Entscheidungsstichwort (Thema)
FG-Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bei geringem Streitwert
Leitsatz (NV)
Übersteigt der Streitwert nicht 500 DM, ist nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG eine mündliche Verhandlung vor dem FG nur erforderlich, wenn ein Beteiligter es beantragt. Das FG braucht in einem solchen Falle seine Absicht zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung den Beteiligten nicht anzuzeigen. Auch die irrtümliche Annahme des FG, daß auf mündliche Verhandlung verzichtet sei, ist dann unschädlich.
Normenkette
FGO §§ 76, 90 Abs. 1-3, §§ 107, 116 Abs. 1 Nr. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 5
Tatbestand
Der Rechtsstreit geht um die Gewährung von Wohnungsbauprämie für im Jahre 1979 erbrachte Bausparaufwendungen von 2 275,72 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte die Prämie der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) wegen Versäumung der Antragsfrist nicht gewährt. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah die Frist für den Antrag auf Gewährung der Wohnungsbauprämie als gewahrt an. Es erkannte die Erklärung der Tochter der Klägerin, daß sie den Prämienantrag ihrer Mutter am 24. September 1980 in den Hausbriefkasten der BHW-Geschäftsstelle in G eingeworfen habe, gemäß Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) als Beweismittel an. Das FG entschied laut Rubrum des Urteils vom 5. April 1984 mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Durch Beschluß vom 12. Juli 1984 änderte das FG das Urteil dahin, daß auf Seite 1 die Worte ,,mit Einverständnis der Beteiligten" ersetzt werden durch ,,gemäß Art. 3 § 5 VGFGEntlG . . .". Es stützte die Änderung auf § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO. Der Mangel seiner Vertretung ergebe sich aus der Tatsache, daß die Klägerin auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts habe mitteilen können, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Ihm dagegen sei eine derartige Anfrage nicht zugegangen. Andererseits sei ihm aber auch nicht mitgeteilt worden, daß beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, was offenkundig - so die Urteilsformel - nur mit Zustimmung der Beteiligten habe geschehen sollen. Durch die dadurch eingetretene Desinformation sei ihm die sich für ihn aus Art. 3 § 5 VGFGEntlG ergebende Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung genommen worden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I, 1147, BStBl I, 462) aufgrund der Höhe des Streitwerts gegeben. Dieser beträgt 400 DM.
Die Revision ist auch nicht als zulassungsfreie nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO statthaft. Der behauptete Verfahrensmangel ist nicht schlüssig dargetan. Zwar ist ein Beteiligter auch dann im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, wenn das FG in der irrigen Annahme, das Einverständnis der Beteiligten sei erklärt, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden hat (vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46). Dies kann jedoch für das Verfahren nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG nur insoweit gelten, als das FG trotz eines Antrags auf mündliche Verhandlung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet.
Nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG kann das FG sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 DM nicht übersteigt. Auf Antrag eines Beteiligten muß mündlich verhandelt werden. Das Gericht entscheidet über die Klage durch Urteil; die §§ 76 und 90 Abs. 3 FGO bleiben unberührt. Der Grundsatz des § 90 Abs. 1 und 2 FGO, wonach durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nur entschieden werden darf, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind, ist in Art. 3 § 5 VGFGEntlG umgekehrt: Eine mündliche Verhandlung ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter es beantragt (vgl. Gräber, Rechtsprechung und Literatur zum Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1981, 369, 371). Das bedeutet, daß die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil in dem nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG gestalteten Verfahren nur dann einen Verfahrensmangel darstellt, wenn einer der Beteiligten die mündliche Verhandlung beantragt hatte. Im vorliegenden Fall, in dem die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 3 § 5 VGFGEntlG gegeben sind, konnte das FG mangels Antrags auf mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Unerheblich ist, aus welchen Gründen das FA keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat. Es bedarf keiner vorherigen Anzeige, daß das FG von der Entlastungsvorschrift des Art. 3 § 5 VGFGEntlG Gebrauch machen werde; denn in Anbetracht eines 500 DM nicht übersteigenden Streitwerts muß jeder Beteiligte mit dieser Möglichkeit rechnen (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Juli 1983 VI B 180/82, BFHE 139, 22, BStBl II 1983, 762).
Auch die ursprüngliche Fassung des Rubrums des Urteils, wonach das FG ,,mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung" entschieden hat, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Da das FG nach Art. 3 § 5 VGFGEntlG zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch ohne Einverständnis der Beteiligten befugt war, könnte selbst bei Irrtum über den Verzicht auf mündliche Verhandlung kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO angenommen werden.
Da die Revision auch nicht auf die Nichtzulassungsbeschwerde des FA zugelassen worden ist (vgl. den BFH-Beschluß vom selben Tag IX B 82/84), ist sie als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).
Der Senat braucht bei dieser Rechtslage nicht darüber zu entscheiden, ob das FA A als bearbeitendes FA für das FA B für das Klageverfahren überhaupt beteiligtenfähig war.
Fundstellen
Haufe-Index 414587 |
BFH/NV 1986, 629 |