Entscheidungsstichwort (Thema)
Kraftfahrzeugsteueränderungsbescheid wegen Einstufung als PKW
Leitsatz (NV)
Es ist ernstlich zweifelhaft, was § 88 AO 1977 den Kraftfahrzeugsteuerstellen bei einem Kraftfahrzeugsteuerbescheid abverlangt, der erst längere Zeit nach den Verwaltungserlassen ergangen ist, durch welche ihnen Ende 1993 bekannt geworden ist, dass die Kraftfahrzeugzulassungsstellen bei der verkehrsrechtlichen Einstufung von solchen Fahrzeugen mitunter Maßstäbe anwandten, die den von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Unterscheidung zwischen PKW und LKW nicht in allen Fällen entsprechen.
Normenkette
AO 1977 §§ 88, 173 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 69 Abs. 2-3; KraftStDV § 5 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Halter eines Mitsubishi K 60 T. Das Fahrzeug ist für ihn im August 1997 von der Verkehrsbehörde zugelassen worden. Aufgrund der von dieser Behörde im Datenträgeraustausch übermittelten Daten hat der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) das Fahrzeug mit Bescheid vom 29. August 1997 nach den für LKW geltenden Steuersätzen ―nach dem Gewicht― besteuert. Bei einer Überprüfung ist das FA jedoch im Juli 1999 zu der Auffassung gelangt, es handle sich um einen PKW. Das FA hat daher mit Bescheid vom 29. Juli 1999 die Kraftfahrzeugsteuer, gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), nach den für PKW geltenden, hubraumbezogenen Sätzen neu festgesetzt.
Über die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden. Es hat dem Kläger jedoch auf seinen Antrag Aussetzung der Vollziehung gewährt, weil es Zweifel hatte, ob das Fahrzeug ―ein sog. Pick-up mit Doppelkabine― nicht entsprechend der verkehrsbehördlichen Einstufung als PKW zu besteuern ist.
Gegen den hierzu ergangenen Beschluss des FG richtet sich die von diesem zugelassene Beschwerde des FA.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das FG hat den Kraftfahrzeugsteueränderungsbescheid des FA im Ergebnis zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt.
Es bedarf dafür keiner Erörterung, ob die Zweifel des FG an der Richtigkeit der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einordnung des Fahrzeugs des Antragstellers als PKW berechtigt sind und ob für die diesbezügliche, von der Rechtsprechung der überwiegenden Mehrzahl der anderen FG abweichende Auffassung des FG so gewichtige Gründe sprechen, dass die Rechtmäßigkeit des Kraftfahrzeugsteueränderungsbescheids des FA i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ernstlich zweifelhaft ist, so dass die Vollziehung dieses Bescheides vom FG nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO schon aus diesem Grunde auszusetzen war. Denn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kraftfahrzeugsteueränderungsbescheids ergeben sich jedenfalls im Hinblick auf die richtige Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 durch das FA.
Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats darf die Kraftfahrzeugsteuerstelle des FA allerdings für die Einstufung eines Fahrzeugs als LKW oder PKW die ihr von der Verkehrsbehörde im Datenträgeraustausch übermittelten Daten grundsätzlich übernehmen (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung) und der Besteuerung zugrunde legen, ohne nach § 88 AO 1977 eigene Ermittlungen anstellen zu müssen. Das FA ist folglich durch den Grundsatz von Treu und Glauben nicht daran gehindert, einen Kraftfahrzeugsteuerbescheid nachträglich gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern, wenn sich später in einzelnen Fällen herausstellt, dass die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung des Fahrzeugs, gemessen an den von den Finanzbehörden nach der einschlägigen Rechtsprechung der FG und des beschließenden Senats anzulegenden Maßstäben, unrichtig war (vgl. u.a. das Urteil des beschließenden Senats vom 14. Mai 1998 VII R 139/97, BFHE 185, 520, BStBl II 1998, 579). Bei Gefahr des Verlustes dieser Änderungsmöglichkeit muss das FA zu Zweifeln an der Bewertung des Fahrzeugs durch die Zulassungsstelle nur dann gelangen und deshalb die ihm übermittelten Daten selbständig vor Erlass eines Kraftfahrzeugsteuerbescheides überprüfen, wenn besondere Gründe eine solche Überprüfung veranlassen; das ist nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere dann der Fall, wenn sich aus einer dem FA bekannten früheren Besteuerung desselben Fahrzeugs Zweifel an der Richtigkeit der verkehrsbehördlichen Einstufung ergeben (vgl. Urteile des Senats vom 29. Juli 1997 VII R 19, 20/97, BFH/NV 1998, 217, und vom 12. August 1997 VII R 49/97, BFH/NV 1998, 219) oder wenn sich aus sonst dem FA vorliegenden besonderen Erkenntnissen die Notwendigkeit solcher weiteren, eigenen Ermittlungen ergibt (Senatsurteile in BFHE 185, 520, BStBl II 1998, 579, und in BFH/NV 1998, 219).
Ob bei der Besteuerung eines Fahrzeuges wie des vom Kläger gehaltenen aufgrund der anlässlich der verkehrsbehördlichen Zulassung erhobenen und dem FA übermittelten Daten solche Zweifel geboten waren, kann zweifelhaft erscheinen. Der beschließende Senat hat zwar in diesem Zusammenhang im Hinblick auf umgebaute und dadurch möglicherweise zu LKW gewordene Fahrzeuge ausgeführt, selbst wenn den FÄ aufgrund entsprechender Verwaltungserlasse seit Ende 1993 bekannt gewesen sei, dass die Kraftfahrzeugzulassungsstellen bei der verkehrsrechtlichen Einstufung von solchen Fahrzeugen mitunter Maßstäbe anwenden, die den von der Rechtsprechung der FG (und später auch des beschließenden Senats) entwickelten Anforderungen an die Unterscheidung zwischen PKW und LKW nicht in allen Fällen entsprächen, die FÄ also nicht davon hätten ausgehen können, dass die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde als LKW generell zutreffend sei, sondern vielmehr damit hätten rechnen müssen, dass es zu aus der Sicht der Finanzbehörde unzutreffenden Zuordnungen kommen könne, habe § 88 AO 1977 von den FÄ nicht verlangt, vor Erlass des Kraftfahrzeugsteuerbescheides den Fahrzeugtyp selbständig zu ermitteln, solange nicht durch eine Umstellung des elektronischen Datenaustausches mit den Verkehrsbehörden umgebaute Fahrzeuge vom FA ohne weiteres identifiziert werden konnten (Senatsurteile in BFHE 185, 520, BStBl II 1998, 579, und vom 2. Februar 1999 VII R 53/98, BFH/NV 1999, 975).
Diese Entscheidungen betreffen freilich zum einen Umbaufälle und zum anderen Kraftfahrzeugsteuer(erst)bescheide aus dem Jahre 1994 bzw. dem Juni 1996. Der Senat hat die sich hieraus ergebenden Beschränkungen des in jenen Urteilen gebildeten, vorgenannten Rechtssatzes in mehreren nachfolgenden Beschlüssen hervorgehoben und dahin verdeutlicht, dass dieser Rechtssatz jedenfalls bei Kraftfahrzeugsteuerbescheiden gelte, die in den Jahren 1994 und 1995 erlassen worden sind (Entscheidungen des Senats vom 11. März 1999 VII B 302/98, BFH/NV 1999, 1129; vom 1. März 1999 VII B 301/98, BFH/NV 1999, 1129; in BFH/NV 1999, 975, und vom 11. Mai 2000 VII B 287/99, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt).
Die vorgenannte Rechtsprechung des Senats beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass die Kraftfahrzeugsteuerstelle, wenn sie die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung des Fahrzeuges nicht übernimmt, angesichts des Massencharakters der Kraftfahrzeugbesteuerung mit erheblichem Verwaltungsaufwand gleichsam ins Blaue hinein hätte ermitteln müssen und dass dadurch die Möglichkeit des elektronischen Datenaustauschs und folglich der EDV-gesteuerten Erstellung der Kraftfahrzeugsteuerbescheide in einem bedeutenden Bereich faktisch ausgeschlossen würde (Urteil in BFHE 185, 520, BStBl II 1998, 579).
Der beschließende Senat hat indes noch nicht entschieden und es ist i.S. des § 69 Abs. 2 FGO ernstlich zweifelhaft, was § 88 AO 1977 den Kraftfahrzeugsteuerstellen bei einem Kraftfahrzeugsteuerbescheid abverlangt, der ―wie im Streitfall― erst längere Zeit nach den vorgenannten Verfügungen, hier: im Jahre 1997, ergangen ist. Zu diesem Zeitpunkt musste den FÄ jedenfalls aufgrund der vorgenannten Verfügungen, aber auch der bereits vorliegenden Rechtsprechung der FG die Problematik der Übernahme verkehrsbehördlicher Einstufungen für die Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung bei ―aus verkehrsbehördlicher Sicht― als Klein-LKW einzustufenden Fahrzeugen bekannt sein. Die damals bereits vorliegenden Verwaltungserlasse und die nach dem ersten zu der hier maßgeblichen Problematik ergangenen Urteil des FG Baden-Württemberg vom 18. Februar 1993 13 K 74/92, das allerdings erst Mitte 1994 veröffentlicht worden ist (Deutsches Autorecht 1994, 249), seit Mitte 1996 in größerer Anzahl veröffentlichten Entscheidungen anderer FG betrafen zwar fast ausschließlich Fahrzeuge, die vom Hersteller als PKW konzipiert worden sind und erst durch Umbauten des Halters die verkehrsbehördlichen Anforderungen an einen LKW erfüllt hatten. Es ist aber zumindest ernstlich zweifelhaft, ob nicht durch die vorgenannten Verfügungen und Entscheidungen sinngemäß die Frage aufgeworfen war, ob auch in anderen Bereichen als dem der sog. Umbaufälle die verkehrsbehördliche Prüfung den strengen kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Anforderungen an einen LKW stets gerecht wird, und ggf. aus der Erkenntnis der Unzuverlässigkeit der verkehrsbehördlichen Einstufung bei Klein-LKW Folgerungen für den Datenaustausch zu ziehen und diese ―auch im Interesse der betroffenen Fahrzeughalter― so schnell, wie dies unter Berücksichtigung berechtigter Belange der Steuerverwaltung möglich ist, umzusetzen sind, damit über den Bereich der Umbaufälle hinaus Zweifelsfälle der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einordnung als LKW oder PKW herausgefiltert und ggf. selbständig überprüft werden können.
Ob das beklagte FA also den angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheid allein auf der Grundlage der ihm seinerzeit von der Verkehrsbehörde übermittelten Daten ―anscheinend mit dem inneren Vorbehalt, die Richtigkeit der Einstufung des Fahrzeugs später zu überprüfen und ggf. eine Änderung seines so erlassenen Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorzunehmen― hat erlassen dürfen oder ob das FA bei entsprechenden rechtzeitigen Vorkehrungen seitens der Finanzverwaltung in der Lage gewesen wäre, diese Überprüfung vor Erlass des Bescheides vorzunehmen, die insofern gegebenen Möglichkeiten der Sachverhaltsfeststellung jedoch in mit Treu und Glauben unvereinbarer Weise nicht genutzt worden sind, muss zunächst der tatrichterlichen Aufklärung und Bewertung vorbehalten bleiben (zur diesbezüglichen Aufgabe der Tatsacheninstanz vgl. schon Entscheidungen des Senats vom 30. September 1997 VII R 76/97, BFH/NV 1998, 423, und vom 28. September 1998 VII B 185/98, BFH/NV 1999, 442). Das Ergebnis dieser Prüfung, die schwierige und komplexe Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufwerfen dürfte, lässt sich gegenwärtig nicht voraussehen, so dass die Vollziehung des Bescheides des FA vom FG mit Recht ausgesetzt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 585764 |
BFH/NV 2001, 1050 |