Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckungsaufschub; eidesstattliche Versicherung
Leitsatz (NV)
- Das In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 hat keine Auswirkung auf die ständige Rechtsprechung des BFH, wonach die Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977 im Regelfall nur dann in Betracht kommt, wenn bei kurzfristigem Zuwarten mit der Vollstreckung (für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten, in besonderen Fällen auch bis zu zwölf Monaten) mit einer Tilgung der Rückstände gerechnet werden kann.
- Das Angebot von Ratenzahlungen auf die Steuerrückstände ist für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Bedeutung, wenn nicht einmal ein Vermögensverzeichnis abgegeben worden ist. Mit Hilfe des Vermögensverzeichnisses soll in Erfahrung gebracht werden, ob neben dem ggf. durch die regelmäßige Abgabe von Einkommensteuererklärungen bekannten Einkommen des Vollstreckungsschuldners auch noch verwertbares, bisher nicht offen gelegtes Vermögen vorhanden ist. Erst wenn Vermögenswerte aufgedeckt sind, ist zu entscheiden, ob diese pfändbar sind.
- Die Gefährdung der wirtschaftlichen und persönlichen Existenz ist ein Faktor, der allgemein im Rahmen des § 284 AO 1977 in Erwägung zu ziehen ist und vom Gesetzgeber sogar bewusst in Kauf genommen wird, um das Ziel der eidesstattlichen Versicherung als Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral des Vollstreckungsschuldners zu erreichen.
- Das Verhalten des Vollstreckungsschuldners in einem Steuerstrafverfahren hat für die Frage der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung keine Bedeutung.
Normenkette
AO 1977 §§ 258, 284; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 1
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) mit Verfügung vom 25. Januar 2000 wegen rückständiger Steuern und steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von … DM (Kläger) und rd. … DM (Klägerin) zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) aufgefordert worden. Am selben Tag lehnte das FA einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977 ab. Nach erfolglosem Einspruch gegen beide Bescheide (Einspruchsentscheidung vom 17. April 2000) blieb auch die Klage der Kläger vor dem Finanzgericht (FG) ohne Erfolg.
Das FG urteilte, die Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub lägen mangels Unbilligkeit der Vollstreckungsmaßnahmen (insbesondere Forderungspfändungen) nicht vor. Das FA habe sich nicht auf das Angebot des Klägers, monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 1 000 DM zu leisten, einlassen müssen, da die rückständigen Steuern bei Einhaltung dieser Zusage frühestens in sieben Jahren getilgt wären. Durch kurzfristiges Zuwarten oder durch andere Vollstreckungsmaßnahmen ließen sich die mit der Vollstreckung verbundenen Nachteile für den Kläger nicht vermeiden. Das FG sah ferner die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegenüber beiden Klägern als erfüllt an; das FA habe auch das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sei nicht ersichtlich.
Ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützen die Kläger ―in mehrfacher Hinsicht― auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, deren Zulässigkeit noch nach den Maßstäben der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu beurteilen ist, hat keinen Erfolg. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfragen hinreichend i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt haben, denn diesen Fragen kommt allesamt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
1. Hinsichtlich der Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977 stellt der Kläger in Frage, ob die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach Vollstreckungsmaßnahmen unbillig seien, wenn die Vollstreckung oder einzelne Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten (für einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten, in Ausnahmefällen bis zu 12 Monaten) vermieden werden könne, nach In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung (InsO) zum 1. Januar 1999, die von wesentlich größeren Zeiträumen zur Begleichung von Schulden ausgehe, noch im Einklang mit der Gesamtrechtsordnung stehe.
Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig und deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Im Ausgangspunkt ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass der Zeitraum, innerhalb dessen die Rückstände vom Vollstreckungsschuldner getilgt werden können, absehbar sein muss. Ein Vollstreckungsaufschub kommt daher nicht in Betracht, wenn selbst bei mehrjährigem Zuwarten mit Vollstreckungs- oder Verwertungsmaßnahmen eine Befriedigung des FA nicht erwartet werden kann. Ein Zeitraum von sieben Jahren bis zur Tilgung der Rückstände, wie vom FG nach Maßgabe der vom Kläger angebotenen Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 1 000 DM für den Streitfall errechnet, ist jedenfalls kein in diesem Sinne absehbarer Zeitraum mehr (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1992 VII B 92/92, BFH/NV 1993, 513). Eine längerfristige Einstellung der Vollstreckung kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die betreffende Vollstreckungsmaßnahme im konkreten Fall geeignet ist, Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Vollstreckungsschuldners auszulösen (Senatsbeschluss vom 8. Oktober 1998 VII B 2/98, BFH/NV 1999, 443).
Weshalb sich an dieser Rechtsauslegung des § 258 AO 1977 durch das In-Kraft-Treten der Bestimmungen der InsO zum 1. Januar 1999 etwas geändert haben könnte, ist nicht ersichtlich, da ein Zusammenhang oder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der InsO, die das Insolvenzverfahren regelt, welches die gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger eines Schuldners zum Ziele hat (vgl. § 1 InsO), und der Vorschrift des § 258 AO 1977, die unter bestimmten Voraussetzungen die Vollstreckung lediglich eines Gläubigers (nämlich des Fiskus) hemmen kann, offensichtlich nicht besteht. Außerhalb des Insolvenzverfahrens muss sich der Fiskus nicht auf einen nur hinsichtlich der langen Tilgungszeitspanne dem Insolvenzverfahren in etwa vergleichbaren Zahlungsplan des Vollstreckungsschuldners einlassen, da dieser zu jeder Zeit durch Eingriffe dritter Gläubiger gestört oder gar zunichte gemacht werden könnte.
Die ferner vom Kläger zu § 258 AO 1977 aufgeworfene Frage, ob bereits von einer Zurückstellung von Zwangsmaßnahmen "auf Dauer" gesprochen werden könne, wenn ein Zeitraum des Zuwartens von 6 bzw. 12 Monaten überschritten werde, weil der Schuldner über einen längeren Zeitraum Ratenzahlungen anbiete, hat für den Streitfall über das bereits Gesagte hinaus keine eigenständige oder gar entscheidungserhebliche Bedeutung.
2. Zu § 284 AO 1977 werfen beide Kläger gemeinsam verschiedene Rechtsfragen auf. Auch diese haben keine grundsätzliche Bedeutung. Im Einzelnen:
a) "Ist ein Vermögensverzeichnis vorzulegen, wenn der Finanzbehörde bekannt ist, dass die Kläger 1996 die eidesstattliche Versicherung bereits abgegeben haben, wenn der Finanzbehörde alle Kontoauszüge und Auflistungen der monatlichen Belastungen und der älteren Verbindlichkeiten vorgelegen haben und wenn nach 1996 jährliche Einkommensteuererklärungen abgegeben wurden und der Finanzbehörde somit bekannt ist, in welchem Bereich die Kläger ihr Einkommen erzielen?" - Diese Frage ist für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses ohne Bedeutung, denn es geht dabei nicht nur darum, das Einkommen der Vollstreckungsschuldner festzustellen, sondern auch in Erfahrung zu bringen, ob neben dem ggf. bekannten Einkommen auch noch verwertbares, bisher nicht offen gelegtes Vermögen vorhanden ist.
b) "Ist die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verhältnismäßig, wenn Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 1 000 DM angeboten werden und bei realistischer Einschätzung davon auszugehen ist, dass die Steuerschulden in ca. 7 Jahren beglichen werden können?" ‐ Auch diese Frage ist für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Bedeutung. Der erste Akt der behördlichen Maßnahmen nach § 284 AO 1977 zielt auf die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses ab, welches die Kläger nicht abgegeben haben. Das Angebot von Ratenzahlungen auf die Steuerrückstände ist für das Recht des FA, ein solches Vermögensverzeichnis zu verlangen, ersichtlich ohne Bedeutung.
c) "Ist die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ermessensfehlerhaft, wenn dadurch eine Gefährdung der wirtschaftlichen und persönlichen Existenz der Steuerpflichtigen nicht ausgeschlossen werden kann und davon auszugehen ist, dass die Steuerpflichtigen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters auch nicht in der Lage sein werden, sich eine weitere neue Existenz aufzubauen oder als Arbeitnehmer einer Berufstätigkeit nachzugehen?" ‐ Mit diesem Vorbringen können die Kläger im vorliegenden Grundsatzbeschwerdeverfahren kein Gehör finden, weil die Frage der fehlerfreien Ermessensausübung eine Frage des jeweiligen konkreten Einzelfalles ist und folglich mit ihr keine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufgeworfen wird. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Gefährdung der wirtschaftlichen und persönlichen Existenz ein Faktor ist, der allgemein im Rahmen des § 284 AO 1977 in Erwägung zu ziehen ist und vom Gesetzgeber sogar bewusst in Kauf genommen wird, um das Ziel der eidesstattlichen Versicherung als Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral des Vollstreckungsschuldners zu erreichen (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung‐Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 284 AO 1977 Rz. 10).
d) "Ist die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unverhältnismäßig, wenn die Finanzbehörde damit Vermögenswerte aufdecken will, die dann jedoch wegen der bisher fehlenden Alterssicherung der Steuerschuldner einer Verwertung nicht zugeführt werden können, sondern den Schuldnern zur Alterssicherung überlassen werden müssen?" - Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist klar zu verneinen, denn zunächst müssen Vermögenswerte aufgedeckt sein, weil erst dann darüber entschieden werden kann, ob diese unpfändbar sind. Alles andere wäre reine Spekulation. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, inwiefern das angefochtene Urteil auf dieser Frage beruhen könnte.
e) "Ist bei Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn der Steuerschuldner dem psychologischen Druck, dem er ausgesetzt sein wird, da alle Vermögenswerte anzugeben sind, bereits in einem parallel verlaufenen Strafverfahren ausgesetzt war, in dem er infolge der Selbstanzeige eine Bestrafung hätte vermeiden können, wenn er denn nach Aufdeckung von vermeintlichen Vermögenswerten in der Lage gewesen wäre, die Steuerschulden zu zahlen?" ‐ Hierzu hat das FG bereits zutreffend ausgeführt, dass aus dem Verhalten des Klägers in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung nicht gefolgert werden kann, dass vollstreckbare Vermögenswerte nicht vorhanden sind, die z.B. in anfechtbaren Übertragungsgeschäften, langfristig angelegten Geldern oder Immobiliargegenständen liegen könnten. Das Verhalten des Vollstreckungsschuldners in einem Steuerstrafverfahren ist mithin für die Frage der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 662232 |
BFH/NV 2002, 160 |