Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision wegen nicht ordnungsmäßiger Besetzung des Gerichts
Leitsatz (NV)
Wird mit der sog. Besetzungsrüge (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) geltend gemacht, daß durch die Art und Weise der Geschäftsverteilung der Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt worden sei, so müssen zur Begründung dieser Rüge Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, daß für die Verteilung der Geschäfte willkürliche Erwägungen maßgebend waren.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist an einer Rechtsanwaltssozietät beteiligt. Bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der Sozietät für das Streitjahr 1979 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Abzug für Aufwendungen des Klägers für Lebensversicherungsprämien als Sonderbetriebsausgaben ab. Hiergegen richtete sich die Klage.
Während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergab sich ein Wechsel im Vorsitz des für die Entscheidung der Sache nach dem Geschäftsverteilungsplan 1986 zuständigen V. Senats. Mit der Ernennung des bisherigen Vorsitzenden Richters A zum Richter am Bundesfinanzhof - BFH - (1. Juli 1986) übernahm der Präsident des Finanzgerichts (FG) den Vorsitz. Der Wechsel beruhte auf einem Beschluß des Präsidiums des FG vom 20. Juni 1986.
Der V. Senat des FG entschied über die Streitsache in der vom Präsidium beschlossenen Besetzung am 25. September 1986. Die Klage wurde abgewiesen.
Mit der Revision rügt der Kläger, daß der Senat des FG nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG hätte anstelle des ausgeschiedenen Richters A dessen ordentlicher Vertreter, der Richter B, den Vorsitz des V. Senats übernehmen müssen. Die Teilnahme des Präsidenten des FG an der Sitzung vom 25. September 1986 als Vorsitzender des Senats sei unzulässig gewesen. Seine Mitwirkung beruhe auf einer gesetzeswidrigen Änderung des Geschäftgsverteilungsplans für 1986.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der BFH sie zugelassen haben (§ 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden. Der erkennende Senat hat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision (Az. IV B 15/87) mit Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen.
Die Revision ist auch nicht gemäß § 116 Abs. 1 FGO ohne Zulassung statthaft. Zwar hat der Kläger gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen; er hat damit einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO geltend gemacht. Diese Rüge ist jedoch nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Hierzu hätte gehört, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den Mangel ergeben (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568 m. w. N.).
Wird mit der sog. Besetzungsrüge (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) geltend gemacht, daß durch die Art und Weise der Geschäftsverteilung der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -) verletzt worden sei, so müssen zur Begründung dieser Rüge Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, daß für die Verteilung der Geschäfte willkürliche Erwägungen maßgebend waren (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1987 VII R 17/87, BFH/NV 1988, 307; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 28. April 1981 2 BvL 14/70 und 27/71, BVerfGE 31, 47, 52 ff.). Es muß dargetan werden, daß der Präsidiumsbeschluß über die Geschäftsverteilung (§ 21e Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -) das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt habe, weil sich das Präsidium von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 10. Juli 1963 VIII ZR 204, 61, BGHZ 40, 91).
An einem entsprechenden Tatsachenvortrag hat es im Streitfall gefehlt. Insbesondere lassen die Darlegungen des Klägers nicht erkennen, weshalb die am 20. Juni 1986 beschlossene Änderung des Geschäftsverteilungsplans, aufgrund deren der Präsident des FG anstelle des Vorsitzenden Richters A den Vorsitz des V. Senats übernehmen sollte, als willkürlich anzusehen sein soll. Nach § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG kann die Geschäftsverteilung im Laufe des Geschäftsjahrs geändert werden, wenn dies infolge des Wechsels einzelner Richter nötig wird. Ein solcher Fall hat hier im Hinblick auf das Ausscheiden des Vorsitzenden Richters A vorgelegen. - Aus dem Tatsachenvortrag des Klägers läßt sich auch nicht entnehmen, daß eine willkürliche Verletzung der Vorschrift des § 21e Abs. 1 Satz 3 GVG vorliegt, nach der der Präsident eines Gerichts allein zu bestimmen hat, welche richterliche Aufgaben er wahrnimmt. Aus der über den Verlauf der Präsidiumssitzung vom 20. Juni 1986 angefertigten Niederschrift kann zwar nicht entnommen werden, daß der Präsident seine Bereitschaft zur Übernahme des V. Senats ausdrücklich zu Protokoll gegeben hat. Protokolliert wurde lediglich der Beschluß des Präsidiums, daß ,,mit Wirksamwerden der Ernennung" des Richters A zum Richter am BFH der Präsident des FG den Vorsitz im V. Senat übernimmt. Das bedeutet indessen nicht, daß es an einer Erklärung des Präsidenten zu der Frage, welche richterlichen Aufgaben er wahrnehmen will, gefehlt hat. Das Präsidium ist nicht gehindert, in Übereinstimmung mit dem Präsidenten dessen richterliche Zuständigkeit - deklaratorisch - in den Geschäftsverteilungsplan aufzunehmen (Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, 1981, § 21e Anm. 110). - Schließlich kann auch der vom Kläger gerügte Umstand, daß die Niederschrift über den Präsidiumsbeschluß nicht von allen Präsidiumsmitglieder unterzeichnet wurde, die Besetzungsrüge nicht schlüssig begründen. Das GVG schreibt nicht vor, daß die an einer Präsidiumsentscheidung mitwirkenden Präsidiumsmitglieder die gefaßten Beschlüsse zu unterzeichnen hätten; es genügt eine Protokollierung der Präsidiumsbeschlüsse und eine die Richtigkeit des Protokolls bestätigende Unterschrift des Vorsitzenden oder des Vorsitzenden und des Protokollführers (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. April 1983 9 CB 12.80, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 300, § 21e GVG Nr. 9). Diesen Voraussetzungen wurde im Streitfall entsprochen.
Da schon das Vorbringen des Klägers zur Begründung der Besetzungsrüge unschlüssig war, kam es auf die vom Kläger beantragte Beweiserhebung zum Nachweis dieses Vorbringens nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 416041 |
BFH/NV 1989, 442 |