Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Festsetzung von Ratenzahlungen bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
Leitsatz (NV)
1. Eine besondere Belastung i.S. des § 115 Abs. 1 Satz 3, Halbsatz 2 ZPO ist die seit der Berechnung der in der Tabelle (Anlage 1 zu § 114 ZPO) eingetretene Steigerung der Lebenshaltungskosten (Anschluß an BFHE 142, 27, BStBl II 1984, 837).
2. Zur Berücksichtigung weiterer Aufwendungen als besondere Belastung.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO §§ 114, 115 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen am . . . 1983 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Da die GmbH bei Konkurseröffnung erhebliche Lohnsteuerrückstände hatte, erließ der Beklagte (das Finanzamt - FA -) 1984 gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer von insgesamt 80 000 DM und Säumniszuschläge von 6 000 DM.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, über die noch nicht entschieden ist. Ferner begehrte der Kläger beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids.
Der Kläger beantragte zugleich, ihm zur Durchführung des Klageverfahrens (und des Aussetzungsverfahrens) Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren. Aus der eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich: Der Kläger erhält eine Arbeitslosenhilfe von monatlich 1 257 DM, seine Ehefrau eine Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich 1 045,92 DM; Vermögen hat er nicht. Weitere Angehörige, denen der Kläger Unterhalt gewährt, sind nicht vorhanden; er ist zu 90 v.H., seine Ehefrau zu 80 v.H. behindert.
Das FG gab dem Antrag teilweise statt. Es ging - unter Bezugnahme auf seine Entscheidung in der Aussetzungssache - davon aus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.
PKH sei jedoch nur gegen Ratenzahlungen zu gewähren. Denn aus der Anlage 1 zu § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergebe sich, daß bei einem Nettoeinkommen zwischen 1 200 DM und 1 300 DM bei nicht zu unterhaltenden Personen Monatsraten von 150 DM zu entrichten seien. Dabei sei das maßgebliche Nettoeinkommen gemäß § 115 ZPO wie folgt zu berechnen: Auszugehen sei von der monatlichen Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1 257 DM; das Einkommen der Ehefrau sei nicht hinzuzurechnen. Von diesem Einkommen seien keine Abzüge zu machen; insbesondere komme weder eine Berücksichtigung der Mietaufwendungen noch der Steigerung der Lebenshaltungskosten seit Erstellen der Tabelle zu § 114 ZPO im Jahre 1979 in Betracht.
Nach § 115 Abs. 1 Satz 3, Halbsatz 2 ZPO seien zwar vom Einkommen weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen sei. Diese Härteklausel wolle sicherstellen, daß die Partei sich in ihrer Lebensführung wegen des Prozesses nicht wesentlich einschränken müsse. Als berücksichtigungsfähige Belastungen kämen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ,,besonders hohe Aufwendungen für die Unterkunft" (Hinweis auf BTDrucks 8/3694, S. 16) in Betracht. Mietaufwendungen könnten deshalb nur insoweit abgezogen werden, als sie den durchschnittlichen Mietaufwand überstiegen; dabei sei auf die Kaltmiete abzustellen.
Die vom Kläger zu tragenden Mietaufwendungen stellten keine besondere Belastung in diesem Sinne dar. Da er und seine Ehefrau in etwa dasselbe Nettoeinkommen hätten, sei der Kläger lediglich verpflichtet, die Hälfte der Kaltmiete aus seinem Einkommen zu tragen. Dies entspreche einem Betrag von 280 DM. Von diesem sei die Hälfte des in die Tabelle beim Freibetrag eingearbeiteten Pauschalbetrages für Unterkunft von 156 DM monatlich abzuziehen. Dies führe zu einem zugrunde zu legenden Mietaufwand von monatlich 202 DM. Damit mache die Miete lediglich 15 v.H. des Einkommens aus, was keine besonders hohe Belastung sei.
Entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Hinweis auf Beschluß vom 3. Oktober 1984 II S 2/84, BFHE 142, 27, BStBl II 1984, 837) sei auch nicht als besondere Belastung zu berücksichtigen, daß die Tabellenwerte der Anlage 1 zu § 114 ZPO den Stand vom 1. Januar 1979 wiedergäben, mithin die in der Zwischenzeit eingetretene Steigerung der Lebenshaltungskosten nicht berücksichtigten. Es handele sich insoweit nicht um eine besondere Belastung, da die Preissteigerung alle Bevölkerungsschichten im selben Ausmaße treffe. Außerdem halte es der Senat nicht für zulässig, im Wege der Rechtsfortbildung die Tabelle den jeweils steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen; dies müsse vielmehr grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers sein.
Gegen den Beschluß des FG legte der Kläger Beschwerde ein mit dem Antrag, PKH für das Klageverfahren ohne Ratenzahlungen zu bewilligen, und hilfsweise, die Höhe der monatlichen Raten herabzusetzen.
Zur Begründung führt der Kläger aus, der BFH habe in seinem Beschluß in BFHE 142, 27, BStBl II 1984, 837 entschieden, daß bei der Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens auch die Preissteigerung seit 1979 zu beachten sei. Da die Tabelle keine tarifliche Regelung darstelle, müsse die Steigerung der Lebenshaltungskosten mit 100 DM als besondere Belastung berücksichtigt werden. Als weitere besondere Belastung sei die Kaltmiete anzuerkennen, soweit sie 18 v.H. des Nettoeinkommens übersteige. Die Kosten für die Unterkunft seien pauschal mit 156 DM bei dem unteren Tabellenwert von 850 DM in Ansatz gebracht. Dieser Pauschbetrag entspreche einem Anteil von 18,5 v.H. des Tabellengrenzbetrages. Im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz müsse der Prozentsatz von 18 v.H. auch auf höhere Einkommen übertragen werden, mit der Folge, daß es allen Bürgern gleichermaßen zugemutet werden könne, einen Prozentsatz von 18 v.H. ihres Bruttoeinkommens für die Kosten ihrer Unterkunft einzusetzen.
Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit § 79 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), denn dort werde auf die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft abgestellt. Deshalb müsse man vom Nettoeinkommen einen Teil der Kaltmiete absetzen, und zwar den Betrag, der 18 v.H. des Nettoeinkommens übersteige. 18 v.H. von 1 257 DM seien 226,26 DM, so daß vom Nettoeinkommen 54 DM (280 DM ./.226 DM = 54 DM) abzuziehen seien. Die vom FG vorgenommene Halbierung des Satzes von 156 DM sei unverständlich. Nach der Rechtsprechung sei nicht der Betrag von 156 DM abzusetzen, sondern der Betrag, der 18 v.H. des Nettoeinkommens übersteige.
Im übrigen seien Schuldverpflichtungen als besondere Belastung nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO absetzbar. Er, der Kläger, sei mit Verbindlichkeiten in Höhe von 100 000 DM belastet.
Schließlich träfen ihn wegen seiner 90-prozentigen Behinderung und wegen der Behinderung seiner Frau besondere Belastungen. Deshalb fielen erhebliche Kosten an, so z.B. die Aufwendungen von 100 DM monatlich für eine Haushaltshilfe. Hinzu kämen Kosten für teuere Medikamente wegen der schweren Erkrankung seiner Ehefrau. Hierzu biete er die Vernehmung seiner Ehefrau an . . .
Am 2. Mai 1988 ging noch ein vom Kläger übersandter Beschluß des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom Dezember 1987 ein. Darin ist ein Beschluß des Sozialgerichts aufgehoben worden, in dem ein Antrag des Klägers auf PKH mit der Begründung abgelehnt worden war, er könne monatliche Raten von 120 DM aufbringen, so daß die mit 400 DM zu beziffernden voraussichtlichen Prozeßkosten vier Monatsraten nicht überstiegen. Zur Begründung hat das LSG u.a. ausgeführt, vom monatlichen Bruttoeinkommen des Klägers in Höhe von 1 257 DM seien gemäß § 76 Abs. 2 BSHG Beträge von 110 DM abzusetzen.
Dem FA ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Es beantragt unter Bezugnahme auf den Beschluß des FG, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist mit dem Hilfsantrag begründet.
Zunächst sind von den Bruttobezügen des Klägers von 1 257 DM die gemäß § 76 Abs. 2 BSHG abziehbaren Beträge abzusetzen (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 ZPO). Diese belaufen sich ausweislich der vorerwähnten vom Kläger überreichten Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen auf 110 DM.
Entgegen der Auffassung des FG ist ferner die Steigerung der Lebenshaltungskosten seit der Berechnung der in der Tabelle gemäß Anlage 1 zu § 114 ZPO enthaltenen Werte als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO zu berücksichtigen (Beschluß in BFHE 142, 27, BStBl II 1984, 837). Zwar treffen die erhöhten Lebenshaltungskosten die Bürger im wesentlichen gleichmäßig. Da der Gesetzgeber jedoch bei der Berechnung der Tabellenwerte u.a. den (doppelten) durchschnittlichen Eckregelsatz für Haushaltungsvorstände und Alleinstehende nach § 22 BSHG nach dem Stand vom 1. Januar 1979 mit 594 DM zugrunde gelegt hat (BTDrucks 8/3068 S. 19/20) und eine Anpassung trotz erheblicher Erhöhung dieser Sätze nicht erfolgt ist, hält der Senat eine entsprechende Anpassung auf diesem Wege für geboten (vgl. auch Eberl, Der Steuerberater 1984, 36, 41). Der durchschnittliche Eckregelsatz für Haushaltsvorstände und Alleinstehende beträgt nach dem neuesten feststellbaren Stand vom 1. Juli bzw. 1. September 1987 403 DM (vgl. Schulte/Trenk/Hinterberger, Bundessozialhilfegesetz mit Erläuterungen, 2. Aufl., S. 99). Der doppelte durchschnittliche Eckregelsatz beläuft sich mithin auf 806 DM. Der Differenzbetrag von 212 (806 ./. 594) DM ist vom Nettoeinkommen abzusetzen.
Der Senat folgt dem Kläger auch darin, daß von seinem Nettoeinkommen wegen erhöhter Mietaufwendungen weitere 54 DM abzuziehen sind. Denn zur Vermeidung schwieriger und unsachgerechter Komplizierungen ist der Berechnung des Klägers zu folgen. Dies gilt jedenfalls, solange der Antragsteller nicht eine besonders hohe, vermeidbare Miete zahlt (vgl. auch Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 115 Rdnr. 76).
Weitere Abzüge kommen dagegen nicht in Betracht. Die vom Kläger geltend gemachten Schulden haben außer Betracht zu bleiben, weil er auf sie offensichtlich keine laufenden Leistungen (Zins oder Tilgung) erbringt. Krankheitsbedingte Kosten könnten grundsätzlich als besondere Belastung anerkannt werden, hätten jedoch vom Kläger glaubhaft gemacht werden müssen (§ 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine entsprechende Aufforderung an den anwaltlich vertretenen Kläger ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht angezeigt. Die vom Kläger angebotene Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin ist im Verfahren über die Bewilligung der PKH grundsätzlich ausgeschlossen (§ 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Das für die Anwendung der Tabelle maßgebliche Nettoeinkommen berechnet sich danach wie folgt:
Bruttobezüge 1 257 DM
Abzüge: 110 DM
212 DM
54 DM 376 DM
881 DM
Nach der Tabelle betragen die anzusetzenden Raten in diesem Fall 40 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 416372 |
BFH/NV 1989, 800 |