BFH/NV 1990, 707; vom 14. Dezember 1989 IV R 78-81/89, BFH/NV 1990, 709). Der Antrag der Kläger ist unmittelbar auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung gerichtet und nicht auf Zulassung der Revision.
Das Urteil ist vor dem 1. Januar 2001 verkündet worden. Die Zulässigkeit der Revision beurteilt sich deshalb gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG). Danach findet eine Revision nur statt, wenn sie das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Hierauf hat das FG in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen.
Die Kläger rügen, der Prozessvertreter habe die Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erhalten. Damit wird ein Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Dabei ist unschädlich, dass sie diese Rechtsnorm nicht ausdrücklich bezeichnet haben, sondern in der von ihnen behaupteten mangelnden Ladung des Prozessbevollmächtigten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sehen. Denn aus dem Vorbringen der Kläger ist eindeutig zu erkennen, dass sie eine Verletzung dieser Vorschrift rügen wollen (Urteil des BFH vom 24. August 1994 XI R 35/94, BFHE 175, 507, BStBl II 1995, 64).
a) Offen bleiben kann, ob die Kläger überhaupt ein unbedingtes Rechtsmittel eingelegt haben, denn die Revision ist jedenfalls nicht statthaft. Die Revisionsbegründung der Kläger genügt nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, da die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen ―ihre Richtigkeit unterstellt― keinen Verfahrensmangel ergeben.
Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war und der Prozessführung auch nicht zugestimmt hat. Die Rechtsprechung hat einen Fall mangelnder Vertretung auch dann angenommen, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter zu einer mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen war und deshalb nicht erschienen ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, m.w.N.). Dagegen ist § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht verletzt, wenn das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung die gesetzlichen Vorschriften beachtet hat, der Beteiligte aber aus einem in seinem Bereich liegenden Grund nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1996 IX R 5/96, BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638, m.w.N.).
Die Ausführungen der Kläger lassen nicht den Schluss zu, das FG habe sie nicht ordnungsgemäß geladen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 24. März 2000 ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung dem Prozessvertreter in seinen Geschäftsräumen durch Übergabe an seine Bedienstete zugestellt worden (§ 53 FGO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes ―VwZG―, § 183 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―).
Die Postzustellungsurkunde erbringt als öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis für die von ihr bezeugten Tatsachen. Dies gilt auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost (BFH-Beschluss in BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638, m.w.N.). Dieser Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang kann durch die bloße Behauptung der Kläger, der Prozessbevollmächtigte habe keine Kenntnis von der Zustellung der Ladung erlangt, auch seinen Mitarbeitern sei eine Ladung nicht bekannt, nicht entkräftet werden. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, einen anderen Geschehensablauf substantiiert darzulegen und zu beweisen. Die Kläger haben aber keine Umstände dargestellt, die ein Fehlverhalten des Postbediensteten bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind.
Das FG durfte somit davon ausgehen, dass die Ladung zur mündlichen Verhandlung, die den nach § 91 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Hinweis enthält und die Ladungsfrist des § 91 Abs. 1 FGO wahrt, dem Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß durch Übergabe an dessen Bedienstete zugestellt worden war. Das FG hat damit in der Sitzung vom 18. April 2000 verfahrensfehlerfrei die ordnungsgemäße Ladung des Klägervertreters festgestellt und im Anschluss hieran trotz seiner Abwesenheit verhandelt.
b) Die von den Klägern behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs fällt nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Verfahrensmängel (BFH-Beschluss vom 26. Juli 1994 VII R 87/93, BFH/NV 1995, 406). Sie kann die zulassungsfreie Revision nicht eröffnen.
c) Die von den Klägern beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO wegen der nach ihrer Darstellung unverschuldeten Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung, mithin auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, kommt im finanz- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht, da § 56 FGO nur für die Versäumung gesetzlicher Fristen gilt und auf die Versäumung von Terminen nicht anwendbar ist. Auch eine Wiederholung der mündlichen Verhandlung durch das FG könnte das bereits im ersten Termin verkündete Urteil nicht außer Kraft setzen (BFH-Urteil in BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948; Beschlüsse vom 19. April 1995 IX R 15/94, BFH/NV 1995, 913, 914; vom 9. Juli 1996 VII R 23/96, und VII B 41/96, BFH/NV 1997, 44). Im Übrigen begründet auch dieser Tatbestand keinen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO.
Fundstellen